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Gewalt gegen Politiker bestrafen Der Rechtsstaat muss zeigen, was 'ne Harke ist

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Der Rechtsstaat sollte Gewalt gegen Politiker stärker bestrafen, gleich welcher Partei sie angehören.

Der Rechtsstaat sollte Gewalt gegen Politiker stärker bestrafen, gleich welcher Partei sie angehören.

(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)

Dresden, Essen, Berlin: Binnen weniger Tage werden Politiker und freiwillige Helfer demokratischer Parteien körperlich angegriffen. Die Vorfälle sind exemplarisch für eine breite Verrohung, die an der gesellschaftlichen Ordnung kratzt. Es ist an der Zeit, auch das Strafrecht dem Ausmaß der Gefahr anzupassen.

Die ausufernde Gewalt gegen Berufspolitiker und Ehrenamtliche in Wort und Tat ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es wirkt daher auf den ersten Blick wenig originell, dieser Herausforderung mit dem Reflex härterer Strafen zu begegnen. Denn sie können nicht die alleinige Antwort sein auf eine Entwicklung, deren Ursachen vielfältig, komplex und dynamisch sind. Nur behaupten das die Fürsprecher neuer und härterer Straftatbestände auch gar nicht. Dennoch ist es richtig und notwendig, den Instrumentenkasten des demokratischen Rechtsstaats im Kampf gegen seine Feinde zu erweitern - schnell, aber gründlich. Eine wehrhafte Demokratie muss ab und an zeigen, was 'ne Harke ist.

Nein, härtere Strafen haben selten einen nachhaltigen Abschreckungseffekt und führen meist nicht zu weniger Straftaten. Neue Straftatbestände zu schaffen, füllt auch nicht das Personal in Polizei und Justiz auf, die es für die Durchsetzung von Recht und Gesetz braucht. Aber sie können den Beamten und Beamtinnen helfen, Recht anzuwenden, etwa indem sie Straftatbestände spezifischer definieren und indem das Strafrecht auf der Höhe gesellschaftlicher Entwicklungen bleibt. Auch Beleidigungen im Internet sind heute klarer geregelt, als es noch vor 15 Jahren der Fall war. Damals spielten soziale Medien praktisch noch keine Rolle.

Andere Straftatbestände werden permanent angepasst, etwa die Liste verbotener synthetischer Drogen, weil ständig neue auf den Markt kommen. Kurz: Das Strafgesetzbuch ist nicht in Stein gemeißelt. Alte Regeln halten zuweilen mit gesellschaftlichen Veränderungen nicht Schritt, mit neuen Regelungen reagiert der demokratisch gewählte Gesetzgeber auf neue Phänomene. Daraus folgt, dass nicht jede Strafverschärfung einen Einschnitt bürgerlicher Freiheiten bedeutet. Auch das Gegenteil ist möglich.

Wer soll sich das antun?

Und damit zum Pudels Kern: Recht und Freiheit, sich an Wahlen zu beteiligen, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken oder sich in politische Ämter wählen zu lassen, sind im 75. Lebensjahr des Grundgesetzes so sehr unter Druck wie nie zuvor. In der Bundesrepublik macht sich ein Geist breit, der nicht darauf aus ist, einander zuzuhören; der wenig davon hält, Verständigung und Kompromiss zu suchen. In dieser - auch durch soziale Medien und interessierte Dritte wie Russland - aufgeheizten Stimmung verroht erst die Sprache, dann das Handeln und schließlich gipfelt die unversöhnliche Ablehnung des Gegenübers in gewalttätige Übergriffe. Dabei sind Angriffe gegen mehr oder minder prominente Persönlichkeiten nur die Spitze des Eisbergs. Weniger sichtbar, aber häufiger sind die vielen anderen Fälle: Hasszuschriften, Beleidigungen und Pöbeleien gegen kommunale Amtsträger, gegen Menschen, die sich vor Ort politisch einbringen, sei es als Plakatierende oder Organisatoren von Demos.

Wer tut sich diesen kübelweisen Hass künftig noch freiwillig an? Die Bereitschaft zur Kandidatur für kommunale Parlamente und Ämter sinkt. Wer sich zu einer Partei der gesellschaftlichen Mitte bekennt, findet sich mancherorts an deren Rand wieder - ausgegrenzt. Landräte, Bürgermeister, Abgeordnete und immer öfter auch Minister und Ministerpräsidenten werden im Privatleben bedrängt, bekommen "Hausbesuche". Selbst die, die gut beschützt werden, brauchen inzwischen ein dickes Fell. Im Übrigen sind auch Angriffe gegen AfD-Kandidaten schon deshalb nicht hinnehmbar, weil der Verzicht auf private Gewaltanwendung eine Säule des Rechtsstaats ist.

Schläge und Tritte, die uns allen gelten

Angesichts dieser Entwicklungen wäre es doch das mindeste, das Signal zu setzen: Gezielte Pöbeleien, Beleidigungen und Einschüchterungsversuche gegen Amtsträger und Ehrenamtliche, die erkennbar auf eine Beeinflussung des politischen Klimas und der Entscheidungsfindung abzielen, sind Straftaten. Wer beleidigt oder zuschlägt, kann auch jetzt schon bestraft werden. Handelte der Täter - es sind ja meist Männer - aus antidemokratischen Motiven und nicht etwa situativ, sollte dies straferschwerend wirken. Damit würden Politik und Gesellschaft die besondere Gefährdung derjenigen wenigen anerkennen, die sich in ihrer Freizeit oder beruflich zum Wohle aller engagieren.

Ein solcher Schritt mag vor allem symbolisch sein; ein Versuch zur Einschüchterung der Demokratiefeinde, der natürlich durch kompetente und ausreichend ausgestattete Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichte unterfüttert werden muss. Aber andersherum haben auch diejenigen, die etwa in Dresden den SPD-Politiker Mathias Ecke zusammenschlugen und grüne Wahlkampfhelfer attackierten, auf Symbolik gesetzt: Jeder Schlag und jeder Tritt, der diese Menschen traf, galt der Gesellschaft als ganzes. Die Täter wollten damit jeden, der ihnen politisch nicht genehm ist, einschüchtern und von politischem Engagement abschrecken. Dem kann und muss sich die freiheitlich-demokratische Gesellschaft entgegenstellen: in Wort, Tat und manchmal auch mit Symbolen.

Quelle: ntv.de

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