Person der Woche Der Guttenberg des Fußballs
04.08.2015, 14:28 Uhr
Pep Guardiola galt vor zwei Jahren als Wundertrainer der Extraklasse. Mittlerweile ist er entzaubert und verärgert immer mehr Spieler und Fans mit Plagiaten seiner selbst.
Er kam, sah und siegte einfach nicht. Pep Guardiola galt vor zwei Jahren als bester Trainer der Welt - und als perfekte Besetzung für einen kraftstrotzenden FC Bayern München, der gerade "das Triple", die Titel in Champions League, Meisterschaft und DFB-Pokal fulminant gewonnen hatte. In München schickte man einen großartigen, aber irgendwie altmodischen Erfolgstrainer Jupp Heynckes in Rente, weil man etwas Cooleres, Internationaleres, Moderneres suchte.
Und der Guardiola-Pep aus Barcelona wirkte neben dem Heynckes-Jupp aus Mönchengladbach wie ein Maserati neben einem VW Golf. Wo Heynckes gute, deutsche Tugenden von Zuverlässigkeit, Bescheidenheit und Disziplin verkörperte, da stand Guardiola für Ambition, Show und die Kunst am Spiel. Inzwischen freilich wünschen sich viele in München Heynckes zurück - weniger Lounge-Cava, mehr Grasgeruch, weniger Maßanzüge, mehr Stollenschuhe, weniger Systemgeklimper, mehr Kampfgeist, weniger Pressekonferenzen, mehr Siege. Denn Guardiola hat nach dem Triple zunächst das Double und schließlich nurmehr das Single geholt - seine Ergebniskurve weist abwärts. Und manche Niederlage in entscheidenden Spielen wird just auf individuelle Trainerfehlentscheidungen zurückgeführt.
Am Wochenende sahen 5,76 Millionen TV-Zuschauer die nächste Pleite von Guardiola. Fußballdeutschland wurde Zeuge wie der smarte Spanier mit seinen braven Bayern zum dritten Mal in Folge am Supercup scheiterte. Und wieder wunderten sich die Experten über so manche Entscheidung des Spaniers. In der 72. Minute wechselte er Rafinha für Lewandowski ein und beorderte Müller in die Sturmspitze, um den gleich darauf auch noch auszuwechseln. Dumm nur dass Müller ausgerechnet einer seiner besten Elfmeterschützen ist, denn prompt ging das folgende Elfmeterschießen verloren. Schon vergangene Saison im Pokal-Halbfinale gegen Dortmund musste Müller vorzeitig raus - und das Elfmeterschießen ging danach verloren.
Guardiola holt Säulenheilige vom Sockel
Müller ist offen sauer auf seinen Trainer, spätestens als er im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona ausgewechselt wurde, obwohl er stärkster Mann auf dem Feld war. "Kann diese Scheiße aufhören?", rief er damals. Offenbar hört sie nicht auf. Bei den insgesamt 96 Einsätzen in den zwei Jahren unter dem spanischen Trainer wurde Müller 51 Mal ein- oder ausgewechselt.
Guardiola verunsichert mit dieser Strategie seine besten Fußballer - auffallend oft aber gerade die deutschen Weltmeister. Nicht nur Müller - der pfadfindende Instinktfußballer - passt offenbar schlecht ins fußballerische Weltbild des Systemfanatikers Guardiola. Auch Bastian Schweinsteiger - das Kämpferherz - ist dem schon zum Opfer gefallen. Ausgerechnet die Inkarnation des FC Bayern musste letztlich gehen, weil Guardiola ihn nicht recht schätzte. Dafür spielen im Mittelfeld jetzt die drei Spanier Martinez, Thiago und Alonso.
Schweinsteiger wie Müller verkörpern deutsche Fußballtugenden wie im Bilderbuch. Sie sind obendrein waschechte Bayern und herzensverbunden mit ihrem Verein. Dass Guradiola diese beiden Säulenheiligen vom Sockel holt, ist ein schwerer emotionaler, aber auch strategischer Fehler. Denn die Bayern verlieren damit das Wesen ihres Spiels. Nach Toni Kroos, Mario Gomez, Emre Can und Bastian Schweinsteiger geben die Bayern immer mehr deutsche Spieler ab. Zugleich wird neben Müller auch Mario Götze gezielt klein gehalten und zum Einwechselspieler degradiert. Ausgerechnet die deutsche Weltmeisterriege wird von Guardiola permanent gedemütigt.
Bayern führen Identitätsdebatte
Die Altvorderen des deutschen Fußballs rechnen daher nun mit Guardiola ab. Peter Neururer regt sich auf: Einen Schweinsteiger rauszuekeln - "da wird mir schlecht". "Da sind mir vor Wut die Tränen gekommen. Wie kann man so etwas erzählen und den deutschen Fußballfan so verarschen?", wütet er bei Sport1 über Karl-Heinz Rummenigges Aussage, er habe Schweinsteiger einen Wechsel zu Manchester United nicht ausschlagen können: "Wenn ich eine Woche später mehr als 30 Millionen Euro für einen Vidal - der zweifelsohne ein überragender Spieler ist - ausgebe, kann ich nur mit den Ohren schlackern. Für mich ist das Verarscherei eines Fußballfans und Romantikers, der ich bin."
Ex-Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld leidet ebenfalls und sagt, was viele Fans inzwischen denken: "Der FC Bayern muss allmählich darauf achten, dass er nicht zu viele ausländische Spieler verpflichtet", mahnt Hitzfeld im "Kicker" und fügte hinzu: "Dieser Trend ist in letzter Zeit zu verzeichnen, während es früher immer das Ziel des FCB war, die besten deutschen Fußballer zu beschäftigen. Die Bayern müssen aufpassen, dass Deutsch die Hauptsprache in der Mannschaft bleibt und nicht nur Spanisch gesprochen wird. Man muss der deutschen Mentalität Rechnung tragen."
Und so hat der FC Bayern plötzlich eine Identitätsdebatte am Hals. Denn kaum sitzt Übervater Uli Hoeneß für zwei Jahre im Gefängnis, wandelt sich sein Verein von der deutsch-bayerischen "Mia san mia"-Bruderschaft zur seelenlosen Multikulti-Truppe.
Wie wäre es mit Jürgen Klopp?
Bislang ist die Ära Guardiola geprägt von einer gewaltigen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der Faszination für eine schillernde Führungsfigur mit großem Auftritt und der Beobachtung, dass der strahlende Trainerheld möglicherweise nur Plagiate seiner eigenen Show produziert. In München kursiert über Guardiola bereits das Wort vom "Guttenberg des Weltfußballs". Alle seien beeindruckt vom eleganten Auftritt auf den Bühnen, von der geschmeidigen Intelligenz und der rhetorischen Begabung. Doch irgendwie schreibe Guardiola nur die Partitur seines Erfolges in Barcelona ab - am besten noch mit spanischen, jedenfalls un-deutschen Spielern.
Das alles klingt jedenfalls nicht gut. Da Guardiola das spürt, kommt es derzeit auch nicht zu einer längst erwarteten Verlängerung seines Vertrages. Der Vertrag läuft im Sommer 2016 aus. Meldungen kursieren, dass er lieber nach England wechseln wolle, als sich weiter in Deutschland eine Show ohne Erfolg zu leisten. Für Guardiola geht es in dieser Saison um alles, vor allem um seinen Ruf. Bleibt der abermals so weit hinter der Benchmark vom biederen Jupp Heynckes zurück, dann wird man sich bald wieder einen deutschen Trainer in München wünschen. Einen der bescheidener auftritt, weniger coole Anzüge trägt, deutsche Weltklassespieler schätzt und weniger hintergründige Sprüche klopft, dafür aber häufiger gewinnt. Jürgen Klopp zum Beispiel wäre so einer.
Quelle: ntv.de