
Das Haar sorgfältig verstrubbelt, gibt Boris Johnson sich als Volkstribun.
(Foto: imago/i Images)
Wenn die Briten die EU verlassen wollen, dann sollen sie das tun. Keinesfalls darf die EU ihren Sprung ins Ungewisse abfedern. Je härter Britannien auf die Nase fällt, desto besser für Europa.
"Die Integration Europas ist die einzige mögliche Rettung des christlichen Abendlandes", sagte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1951. Heute klingt das nach hohlem Pathos. Aber Adenauer hatte Europas Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erlebt. Er wusste, wovon er sprach.
Ein Austritt Großbritanniens aus der EU würde Europa nicht zerstören. Aber er könnte für die heutigen Generationen ein Anstoß sein, zu verstehen, wie wichtig die europäische Einigung ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die EU die britische Entscheidung ernst nimmt. Die Botschaft muss sein: Wenn ihr gehen wollt, dann geht – wir werden euren Sprung ins Ungewisse nicht aufhalten und nicht abfedern.
Denn dass ein Brexit nicht ganz ungefährlich wäre, bestreiten nicht einmal seine Befürworter. Die Risiken eines Austritts Großbritanniens aus der EU könnten "nicht vollständig ignoriert werden", sagt Boris Johnson, eine der führenden Figuren der "Leave"-Kampagne. Um etwaige Sorgen der Wähler zu zerstreuen, behauptet der frühere Bürgermeister von London, es werde einfach sein, die Beziehungen Großbritanniens zur EU neu zu regeln. "Wir haben das größte Imperium geführt, das die Welt je gesehen hat", sagt Johnson. "Sollten wir wirklich nicht in der Lage sein, Handelsverträge abzuschließen?"
Johnson geht davon aus, dass die EU selbst nach einem Brexit weiterhin nach der britischen Pfeife tanzt. Schließlich schafft Großbritannien es seit Jahren, sich unfaire Vorteile zu verschaffen. Nach dem 23. Juni muss damit Schluss sein – auch dann, wenn der Austritt die negativen Folgen hat, die die meisten Experten jetzt prognostizieren. Es läge an der EU, aus der Krise eine Chance zu machen – natürlich für die EU, nicht für Boris Johnson. Denn was passiert, wenn er und seine Freunde sich durchsetzen? Überall in Europa würden Rechtspopulisten Anti-Europa-Kampagnen starten.
Kein Pathos, egal ob hohl oder erhaben, wird Marine Le Pen, Geert Wilders oder Beatrix von Storch je davon überzeugen, dass die EU eine gute Sache ist. Aber viele ihrer Wähler sind ja keine Ideologen. Wenn sie sehen, dass vom großen Britannien nach dem Brexit nur ein zerrupftes England bleibt, wäre viel gewonnen. Nein, an Großbritannien soll kein Exempel statuiert werden. Aber kein Franzose, kein Niederländer und kein Deutscher hätte Verständnis dafür, wenn Europa sogar nach einer Brexit-Entscheidung noch immer Rücksicht auf die Briten nähme.
Ach ja: All das ändert selbstverständlich nichts daran, dass Europa besser und demokratischer werden muss.
Quelle: ntv.de