Die Briten im Jammertal Brexit-Ultras nehmen das Land in Geiselhaft
13.03.2019, 14:51 Uhr
May nach der Verkündung ihrer erneuten Abstimmungsniederlage.
(Foto: REUTERS)
Nicht nur die Stimme der Premierministerin versagt in diesen Tagen. Auch das Unterhaus scheitert auf ganzer Linie. Allen voran die Tories und deren Brexit-Hardliner.
Die Premierministerin bot ein Bild des Elends: Als Theresa May am Dienstag im Unterhaus für ihren Brexit-Deal kämpfte, versagte ihr immer wieder die Stimme. Und nicht nur das. Auch ihr Deal scheiterte erneut in geradezu historischen Ausmaßen. Was aber nicht nur an ihr lag, sondern auch am Unvermögen der britischen Abgeordneten, den Ernst der Lage zu verstehen und ihre eigenen Interessen dem Wohl des Landes unterzuordnen. Im Moment scheint vor allem die Devise zu gelten: Jeder kämpft für sich allein.
Sicher, die Liste von Mays Sündenfällen ist lang und als Premierministerin trägt sie naturgemäß die politische Verantwortung. Sie flirtete mit den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei und wiederholte mantrahaft "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal". Sie aktivierte Artikel 50, ohne dass ihre Partei schon einen Plan für den Austritt hatte. Sie rief Neuwahlen aus und verspielte so leichtsinnig die absolute Mehrheit der Tories. Sie ging zu wenig auf die Opposition zu und spielte auf Zeit, wobei sie immer wieder auf ein Nachgeben der EU und des Unterhauses setzte.
Aber immerhin handelte sie ein Abkommen aus, das dem Wunsch der Briten nach einem EU-Austritt Rechnung trug und doch nicht alle Bande zu Europa kappte. Natürlich hatte dieser Deal - wie das so ist bei Deals - aus britischer Sicht den Nachteil, dass er notgedrungen ein Kompromiss sein musste. Und natürlich kann leidlich darüber gestritten werden, ob die EU den Briten mehr hätte entgegenkommen und vielleicht zeitgleich zum Austrittsvertrag schon die Verhandlungen über ein zukünftiges Abkommen hätte starten können.
Das größte Problem des Deals ist aber nicht der Deal selbst oder der umstrittene Backstop, sondern die Unentschlossenheit des britischen Unterhauses. Fast drei Jahre nach dem Referendum hat dieses noch immer keine klare Haltung zum EU-Austritt gefunden. Labour-Chef Jeremy Corbyn nutzt den Brexit vor allem für parteitaktische Überlegungen mit dem vorrangigen Ziel, die Premierministerin abzulösen. Was hätte dagegen gesprochen, nun, kurz vor 12, doch noch Mays Deal zuzustimmen und danach bei den Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen im Unterhaus für das von den meisten Labour-Abgeordneten favorisierte Norwegen-Modell zu kämpfen?
Doch die Hauptverantwortung für den Brexit-Schlamassel liegt bei den Tories, die schließlich die Regierung stellen. Es rächt sich, dass sie nie ihr Verhältnis zu Europa geklärt haben. Die Konservativen sind tief gespalten in moderate EU-Befürworter und in Ultra-Brexiteers wie Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg, die von glorreichen Tagen des Commonwealth träumen und einen No Deal "ziemlich aufregend" finden. Und dabei in ihrer Radikalität nun das ganze Land in Geiselhaft nehmen.
Eigentlich hätte sich der eine oder andere Flügel der Partei längst abspalten müssen. Doch genau das ist schwierig unter den Bedingungen des britischen Mehrheitswahlrechts, das nach dem Prinzip funktioniert "The winner takes it all". Die Kunst des Kompromisses fördert dies nicht. Dabei ist genau diese gerade gefragt, wenn das Land den Brexit noch halbwegs geordnet hinter sich bringen will.
Quelle: ntv.de