Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Das sind die zwei größten Gefahren für Merz' neuen General

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Lassen Sie sich von diesem Foto nicht täuschen: Mitunter wirkt Carsten Linnemann, als könnte er jederzeit das Rednerpult herausreißen und ins Publikum werfen.

Lassen Sie sich von diesem Foto nicht täuschen: Mitunter wirkt Carsten Linnemann, als könnte er jederzeit das Rednerpult herausreißen und ins Publikum werfen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der CDU-Chef hat seine Macht ausgebaut: Carsten Linnemann wird der Lautsprecher der Partei. Er kann reden, ist wütend und laut. Geht das gut?

An diesem Freitag sind die Porträts über den neuen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geschrieben: Wo der 45-Jährige herkommt (Mittelstandsvereinigung, Paderborn, Direktmandat), in welchem Lager er steht (dem von Merz), was er will (Wirtschaftspolitik), was er kann (Programmatik), was er nicht ist (Ostdeutscher, Sozialpolitiker). Der Neue an Merz’ Seite hat aber zudem eine Geheimwaffe, über die bisher kaum jemand spricht. Und über die reden wir jetzt.

Linnemann ist nämlich ein Kommunikationstalent. Und das ist nicht nur sehr selten in der CDU, es ist im gesamten Parteienspektrum Mangelware. Dieses Talent zeigt sich in guten Zeilen, klarer Sprache und einem rednerischen Charisma. Es sind Talente, die in Deutschland einen schweren Stand haben.

Aber fragen Sie sich, geneigte und womöglich skeptische Leserschaft: Wann haben Sie mal jemanden um die Meinung über einen Politiker gebeten und als Erstes eine inhaltliche Aussage bekommen? Oder kommt da eher ein Werturteil, eine Sympathiebekundung oder Abneigung?

Linnemanns Körpersprache ist ein Feuerwerk

Linnemann also tritt am Mittwoch vor die Kameras und stellt sich vor. Merz spricht davon, dass die CDU stärkste Kraft sei, der abgesetzte Mario Czaja betont die gute Teamarbeit und sagt, dass ihn das Tandem mit Merz "stark geprägt" habe - das klingt zwar ein wenig nach Reifenabdruck, aber ist bestimmt ganz nett gemeint.

Als die Kamera auf den Neuen schwenkt, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Linnemann tritt auf wie Waleri Legassow bei der Ankunft am offenen Reaktorkern von Tschernobyl, als sähe er einen gigantischen Unfall, bei dem sofort gehandelt werden müsste. Viermal sagt Linnemann, wann er nun was tun werde, nämlich "sofort", "sofort", "sofort" und "sofort". Mario Czaja? Hatte offenbar die glühenden Brennstäbe und die Grafittrümmer übersehen.

Linnemanns Körpersprache ist ein einziges Feuerwerk. Es ist ein Kaleidoskop der Wutsignale. Oft blickt er zur Seite oder schräg an die Decke, wie ein vom besten Freund gehörnter Ehemann, der diesen bebend vor Wut zur Rede stellt: an der Schwelle zur Gewaltbereitschaft, glühend vor Aggression, die sich nur durch absolute Vermeidung von Blickkontakt im Zaum halten lässt, manchmal für lange Sekunden, bis er wieder ruckartig den Blick auf die versammelten Hauptstadtjournalisten richtet.

Da ist Bewegung und Dynamik

Seine Kiefer mahlen, sein Blick sticht, die Augen weiten sich vor Erregung - es ist kein Zufall, dass Menschen eine weiße Sklera haben, wir sind dafür entworfen, solche Signale zu senden und unsere Hirne sind entworfen, sie zu empfangen. Den Kiefer schiebt er bei geöffnetem Mund nach vorn. Machen Sie das auch mal! Wie fühlt sich das an? Wütend, nicht?

Manchmal schwingt Linnemann die Schultern wie ein Boxer, der Leberhaken übt, etwa als er vom "funktionierenden Rechtsstaat" spricht, was bei Konservativen der alten Schule vor allem Rechtsdurchsetzung und einen starken Staat meint. Er wiegt, schwingt und wuchtet am Pult, dass das Wasser im Glas hüpft wie unter den Tritten eines heranstampfenden Tyrannosauriers.

Manche Sätze beginnt Linnemann mit einem gepressten Atmer, als erwarte er einen Schlag auf die Bauchmuskeln. Ich empfehle Kopfhörer: Man hört Linnemanns Pressatmer. Er drückt die Lippen aufeinander, es ist das klassische Signalverhalten eines Raufbolds in der Dorfdisco, auf das zu achten man in jedem Selbstverteidigungskurs lernt.

"Die ticken doch nicht richtig"

Mit diesem körperlichen Spektakel sticht, das ist ein großes Plus, Linnemann aus der Phalanx öder Redner hervor. Während seine CDU-Kollegen und allen voran Friedrich Merz sich üblicherweise auf ihre Pulte stützen wie auf Rollatoren, wirkt der 45-Jährige, als würde er das graue Möbel jederzeit herausreißen und ins Publikum werfen.

Doch Linnemanns Kommunikationstalent erschöpft sich nicht in Performance. Er beherrscht das, was ein anderer großer Kommunikator im politischen Betrieb, Robert Habeck, kürzlich missen ließ: Empathie. Das zeigen auch seine Buchtitel: Zwei davon, "Die ticken doch nicht richtig" und "Die machen eh, was sie wollen" sind interessanterweise Zitate, wie sie unter unzufriedenen Bürgern vermutet werden.

Linnemann denkt damit vom Empfängerhorizont aus. Weite Teile meiner Beratungstätigkeit wende ich damit auf, Kundinnen und Kunden genau das beizubringen: Kommunikation beginnt beim Empfänger, nicht beim Sender.

Ist das Populismus? Nicht unbedingt. Buch Nummer drei, "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland", ist freilich schon ein mieser Trick. Nicht einmal die linkesten Grünen würden Gegenteiliges behaupten - aber die Überfremdungsangst lässt sich damit natürlich schön befeuern.

Linnemann könnte scheitern

Aber der Befund bleibt: Linnemann kann gute Zeilen: Steuerfreies Arbeiten für Rentner bezeichnet er als "Silver Facharbeiter". Er beschwört die Suche der Deutschen nach Orientierung. Linnemann hat Gespür.

Und doch könnte Linnemann scheitern. Zwei Szenarien sind denkbar. Linnemann wirkt nämlich bei seinen Auftritten auch ein bisschen wie der Darsteller in einer Vorabendserie: angestrengt, theatralisch, man merkt ihm an, dass er wirken will. Seine Ansprachen beherrscht ein übellauniger Grundton. Selbst die berufsmürrische AfD ist gelegentlich um Witz und Kampfeslustigkeit bemüht.

Der neue CDU-General klingt und wirkt dagegen pausenlos angegriffen, grimmig und ganz und gar humorlos, ein Lächeln war zu keinem Zeitpunkt zu sehen, vor lauter Bedrohung und Rezessionsschmerz scheint ihm die Leichtigkeit des Seins ganz unerträglich, kurz: Linnemann zeigt ein Gemüt wie John Rambo mit Schussverletzung. Im Duo mit dem auffahrenden und reaktionären Friedrich Merz, dem Alfred Tetzlaff der CDU, ergibt das eine Mischung, der die Deutschen womöglich doch nicht ihr Vertrauen schenken wollen. Entschlossenheit ist gut, Verkniffenheit kippt schnell ins Unsouveräne.

Ambitionen auf den CDU-Vorsitz?

Linnemann könnte, zweitens, zu gut sein. Was Linnemann von seinem Chef unterscheidet: Er wirkt modern. Während Merz immer ein bisschen verstockt klingt und das Aroma der Fünfzigerjahre verströmt, inszeniert sich Linnemann mit höher-schneller-weiter-Gestus. Könnte er Vorsitz? Diese Frage wird sich stellen, wenn die Wahlen in Hessen, Bayern und Europa schlecht ausfallen.

Die AfD ist auf 22 Prozent. Insofern drücke ich John Rambo die Daumen - und hoffe, dass er das Lächeln lernt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen