Person der Woche

Person der Woche Jetzt gilt es für Jeremy Corbyn

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Das britische Unterhaus findet wohl keine Mehrheit für Theresa Mays EU-Brexitdeal. Es droht eine Regierungskrise. Scheitert die Regierungschefin, schlägt die Stunde von Oppositionsführer Corbyn. Doch dessen Plan ist riskant.

Die absehbare Niederlage von Theresa May heute Abend beim Brexit-Entscheid des Parlaments dürfte in Großbritannien ein politisches Erdbeben auslösen. Mit dem mühsam ausgehandelten Abkommen scheitert zugleich eine Regierung; das Königreich taumelt einem "No-Deal-Brexit" entgegen, eine Staatskrise steht bevor. Notfall- und Aufschiebepläne machen zwischen Brüssel und London die Runde. Doch die Zeit ist knapp, denn wenn Großbritannien den Brexit bis in den Mai verschiebt, müsste das Land bei den Europawahlen absurderweise noch mitwählen, heißt es aus Brüssel.

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Auch Jeremy Corbyn hat ein Brexit-Problem.

(Foto: REUTERS)

Die Premierministerin warb bis zur letzten Minute für ihren Deal und warnte die Abgeordneten davor, sich über das Ergebnis des Brexit-Referendums von 2016 hinwegzusetzen. Wer sich ihrem Deal verweigere, begehe einen "Vertrauensverrat" an der britischen Bevölkerung. Zugleich mahnte sie in dramatischem Tonfall vor einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs im Falle eines EU-Austritts ohne Abkommen. Schottland werde dann seine Unabhängigkeit einfordern und Nordirland die Vereinigung mit Irland suchen. Doch die Drohungen verpuffen.

Da die regierenden Tories in der Brexit-Frage tief gespalten sind, richten sich nun viele Blicke auf den Oppositionsführer Jeremy Corbyn, den 69 Jahre alten Chef der Labour-Partei. In der Regierungskrise könnte er zum Retter in der Not aufsteigen. Unter seiner Ägide ist die alte Arbeiterpartei zu neuer Stärke angewachsen, die Umfragewerte sind gestiegen, Zehntausende neuer Mitglieder wurden gewonnen, mit 540.000 Briten ist Labour jetzt wieder die größte Partei der EU. Corbyn setzte auf einen stramm linken Kurs und mobilisierte damit die alte Stammwählerschaft.

Doch auch Corbyn hat ein Brexit-Problem und eiert im Moment der Entscheidung gewaltig herum. Die Mehrheit seiner Parteimitglieder (eine Umfrage hat 72 Prozent ermittelt) will am liebsten mittels eines zweiten Referendums den Brexit zu Fall bringen. Unter der Losung "Love Corbyn - hate Brexit" mobilisieren immer mehr Funktionäre für einen Exit vom Brexit.

Auch Corbyn hat seine Fraktion immer weniger hinter sich

Doch Corbyn hat sich anders positioniert: "We can't stop Brexit" ist seine Losung. Corbyn will aus drei Gründen keine neue Abstimmung. Erstens ist er selbst ein alter, eingefleischter Brüssel-Gegner, der die Europäische Union als ein Europa des Großkapitals und der Konzernbosse ansieht. Zweitens weiß Corbyn, dass auch weite Teile der englischen Arbeiterschaft für den Brexit gestimmt haben. Sie will er nicht enttäuschen und verlieren. Und drittens wittert er in der Regierungskrise ohne zweites Referendum den schnelleren Weg zur Macht.

Corbyns Kalkül geht so: Wenn der "Tory-Brexit" (so sein Wording) keine Parlamentsmehrheit finde, müsse es zu baldigen Neuwahlen kommen. Er werde diese gewinnen und dann mit einer Labour-Mehrheit einen besseren Brexit-Deal, den "Better Brexit" aushandeln. Mit Neuwahlen bekäme Großbritannien "Zeit für weitere Verhandlungen".

"Eine Regierung, die ihre Anliegen im Parlament nicht durchsetzen kann, ist überhaupt keine Regierung", tönt Corbyn in Vorfreude auf den Machtwechsel. Doch sein Kalkül ist ebenso wankend wie das von Theresa May. Denn auch Corbyn weiß seine eigene Partei immer weniger hinter sich. In der Parlamentsfraktion wächst die Gruppe der Remainers, die keine Nachverhandlungen, sondern das zweite Referendum fordern.

Umfragen zeigen zudem, dass Corbyn mit seiner Brexit-Befürwortung ein Wahldesaster bevorstehen würde. Neuwahlen könnten für ihn also auch nach hinten los gehen. Obendrein glaubt in Großbritannien kaum jemand, dass er bei etwaigen Neuverhandlungen mit Brüssel tatsächlich ein besseres Ergebnis aushandeln könnte. Und so wirkt Corbyn mit seinem taktischen Eiertanz wie ein machthungriges Spiegelbild von May: Sie will eigentlich in der EU bleiben, aber ihre Partei zwingt sie in eine Brexit-Politik. Er will eigentlich raus aus der EU, doch seine Partei treibt ihn zu Remain-Experimenten. So taumeln am Ende beide in der Regierungskrise umher.

Quelle: ntv.de

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