Ende des Schweigens im NSU-Prozess Zschäpe gibt sich als ahnungsloses Opfer
09.12.2015, 10:18 Uhr
Zschäpe am 249. Verhandlungstag.
(Foto: REUTERS)
Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe bricht nach zweieinhalb Jahren ihr Schweigen im Münchner NSU-Prozess. Ihr Anwalt Mathias Grasel verliest eine Aussage der Hauptangeklagten. Darin stellt sich Zschäpe überraschend schwach dar.
Selten ist ein Verhandlungstag im Münchner NSU-Prozess mit mehr Spannung erwartet worden wie der 249.: Erstmals ist zu hören, was die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe zu den ihr vorgeworfenen Taten zu sagen hat. Ihr Anwalt Mathias Grasel begann um kurz vor 10 Uhr mit der Verlesung ihrer Aussage. Die Aussage im Liveticker von n-tv.de.
Vor Beginn der Verhandlung hatte sich Zschäpe erstmals bereitwillig fotografieren lassen. Sie wandte sich nicht - wie sonst - von den Kameras ab und lächelte diesmal. Zschäpe erschien im dunklen Hosenanzug mit Halstuch, ihre Haare trägt sie offen.
Der Weg in die rechte Szene
Zu Beginn der Erklärung erinnert Zschäpe an ihre Kindheit in der damaligen DDR. Unter anderem berichtet sie von Alkoholproblemen und Streitigkeiten mit ihrer Mutter. Von der Mutter habe sie so gut wie kein Geld bekommen, so dass sie sich an kleineren Diebstählen habe beteiligten müssen.
Über ihren Cousin Stefan Apel sei sie in Kontakt zum rechten Lager gekommen. Dort habe sie schließlich Uwe Böhnhardt kennengelernt, obwohl sie zu dem Zeitpunkt mit Uwe Mundlos zusammen war. Besonders belastet Zschäpe Tino Brandt, den Mitbegründer des "Thüringer Heimatschutzes". Er habe Geld organisiert und sie im Umgang mit Polizeidurchsuchungen geschult. Sie habe es zunächst "spaßig" gefunden, vom Verfassungsschutz verfolgt zu werden.
Zschäpe berichtet von verschiedenen Aktionen, betont aber immer wieder, dass sie nicht gewusst habe, wo Bombenattrappen und Sprengsätze gebaut worden seien. Sie habe keine Menschen verletzen wollen. Irgendwann habe sie gecheckt, dass in der Garage, die sie angemietet hatte, um Böhnhardt nach einer Trennung zurückzugewinnen, Rohrbomben gebaut wurden. Aus Angst vor der Verhaftung habe sie sich entschieden, das Ganze "aus der Ferne" von Chemnitz aus zu beobachten. So sei man zusammen untergetaucht, Zschäpe nennt auch die Namen derer, bei denen sie zunächst gewohnt haben.
Z u Beginn des Lebens in der Illegalität habe sie sich stellen wollen, Böhnhardt und Mundlos überzeugten sie aber, das nicht zu tun. Um Geld zum Leben zu haben, sollten Überfälle verübt werden, sie habe aber Angst gehabt, sich daran zu beteiligen. Die Männer hätten die Taten dann allein begangen. Von dem Geld aus den Überfällen habe aber auch sie gelebt.
Ahnungslos über die Morde
Zschäpe bestreitet, vorab von dem ersten Mord des NSU an Enver Simsek am 9. September 2000 gewusst und sich daran beteiligt zu haben. Der Nürnberger Blumenhändler wurde auf einem Parkplatz erschossen. Mundlos und Böhnhardt hätten erst Monate später davon erzählt.
Auch von den weiteren Morden am 13. Juni 2001 in Nürnberg und am 27. Juni 2001 in Hamburg will Zschäpe vorab nichts gewusst haben. Sie habe nicht nach Details der Morde gefragt und es nicht glauben können, dass Böhnhardt und Mundlos noch einmal auf Menschen schießen hatten können. Zum ersten Mal hätten die beiden Männer ausländerfeindliche Gründe für ihre Taten geäußert. Sie fühlte sich von den Taten abgestoßen, aber Böhnhardt zugewandt und habe sich ihrem Schicksal ergeben. Sie stellte fest: Die beiden brauchten sie nicht, aber sie brauchte die beiden.
Immer wieder will Zschäpe versucht haben, Böhnhardt und Mundlos zum Aufgeben zu bewegen. Die Männer hätten dies aber abgelehnt und gedroht, sich umzubringen, sollte sie sich stellen. Auch vom Kölner Nagelbombenanschlag und weiteren Morden habe sie erst nach den Taten erfahren, ebenso wie von dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie sei ausgerastet und habe nach dem Warum gefragt. Die Antwort sei gewesen, dass es nur um die Pistolen der Polizisten ging, "weil ihre eigenen nicht mehr so gut funktionierten".
Vom Tod von Böhnhardt und Mundlos will Zschäpe aus dem Radio erfahren haben. Daraufhin habe sie den Letzten Willen der beiden Männer erfüllt und die Wohnung in der Frühlingstraße angezündet. Zuvor habe sie bei allen Nachbarn geklingelt und geklopft. Entschieden weist die den Vorwurf zurück, die Handwerker im Dachgeschoss und eine alte Nachbarin leichtfertig in Gefahr gebracht zu haben.
Abschließend bestreitet Zschäpe, Mitglied des NSU gewesen zu sein. Sie als gleichberechtigtes Gründungsmitglied zu bezeichnen, entbehre aller sachlichen Grundlagen. Den Begriff des "Nationalsozialistischen Untergrunds" habe sich Mundlos einfallen lassen. Weder damals noch heute habe sie sich als Mitglied einer solcher Bewegung gesehen. Zschäpe bestreitet außerdem, an der Beschaffung von Waffen beteiligt gewesen zu sein. Auch als "Schatzmeisterin" des NSU habe sie nicht fungiert.
Zschäpes Aussage endet mit einer Entschuldigung: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte", lässt sie erklären. Sie entschuldige sich "aufrichtig" bei den Opfern und den Angehörigen der Opfer der Taten von Mundlos und Böhnhardt.
Seit Prozessbeginn im Mai 2013 hatte Zschäpe konsequent geschwiegen. Grasel hat angekündigt, dass Zschäpe auch Fragen beantworten will - aber nur die des Gerichts, und nur schriftlich und erst später. Ob das Gericht damit einverstanden ist, ist noch offen.
Quelle: ntv.de, sba