Sommerpause im NSU-Prozess Wohlleben bietet immer neue Zeugen auf
02.08.2016, 12:59 Uhr
Wohlleben ist wegen Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagt.
(Foto: imago/Sebastian Widmann)
Die Beweise im Münchner NSU-Verfahren sind mehr oder weniger beisammen. Doch die Termine reichen noch weit ins nächste Jahr. Das liegt vor allem an einem Mitangeklagten, der offenbar ein hartes Urteil fürchtet.
Mehr als drei Jahre dauert der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mitangeklagte mutmaßliche Terrorhelfer inzwischen schon. Viele Prozessbeteiligte hatten erwartet, dass die Beweisaufnahme vor der Sommerpause, abgeschlossen werden könnte. So ist es nicht gekommen. Wenn das Münchner Oberlandesgericht (OLG) jetzt in die Ferien geht, stehen immer noch Zeugenvernehmungen aus - aber wohl nicht mehr viele.
Dass das OLG nicht so schnell vorankam wie erwartet, liegt nach Einschätzung aus Prozesskreisen auch daran, dass vor allem einer der Angeklagten immer verzweifelter versucht, gegen eine langjährige Haftstrafe anzukämpfen: Ralf Wohlleben. Viele der Zeugen, die das Gericht in den vergangenen Monaten befragte, waren auf Initiative von Wohllebens Verteidiger geladen worden.
Es ging dabei um den Vorwurf, Wohlleben habe die Mordwaffe vom Typ "Ceska" organisiert, mit der die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun ihrer zehn Mordopfer erschossen haben sollen, neun türkisch- und griechischstämmige Gewerbetreibende in ganz Deutschland. Und es ging auch um die Frage, ob Wohlleben die rassistischen Motive hinter diesen Taten kannte und billigte. Beides bestritt er in seinen Aussagen vergangenen Dezember und Anfang dieses Jahres. Als letzter Zeuge vor der Sommerpause sagte ein früherer Leiter des polizeilichen Staatsschutzes in Jena aus, dass ihm Wohlleben schon in den 1990er Jahren als Organisator von rechtsextremen Veranstaltungen aufgefallen sei. Er sei auch als Redner aufgetreten und habe die Meinung vertreten, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland. Seine Äußerungen seien aber nicht so weit gegangen, dass Strafermittlungen etwa wegen Volksverhetzung möglich gewesen wären.
Es läuft nicht gut
Die Zeugen, die Wohllebens Verteidiger aufzubieten versuchten, sollten andere als die bis dato bekannten Schmuggelwege der Waffe nahelegen und Wohlleben damit entlasten. So wollten sie einen früheren Schweizer Waffenhändler laden lassen, der inzwischen in dem lateinamerikanischen Land Ecuador wohnt. Die Verteidiger mühten sich auch, Verstrickungen staatlicher Stellen nachzuweisen und verlangten die Vernehmung weiterer Geheimdienstler. Viele ihrer Anträge - auch im Fall des Zeugen in Ecuador - lehnte der OLG-Senat ab. Andere der gewünschten Zeugen lud er dagegen.
Erfolg hatte die Wohlleben-Verteidigung damit aber offensichtlich nicht. Das ließen Bundesanwaltschaft und Gericht erkennen, als sie sich mit einer neuerlichen Haftbeschwerde Wohllebens befassten. Die lehnte das Gericht im Juni ab, weil die "Verdachtstatsachen" gegen Wohlleben "weiterhin uneingeschränkt Geltung" hätten. Die Bundesanwaltschaft geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, einer der Zeugen habe den Verdacht gegen Wohlleben "intensiviert".
Der Streit zwischen Wohlleben-Verteidigung und Bundesanwaltschaft eskalierte einen Tag vor der Sommerpause in dem Vorwurf von Anwalt Olaf Klemke, die Anklagebehörde "parke" relevante Vernehmungsakten in einem separaten Verfahrenskomplex und enthalte sie den Beteiligten im NSU-Prozess vor. Nur "wenn's denn mal genehm" sei, reiche die Bundesanwaltschaft ausgewählte Schriftstücke ins Verfahren.
Hunderte offene Fragen
Bei den anderen Angeklagten, auch bei Beate Zschäpe, sind die Fronten weniger verhärtet. Dabei hat der OLG-Senat in jüngster Zeit immer wieder von sich aus Beweismittel eingeführt, die ihre Glaubwürdigkeit mindern könnten. Zuletzt war das ein Urlaubsfoto des NSU-Trios aus dem Jahr 2006. Dazu lud das Gericht eine Expertin für Bildanalysen, die akribisch nachwies, dass auf diesem Bild neben Zschäpe auch der mitangeklagte Holger G. zu erkennen sei. Damit dürften sich sowohl Zschäpe als auch G. ertappt gefühlt haben. Beide hatten ausgesagt, sie hätten zu dieser Zeit kaum noch Kontakt miteinander gepflegt. Zschäpes Anwalt Mathias Grasel erklärte namens seiner Mandantin: "Es kann sich nur um einen Tagesbesuch gehandelt haben, an den sich Frau Zschäpe nicht erinnert."
Zschäpes Verhalten im Prozess gilt ansonsten als schwer einschätzbar. In den vergangenen Monaten hat sie immer wieder Fragen des Senats beantwortet und von ihrem nur selten im Gerichtssaal anwesenden Vertrauensanwalt Hermann Borchert verlesen lassen. Derzeit sind aber noch Hunderte Fragen offen, die die Anwälte von NSU-Terroropfern gestellt haben. Auch die Fragen des psychiatrischen Gutachters, der Zschäpes Persönlichkeit beurteilen soll, sind noch nicht beantwortet. Borchert hatte mitgeteilt, es könne Monate dauern, alle Fragen zu bearbeiten.
Offen ist, wie das Gericht mit dieser Ankündigung umgeht und wie ernst sie gemeint ist. Eine Frist dürften die Richter Zschäpe nicht setzen, heißt es in Prozesskreisen. Sie müssten aber auch nicht endlos abwarten, ob und wann die Angeklagte Fragen beantwortet. Viele Beweisanträge lehnte das Gericht zuletzt ohnehin mit der Begründung ab, selbst wenn sie zum Ziel führten, ändere das nichts mehr an der Gesamtschau aller bisherigen Beweismittel.
Quelle: ntv.de, Christoph Lemmer, dpa