Friedrich Merz und die Töchter Erst wenn Männer Angst haben, hören wir hin


Friedrich Merz zeigt sich besorgt um die Frauen im Land, kümmert sich aber um die Probleme der Männer.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Friedrich Merz rechtfertigt seine "Stadtbild"-Aussagen mit einem Verweis auf die Ängste der Töchter der Nation. Diese Instrumentalisierung von Frauen ist falsch. In Wahrheit geht es in der Debatte um Migration nämlich wieder einmal um das, was Männer fühlen.
Ein Emoji mit verdrehten Augen - anders lässt sich Friedrich Merz' jüngster Ausflug in die Sicherheitsdebatte kaum kommentieren. Wieder einmal versucht der CDU-Chef zu zeigen, dass er versteht, was die Menschen bewegt. Und wieder einmal landet er dort, wo er schon so oft gestrauchelt ist: im diffusen Feld zwischen berechtigter Sorge und politischer Stimmungsmache.
Dieses Mal spricht Merz, der CDU-Chef - pardon: der Kanzler - von einem "Problem im Stadtbild". Auf Nachfrage, was er damit meine, sagt er: "Fragen Sie mal Ihre Töchter, die wissen das ganz genau." Es ist ein Satz, der Empathie vortäuscht, aber rhetorisch kalkuliert ist - ein Umweg über die Gefühle anderer, um populistische Thesen zu legitimieren. Merz benutzt "die Töchter" nicht, um Frauen zu schützen, sondern um sie als Beweis einer Diagnose ins Feld zu führen. Das ist kein Mitgefühl. Das ist Instrumentalisierung.
Gewalt gegen Frauen ist ein reales Poblem
Wissenschaftliche Analysen zeigen eindeutig: Mehr Migration bedeutet nicht mehr Kriminalität. Regionen mit höherem Ausländeranteil sind nicht gefährlicher, sondern meist nur dichter besiedelt und sozial auffälliger. Was dagegen stimmt: Frauen haben Angst. Seit Jahrzehnten. Nachts auf Straßen, in Parks, in Bussen. Diese Angst ist konstant und tief im Alltag verankert - allerdings weitgehend unabhängig von Asyl- oder Zuwanderungszahlen.
Was tatsächlich zunimmt, ist die Gewalt gegen Frauen. Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2024 über 256.000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt, über 73 Prozent davon Frauen - der höchste Stand seit Beginn der Erhebung. In fünf Jahren nahmen die Fälle um fast 14 Prozent zu. Das sind keine importierten Probleme, keine Randphänomene von Migration, sondern bittere, hausgemachte Realität.
Doch anstatt diese strukturelle Gewalt zum Kern seiner Politik zu machen, lenkt Merz die Aufmerksamkeit auf Oberflächen: Ordnung, Sauberkeit, Rückführungen. Die Angst, auf die Merz anspielt, ist keine statistische, sondern eine emotionale. Sie ist real, aber sie wird falsch adressiert.
"Wir können noch so viel abschieben"
Interessant ist, wer Angst hat - und vor wem. Eine aktuelle Trendstudie des Instituts für Generationenforschung zeigt: 68 Prozent der jungen Frauen haben Angst vor arabischen Männern, rund 60 Prozent auch vor deutschen (hier sind vermutlich weiße Männer gemeint) oder schwarzen. Der Unterschied ist gering. Frauen haben Angst - nicht vor der Herkunft, sondern vor dem Verhalten von Männern.
Besonders Männer in Gruppen lösen Unsicherheit aus. Studienleiter Rüdiger Maas erklärt dazu: "Wir könnten darüber sprechen, dass Geflüchtete oft in Gruppen unterwegs sind und untereinander fremde Sprachen sprechen. Das kann Angst auslösen. Aber im Kern ist es immer der Mann. Das hat mehr mit dem Habitus zu tun als mit der Herkunft - auch Fußballfans oder betrunkene Oktoberfestbesucher können Angst schüren." Was jetzt nicht passieren dürfe, sei, dass Migranten verantwortlich gemacht würden und das Thema Männer damit vom Tisch sei. "Wir können noch so viel abschieben - die Angst von Frauen wird bleiben", so Maas.
Das eigentliche Muster zeigt sich bei den Männern selbst. Sie fürchten sich - derselben Studie zufolge - deutlich stärker vor arabischen oder schwarzen Männern als vor deutschen. Nicht, weil diese objektiv gefährlicher wären, sondern weil sie als fremd empfunden werden. Und, so Maas, weil in (sozialen) Medien immer wieder ein verzerrtes Bild gezeigt werde.
Diese Angst ist eine männlich besetzte Angst. Eine Angst vor Machtverlust, vor Unbekanntem, vor Kontrollverlust. Und sie entfaltet politische Wirkung erst dann, wenn sie von Männern geäußert wird. Erst wenn Ängste von Männern artikuliert werden, werden sie gehört. Erst dann wird Sicherheit ein Wahlkampfthema, erst dann reden alle über Rückführungen, Ordnung und das "Stadtbild". Probleme werden eben erst dann angegangen, wenn sie Männer betreffen.
Dass Frauen schon immer Angst haben - und diese Angst längst ihr Verhalten und ihre Freiheit einschränkt -, spielt kaum eine Rolle. Das Muster ist alt: Männer sprechen über ihr Unwohlsein, Politik liefert Härte. Veränderung kann irritieren, ja. Aber sie ist kein Feind. Ohne Dönerbuden, Shisha-Bars und vietnamesische Imbisse wären viele Innenstädte heute leer - und Leere schafft nachweislich mehr Angst als Vielfalt.
Quelle: ntv.de