"Problem im Stadtbild" Ich weiß noch immer nicht, was Merz uns eigentlich sagen wollte


Stadtbild im Sauerland: Friedrich Merz am vergangenen Wochenende bei einem Bürgerdialog in Meschede. Die Stadt liegt ganz in der Nähe seiner Heimat Arnsberg.
(Foto: dpa)
Geht es bei Friedrich Merz und seinem "Stadtbild" um Abschiebungen oder geht es um Parallelgesellschaften? Geht es um ein generelles Unbehagen allen Menschen gegenüber, die irgendwie ausländisch aussehen? Man weiß es nicht. Er erklärt es ja nicht.
Die erste "Stadtbild"-Äußerung von Friedrich Merz ist mittlerweile mehr als eine Woche her und noch immer ist unklar, was der Bundeskanzler eigentlich sagen wollte. Mir jedenfalls ist es unklar. Aber ich fürchte, außerhalb der CDU geht es vielen so.
Startpunkt der Debatte war der 14. Oktober in Potsdam. Merz absolviert gerade eine Reihe von Antrittsbesuchen in den Bundesländern; an dem Tag war er zu Gast in Brandenburg. Bei der Pressekonferenz, die er zusammen mit Ministerpräsident Dietmar Woidke vor vergleichsweise kleinem Publikum in der brandenburgischen Staatskanzlei gab, wurde auch nach der AfD gefragt.
Merz antwortete ausdrücklich als Parteipolitiker, nicht als Bundeskanzler. Er sprach unter anderem über Versäumnisse bei der Migrationspolitik in den vergangenen Jahren und sagte, seine Regierung korrigiere dies jetzt.
Der Satz, mit dem alles begann
Dann folgten die Sätze, die seither immer wieder zitiert wurden: "Bei der Migration sind wir sehr weit. (…) Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen. Das muss beibehalten werden, das ist in der Koalition verabredet. Und wenn dieses Thema weg ist, werden andere trotzdem bleiben." Er meinte Themen, die erklären, warum die Zustimmung zur AfD so groß ist. Als Beispiele nannte er die Infrastruktur, die Daseinsvorsorge und die Gesundheitsversorgung. "Wir müssen zeigen, dass wir das gut machen, und dann wird das möglich sein" - gemeint war hier offensichtlich: Dann werde es möglich sein, die Wahlergebnisse der AfD zu drücken.
Es dauerte eine Weile, bis Merz' Verweis auf das "Stadtbild" außerhalb der sozialen Medien für ein relevantes Maß an Empörung sorgte. Den meisten anwesenden Journalisten war das Skandalisierungspotenzial seiner Aussage nicht aufgefallen. Denn was Merz meinte, schien klar zu sein: Im "Stadtbild" gibt es keine Veränderung, da sind noch immer genauso viele Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen wie stets. Wer durch eine beliebige Stadt in Deutschland läuft, kann nicht erkennen, dass die Asylbewerberzahlen stark rückläufig sind.
Auch in dieser Interpretation ist Merz' Aussage nicht unproblematisch, sie hat einen rassistischen Unterton: Sie unterstellt, dass Menschen mit Migrationshintergrund im "Stadtbild" generell ein wie auch immer geartetes "Problem" sind.
"Ich glaube, da interpretieren Sie zu viel"
Merz' Bemerkung war also mindestens unglücklich. Aber wahrscheinlich meinte er nur Personen, die "vollziehbar ausreisepflichtig" sind - einen anderen Schluss lässt der Kontext kaum zu.
Am 15. Oktober wurde Regierungssprecher Stefan Kornelius auf die Merz-Äußerung vom Vortag angesprochen. Kornelius war in Potsdam dabei gewesen, in der Bundespressekonferenz wurde er gebeten, auszuführen, "was genau Herr Merz mit Blick auf das Stadtbild gemeint hat und inwiefern das im Zusammenhang mit Rückführungen, also Abschiebungen steht". Eine berechtigte Frage.
Eine wirkliche Antwort gab Kornelius nicht, aber was sollte er auch sagen? "Der Kanzler hat sich verplappert"? Wohl kaum. Stattdessen sagte er etwas, das in eine solche Richtung ging: "Ich glaube, da interpretieren Sie zu viel hinein." Eine gute Antwort.
"Kein Problem mit dem Stadtbild" - oder doch?
Dummerweise kann eine solche Antwort keine Debatte beenden. Der Journalist fragte denn auch gleich nach, ob Merz "in irgendeiner Form Probleme mit dem Stadtbild in deutschen Städten" habe. Kornelius entgegnete, er glaube nicht, "dass der Bundeskanzler ein Problem mit dem Stadtbild hat".
Ein solches Problem scheint Merz allerdings doch zu haben. Wiederum ein paar Tage später, nach dem Strategietreffen des CDU-Präsidiums, wurde er am Montag selbst gefragt, was er mit seiner "Stadtbild"-Äußerung denn nun gemeint habe - was er damit habe bezwecken wollen und ob er etwas zurückzunehmen habe.
Merz lächelte, während der Journalist seine Frage formulierte, er hatte sie wohl erwartet. "Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben, und wenn unter diesen Kindern Töchter sind, dann fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte." Er schaute den Journalisten dabei an, als sei dessen Frage ein bisschen doof gewesen. "Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort." Eine klare Antwort? Merz selbst gab keine.
Flucht nach vorn, in die Sackgasse
Er habe "gar nichts zurückzunehmen", fuhr Merz fort, "im Gegenteil, ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern. Und der Bundesinnenminister ist dabei, daran etwas zu ändern. Und wir werden diese Politik fortsetzen."
Woran? Woran will Merz etwas ändern? Worum geht es hier überhaupt? Der Verweis auf etwaige Töchter öffnete ein ganz neues Feld für Interpretationen. Merz hat mit dieser Antwort das Thema Abschiebungen ergänzt um die gefühlte oder reale Bedrohung von Frauen. Aber wer bedroht sie? Männer? Alle Männer, die irgendwie ausländisch aussehen? Alle vollziehbar Ausreisepflichtigen, gefährlich oder nicht?
Klarer wurde gar nichts, im Gegenteil. Mit seiner Weigerung, eine einfach so dahingesagte Bemerkung zu erklären, machte Merz sich nur noch angreifbarer. Er glaubte vielleicht, die Flucht nach vorn anzutreten. Aber da stand er schon in der Sackgasse.
Drei Möglichkeiten
Strategisch war sein Vorgehen nicht klug. Spätestens jetzt steht das "Stadtbild" in einer Reihe mit seinen "kleinen Paschas", dem angeblichen "Sozialtourismus" von Ukrainerinnen und dem Satz über "300.00 Asylbewerber", die "sich die Zähne neu machen" lassen.
Was also hat Merz gemeint? Es gibt kaum mehr als drei Möglichkeiten. Die erste: Merz wollte nicht zugeben, dass seine "Stadtbild"-Äußerung missverständlich war. Zweite Möglichkeit: Er will der AfD Wähler abjagen, indem er es macht wie diese - er bauscht gefühlte Wahrheiten auf und bedient Wahrnehmungen, die mindestens latent rassistisch sind. Und drittens: Merz haut einfach gern mal rassistische Sprüche raus.
Welche Möglichkeit ist es? Ich weiß es nicht, man kann es nicht wissen, Merz erklärt sich ja nicht. Die dritte Version halte ich für ausgeschlossen, die zweite für unwahrscheinlich. Denn dieser Strategie will Merz ja ausdrücklich nicht folgen, wie er mehrfach deutlich gemacht hat.
Jammern ist keine Strategie
Unionsfraktionschef Jens Spahn versuchte sich am Mittwoch im Frühstart bei ntv in einer eigenen Interpretation. Demnach geht es beim "Stadtbild" um "ganze Stadtteile", in die sich Juden und Homosexuelle nicht mehr hineintrauen, um Bahnhöfe, an denen "junge Männer, oft ausreisepflichtig, rumlungern", um die Silvesterkrawalle an der Sonnenallee in Berlin-Neukölln, wo auch Ladenbesitzer mit Migrationshintergrund "solche Straßenbilder" nicht sehen wollten. Der Haken dabei: Merz sprach an jenem Dienstag in Potsdam nicht über Parallelgesellschaften, sondern über Abschiebungen.
Was Spahn in diesem Interview sagt, das sagt er so oder ähnlich seit Jahren. In der Zwischenzeit war er Minister, jetzt ist er Chef der Kanzlerfraktion. Wenn man der Regierung angehört, beklagt man Probleme nicht - man löst sie. Alles andere hilft nur denen, die den Weltuntergang beschwören.
Quelle: ntv.de