Person der Woche

Person der Woche Der Euro-Notarzt denkt an seinen Job

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Der sozialdemokratische Finanzminister Hollands wird zum Gesicht des Griechenlanddramas. Als Eurogruppen-Chef wurde Dijsselbloem von Tsipras und Varoufakis erst gedemütigt und aus Athen geworfen - jetzt soll er sie retten.

Er sieht aus wie ein venezianischer Kunstprofessor, ist aber holländischer Finanzminister. Er wird in Südeuropa für einen prinzipienstrengen Protestanten gehalten, entstammt aber einer katholischen Lehrer-Familie. Er wirkt auf Linke wie ein neoliberaler Investmentbanker, ist aber Sozialdemokrat und hat seine politische Karriere mit Anti-Nato-Demonstrationen gestartet. Jeroen Dijsselbloem ist ein Mann der Überraschungen.

Jeroen Dijsselbloem

Jeroen Dijsselbloem

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die größte Überraschung lieferte er zum Wochenauftakt seinem Lieblingskontrahenten gegenüber. Seit Monaten wird er von der griechischen Extremistenkoalition als die Verkörperung der europäischen Knechtschaft verunglimpft. Insbesondere Athens selbstgefälliger Finanzminister Yanis Varoufakis hat ihn rüde behandelt wie einen ungebetenen Gast. Seit Monaten erinnert er die Griechen trotzdem geduldig an Regeln, Gepflogenheiten wie wirtschaftliche Vernunft und mahnt, dass sich das Land endlich seriösen Reformen stellen müsse - was seine Beliebtheit in Athen auf das Niveau von Keuchhusten oder Fußpilz hat absinken lassen. Dabei ist Dijsselbloem als Chef der Eurogruppe eigentlich so etwas wie der Sanatoriumsbeauftragte Europas für Staaten, die finanzielle Rekonvaleszenz brauchen. Im Falle Griechenlands ist nun der akute Notarzt-Job daraus geworden.

Zur Überraschung der europäischen Öffentlichkeit, die in Anbetracht der griechischen Verbohrtheit am Montag schon den Grexit erwartet hatte, ist ausgerechnet Dijsselbloem zum großen Handreicher der Griechen geworden. Während eine ganze Reihe von Finanzministern Europas die neuen und erst unverschämt spät in der Nacht zum Montag eingereichten Vorschläge als nicht überzeugend kritisierten, sprach der Oberkritiker der Griechen plötzlich von einem Durchbruch. Die Vorschläge sähen "breit und umfassend" aus, daraus könne man bis zum Wochenende einen Befreiungsschlag machen. Und schließlich: "Die Institutionen werden zusammen mit den griechischen Behörden sehr hart arbeiten, um eine derartige Einigung wenn möglich im Verlauf der Woche herbeizuführen." Es bestehe die Absicht, "bis zum Ende der Woche zu einer Lösung zu kommen".

Dieser Satz aus dem Munde Dijsselbloems löste an Europas Börsen - vor allem in Athen - Champagner-Stimmung aus. Die Aktienkurse schossen nach oben. Schließlich wussten alle Anleger: Wenn der gestrenge Herr Dijsselbloem optimistisch ist, dann dürfte die Sache so gut wie entschieden sein.

Ist sie aber nicht. Denn der Optimismus von Dijsselbloem und EU-Kommissionspräsident Junker wird von vielen Mächtigen Europas nicht geteilt. Angela Merkel warnte vor überzogenen Erwartungen, man sehe nur "einen gewissen Fortschritt", es sei noch ein weiter Weg zu gehen und die Zeit werde knapp. Wolfgang Schäuble wirkte sichtlich angefressen und sieht keinen Durchbruch. Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite meinte: "Wir können nicht einer Regierung helfen, die ihre Verantwortung einfach nicht übernimmt." Im Übrigen habe sie den Eindruck: "Wir sehen ein Land, das schlemmen möchte und sich von anderen das Geld für die Feier geben lassen möchte." Auch der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling ärgerte sich über die Griechen und die nach seiner Meinung sinnlosen Sondersitzung. Er fragte sich, wem er die Reisekosten jetzt in Rechnung stellen könne? Griechenland etwa? Der finnische Finanzminister Alex Stubb stöhnte: "Das ist alles eine riesige Verschwendung von Flugmeilen, sowohl bei den Finanzministern als auch bei den Staats- und Regierungschefs."

Ein Spanier will Dijsselbloems Job

Von Junker kennt man übertriebenen, pro-griechischen Zweckoptimismus bereits seit Monaten. Dijsselbloems positives Urteil aber ist neu. Daher munkeln einige Diplomaten bereits, dass der Niederländer aus ganz eigenem Interesse plötzlich so konziliant sei. Denn Dijsselbloem kämpft um seine Wiederwahl als Eurogruppenchef. Sein Konkurrent ist der große Griechenlandkritiker und spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos. Es steht ein nordeuropäischer Sozialdemokrat gegen einen südeuropäischen Bürgerlichen zur Wahl.

Dijsselbloem hat sich mit seiner konsequenten und mutigen Art, mit den Griechen Klartext zu reden, in den vergangenen Monaten viel Respekt in Europa erarbeitet. Auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben ihn in den wilden Monaten des Griechenland-Dramas schätzen gelernt. Offiziell freilich hat Deutschland den Spaniern Unterstützung bei der Kandidatur de Guindos zugesagt. Madrid wiederum begründet die Kandidatur des spanischen Ministers auch damit, dass Spanien derzeit praktisch keine EU-Spitzenämter bekleidet.

Doch die Mehrheit der Eurostaaten steht nun eher hinter Dijsselbloem, der bereits die Zypern-Krise im Jahr 2013 geschickt und zielstrebig gelöst hatte. Im Gegensatz zum redseligen Juncker, der mit unbedachten Äußerungen schon mal den Euro-Kurs in Kapriolen stürzt, verfügt der Niederländer über ein gutes Maß an Selbstdisziplin. Er werde nicht kommentieren, ob der Euro-Kurs zu hoch oder zu niedrig sei, sagt Dijsselbloem gerne. Die kleine Spitze gegen seinen Vorgänger sitzt.

Dijsselbloem kann sich das Selbstbewusstsein leisten, weil inzwischen die sozialdemokratischen Regierungen, allen voran Italien und Frankreich, seine Wiederwahl weithin unterstützen. Die bürgerlich-christdemokratischen Regierungen aus Nord- und Mittelosteuropa sind mit dem Niederländer aber auch zufrieden. Djisselbloems zweite Amtszeit könnte also nur noch dadurch verhindert werden, wenn die Griechenland-Rettung im großen Desaster endet. Darum ist der Holländer in dieser Tagen plötzlich so milde. Überraschend aber nur für die, die den Überraschungsspezialisten Dijsselbloem nicht kennen.

Quelle: ntv.de

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