
Ein weiterer Antrag zur Geschäftsordnung - vielleicht auf Ende der Debatte?
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Nach ihrem Selbstbild ist die AfD die demokratischste aller Parteien, viel demokratischer als die "Altparteien". Dieser Mythos wird vom Parteitag in Bremen gründlich widerlegt.
"Wir dürfen auf diesem Parteitag nichts beschließen, über das wir nicht richtig nachgedacht haben", sagte Bernd Lucke am Samstag in der Satzungsdebatte auf dem AfD-Parteitag in Bremen. Ein kurioser Satz. Doch es ging noch weiter. "Die Satzungskommission hat sich viele Gedanken gemacht - bitte folgen Sie dem Votum des Bundesvorstands."
Die AfD legt größten Wert darauf, basisdemokratisch zu sein, demokratischer jedenfalls als die so verabscheuten "Altparteien", deren Parteitage doch nur Inszenierungen seien. Aber die Basisdemokratie der AfD kommt über die Ebene von Geschäftsordnungsanträgen nur selten hinaus. Es ist das Problem, das schon die Piraten hatten: Jedes Mitglied kann sich für einen Parteitag anmelden und dort dann nach Herzenslust "GO-Anträge" stellen - wovon zahlreiche Mitglieder ausgiebig Gebrauch machen.
Klingt nach Chaos - aber wo ist das Demokratiedefizit? Es liegt in der schwindenden Geduld der Delegierten, die dazu führt, dass die Basis sich selbst entmündigt. Längst ist es so, dass AfD-Mitglieder unter Querulantenverdacht stehen, die mehrere Anträge bei Parteitagen einreichen. Man muss zugestehen, dass die Geduld des Plenums am Samstag groß war. Am Ende war sie aufgebraucht - und um den Satzungsentwurf pünktlich zu beschließen, war der Parteitag bereit, auf die Debatte von mehreren Dutzend Änderungsanträgen zu verzichten.
Beispielsweise zu Paragraph 17. Eine Rednerin versuchte vergeblich, Änderungsanträge zu diesem Punkt zu diskutieren und abstimmen zu lassen. Künftig gilt, ohne dass der Parteitag dies auch nur diskutiert hat, dass es keine Vereinigung in der AfD geben darf, deren Mitglieder sich auf Abstammung, Nationalität oder Geschlecht beziehen. Das "gemeinsame Merkmal" einer Vereinigung darf auch nicht "auf eine politische Richtungsentscheidung hindeuten". Klingt nach einem radikalen Verbot. Geändert werden kann diese Regel jetzt nur noch mit Zweidrittelmehrheit - vor der Verabschiedung des Satzungsentwurfs hätte eine einfache Mehrheit gereicht.
"Ich beantrage das Ende der Debatte"
Doch selbst bei den offiziell diskutierten Teilen der neuen Satzung war nicht immer klar, ob die Mitglieder wirklich verstanden haben, worum es gerade ging. Wiederum zugestanden: Es ist ein höchst anspruchsvolles Vorhaben, sich mit 1500 Parteimitgliedern Paragraph für Paragraph durch einen Satzungsentwurf zu kämpfen. Dabei kann der Überblick schon mal verloren gehen. Die Tagungsleitung könne "nicht immer sicherstellen", dass alle anwesenden Parteimitglieder "alles verstanden haben", räumte Präsidiumsmitglied Marcus Pretzell ein. "Ich habe heute hier auch schon über was abgestimmt, wo ich nicht wusste, worüber ich abgestimmt habe." Um eine Lanze für die "Altparteien" zu brechen: So etwas ist bei ihnen kaum vorstellbar.
Der bei weitem häufigste Satz, der bisher auf diesem AfD-Parteitag zu hören war, kam in kurzen Abständen vom Tagungspräsidium und lautet: "Ich sehe, wir haben einen Antrag zur Geschäftsordnung." Je später es wurde, umso häufiger kam aus dem Plenum der Satz: "Ich beantrage das Ende der Debatte." Solche Anträge wurden sogar gestellt, wenn eine Debatte noch gar nicht angefangen hatte.
Damit ist in der AfD zur anerkannten Strategie geworden, was Lucke bereits in der Gründungsversammlung gemacht hatte. Damals wurde der Entwurf des Wahlprogramms ohne Debatte verabschiedet. Der Verzicht auf Demokratie hatte seinen Grund: Ohne Wahlprogramm hätte die gerade gegründete Partei nicht zur Bundestagswahl antreten können, und genau darauf würden die "Altparteien" ja nur warten, unkte Lucke seinerzeit. Jetzt, knapp zwei Jahre später, ist die Drohkulisse noch immer dieselbe. Er wisse, "dass in den Parteizentralen der Altparteien die Sektkorken knallen würden", wenn die Partei sich in Bremen nicht einige, sagte Lucke in seiner "persönlichen Erklärung". Hier liegt übrigens der Unterschied zu den Piraten: Die AfD hat einen überaus machtbewussten Vorsitzenden. Der ist seit gestern stärker denn je.
Mehrere Redner äußerten am Samstag die Befürchtung, die AfD werde in ein paar Jahren genau dort sein, wo die "Altparteien" sind. Es ist ganz anders: Strukturell ist die AfD schon jetzt eine völlig normale Partei - nur chaotischer. Demokratischer ist sie ganz gewiss nicht. Am Freitag sagte ein AfD-Mitglied, wenn man hier über Anträge abstimme, ohne sie zu kennen, "dann müssen wir uns nie wieder beschweren, wie der (europäische Stabilitätsmechanismus) ESM verabschiedet wurde". Diesen Satz sollte sich die AfD-Spitze hinter den Spiegel klemmen. Dann geniert sie sich beim nächsten Mal vielleicht, wenn sie mit ihrem basisdemokratischen Hochmut hausieren geht.
Quelle: ntv.de