
Die Flut der Anträge kam Bernd Lucke gelegen - am Ende wollten die Mitglieder einfach nur noch ins Hotel.
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Vollständig diskutiert ist der Entwurf nicht, beschlossen ist er trotzdem: Mit knapper Zweidrittelmehrheit geben sich die AfD-Mitglieder beim Parteitag in Bremen eine neue Satzung. Der noch eben scheinbar isolierte Parteichef Lucke steht als strahlender Sieger da.
Um halb acht kündigt Versammlungsleiter Bernd Kölmel einen "historischen Moment" an: Der AfD-Parteitag in Bremen wird über den Satzungsentwurf befinden, der zuvor über Stunden diskutiert und verändert worden war. Doch halt! "Wir haben noch einen GO-Antrag", sagt Kölmel. Es ist das Wort des Tages, des ganzen Wochenendes. Ein weiterer Antrag zu Geschäftsordnung stört den historischen Moment.
Es sind sogar mehrere. Eine Viertelstunde später wird der Entwurf dann schließlich abgestimmt. Die Hürde ist hoch, für einen Erfolg ist Zweidrittelmehrheit nötig. Mit ihren elektronischen Abstimmungsgeräten votieren 1001 der noch anwesenden knapp 1500 Mitglieder für die neue Satzung, die nur mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden kann. 67,5 Prozent, also 0,9 Prozentpunkte mehr als nötig. "Das ist ja für AfD-Verhältnisse geradezu deutlich", sagt der zweite Versammlungsleiter Marcus Pretzell. Die Anwesenden klatschen euphorisch und skandieren "AfD, AfD!"
Um endlich zur Abstimmung zu kommen, waren zuvor rund 40 Änderungsanträge einfach vom Tisch gewischt worden. Es ist eine typische AfD-Entscheidung; Parteichef Bernd Lucke hatte einen solchen Antrag schon früher gestellt, war damit aber noch gescheitert. Jetzt ist das Publikum reif. Wie bereits am Freitagabend wird die Debatte so sehr in die Länge gezogen, dass die Mitglieder - Delegierte gibt es nicht, es ist ein Mitgliederparteitag - die Nase voll haben von Änderungsanträgen, Geschäftsordnungsanträgen und Sondervoten. Sie wollen ins Hotel, vorher vielleicht noch in die Kneipe. Morgen früh um 9 Uhr geht der Parteitag schließlich weiter.
"Ohne GO-Antrag geht niemand nach Hause!"
Auch an diesem Morgen haben sie um 9 Uhr angefangen - mit einem Vortrag. Einem spannenden Vortrag des früheren hessischen Sozialrichters Jürgen Borchert, der haarklein erläuterte, warum die Sozialversicherung Familien mit Kindern auf verfassungswidrige Art und Weise übermäßig belastet. Zwei Stunden hat dieser Vortrag gedauert, danach hat Lucke 40 Minuten lang in einer "persönlichen Erklärung" dargelegt, warum er eine Solo-Spitze für notwendig hält. Die bekommt er auch. Doch die knapp drei Stunden fehlen dem Parteitag am Abend.
Immerhin vier Gastredner hat Lucke nach Bremen geladen, zwei sprechen noch am Sonntagmorgen. Danach sollen, in nur vier Stunden, diverse Nebenordnungen diskutiert und beschlossen werden. Die Gastredner bringen sicherlich Geist in den Parteitag. Doch sie sorgen auch dafür, dass die Zeit für Diskussionen knapp wird. Absicht, Strategie? Die immer häufiger werdenden Anträge, die ein Ende der Debatte zu einzelnen Punkten der Satzung fordern, kamen Lucke bislang jedenfalls gelegen.
Kritiker sagen, die neue Satzung gebe der Bundespartei mehr Macht, sie fördere den Zentralismus in dieser Partei, die so stolz ist auf ihre Vielfalt. Vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden werde diese Satzung daher skeptisch gesehen, sagt einer, der nicht unwichtig ist in der Partei. Von Luckes Co-Sprecherin Frauke Petry hört man dazu nichts, von Vizechef Alexander Gauland aus Brandenburg ebenfalls nicht. Im Mittelpunkt stehen Regeln wie die Einführung eines Generalsekretärs oder eines Parteikonvents als Gremium zwischen Parteitagen (beides angenommen), auch die Trennung von Amt und Mandat (abgelehnt).
Petry hat viel Applaus auf diesem Parteitag bekommen, auf eine Machtprobe hat sie es nicht ankommen lassen. Und so steht Lucke als strahlender Sieger da. Als der Jubel sich gelegt hat, meldet sich noch ein AfD-Mitglied zu Wort. Er will den anderen nur danken, doch Tagungsleiter Pretzell denkt, es gebe einen weiteren GO-Antrag. "Ohne Geschäftsordnungsantrag geht mir hier niemand nach Hause!", witzelt Pretzell. Er wirkt erleichtert.
Quelle: ntv.de