Wieduwilts Woche Lina E. und die verstörende Toleranz für den Knochenhammer


Nach der Urteilsverkündung kam es in Leipzig zu Protesten der linken Szene.
(Foto: dpa)
Der Linksextremismus macht durch ein Gerichtsurteil wieder von sich reden. Auf einmal scheint brutale Gewalt ein legitimes Mittel zu sein. Hat der Staat ausgedient?
Die Tabus der anderen sind nicht notwendigerweise die eigenen, das erfährt man manchmal auf verblüffend drastische Art. Ein Beispiel: Rechtsextremismus zeigt sich ja inzwischen oft in subtiler Form und eigentlich ist es ein völlig absurder Gedanke, sich für gemütliches Biertrinken am Vatertag ein großes, knalliges Hakenkreuz zur Deko in einen Pavillon zu hängen. Nicht so in Sachsen, wie wir kürzlich erleben durften.
Ein anderes Tabu ist das der Gewaltanwendung. Jemandem mit einem Hammer die Schädelknochen zu zertrümmern, weil einem dessen mutmaßliche politische Radikalität missfällt, ist eine für die meisten Menschen abstoßende Vorstellung. Wer einmal in den Genuss eines Selbstverteidigungskurses gekommen ist, weiß, dass es schon einigermaßen schwerfällt, mit der nackten, verhältnismäßig weichen Hand in ein fremdes, verhältnismäßig weiches Gesicht zu schlagen. Es fühlt sich komisch an, es widerstrebt. Doch nicht so in der linksextremen Szene. Das zeigt der Fall Lina E. und der seltsame Applaus für linksextreme Attacken. Gewalt ist offenbar doch okay - wenn sie die Guten verüben und es die Bösen trifft.
Lina E. wurde kürzlich verurteilt, weil sie einer kriminellen Vereinigung angehöre. Die dabei im Raum stehenden Gewalttaten umfassten unter anderem das Schlagen mit Eisenstangen auf Kniescheiben und eben Hiebe mit einem Hammer auf ein Gesicht. Der Boulevard spricht daher von "Hammerbande". Das betroffene Gesicht vertrug die Hammer-Behandlung nicht gut und musste mit Metall zusammengehalten werden, damit es nicht auseinanderfällt. Träger des Gesichts, der Kanalarbeiter Tobias N., war in den Augen der Täter ein Nazi, weil er eine Nazi-Mütze trug.
"Nazi auf’s Maul ist keine Floskel"
Dass Radikale aus der Antifa-Szene Gewalt für ein legitimes Mittel gegen Rechtsextreme loben, ist bekannt. "Nazi auf’s Maul ist keine Floskel", so etwas steht auf Pappschildchen linksextremer Demonstranten. Nach Lina E.s Verurteilung allerdings hörte man Beifall nicht nur am linksextremen Rand, sondern auch in der normallinken Wohlfühlzone.
Der sehr talentierte Comedian und Autor "El Hotzo" legte auf Twitter seine ironischen Isolierwände kurz beiseite und wies darauf hin, man könne linksextremer Gewalt leicht entgehen, wenn man kein Nazi sei.
Das ist in der Sache nicht falsch: Wer eine dunkle Hautfarbe hat, ist extremistischer Gewalt unweigerlich ausgeliefert, ein Nazi muss keiner sein. Und doch ist der Tweet ein eiskaltes Achselzucken gegenüber brutaler Gewalt und Selbstjustiz.
Recht auf Gewalt wegen schlechter Klimapolitik?
Nicht minder kühl gab sich der Linken-Abgeordnete Bernd Riexinger. Er twittert ein Zitat der verstorbenen Esther Bejarano: "Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen".
Das ist ein bisschen unverschämt, denn es klingt hier nach: "Wer gegen Nazis kämpft, für den gilt das Strafrecht nicht."
Noch etwas beunruhigender als der Hotzo-Tweet und die pauschale Rechtfertigung durch Linke ist, dass auch gut gestellte Juristen Ambivalenz in Sachen Gewaltausübung zeigten. Ralf Michaels, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, schrieb, das "Gewaltmonopol des Staates und das Verbot der Selbstjustiz sind nur dadurch legitimiert, dass der Staat auch selbst das Recht durchsetzt - gegen Neonazis wie gegen die Klimakatastrophe". Er bezog sich damit wiederum auf den Tweet eines Comedian.
Der Jurist insinuiert damit, dass jeder nach Belieben Durchsetzungsdefizite ausloten und dann gegebenenfalls die Gewalt in die eigenen Hände nehmen dürfe. Was rechtlich hanebüchen und politisch brisant ist: Gewaltmonopol des Staates ja, aber weil der Staat nicht genug gegen Nazis und Klimawandel macht, darf man zum Hämmerchen greifen?
Das "aber" der Gewaltapologeten
Es klingt wie bei den vielen "Free Lina!"-Rufern: Sie sagen das Richtige und verknüpfen es mit dem Wörtchen "aber". Gewalt ist schlecht, aber. Selbstjustiz ist falsch, aber. Gesichtszertrümmerung ist falsch, aber.
Michaels und viele andere stellen dabei das Gewicht ihrer Argumente auf die falsche Waage: Schuld ist individuell, die Schlechtigkeit von Nazis relativiert nicht die Gewalttat von Antifa-Leuten, ebenso wenig vermeintliche oder wirkliche Defizite in der öffentlichen Verwaltung.
Statt "aber" sollte man einmal das Wörtchen "und" probieren: Der Staat ist auf dem rechten Auge womöglich blind - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel. Die Zeugen aus dem rechtsextremen Spektrum lügen womöglich - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel. Prügel für prügelnde Nazis bereitet manchen befreiendes Kopfkino (taz) - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel (ebenfalls: taz). Es ist leichter, sich linksextremer Gewalt zu entziehen, als solcher, die an Hautfarbe oder Sexualität anknüpft - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel. Es gilt sogar: Vielleicht hat das Oberlandesgericht Dresden ein falsches Urteil gefällt - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel.
Die Enttabuisierung des Knochenhammers
Seltsam, dass man das betonen muss. Doch die Enttabuisierung des Knochenhammers schleicht sich in die Mitte der Gesellschaft. Dass Linksextreme jubelnd Videos herumreichen, auf denen Rechtsextreme unvermittelt eine Faust ins Gesicht bekommen, ist nichts Neues. Dass Amtsträger und Hochschulvertreter bei Gewalttaten mit einem "unterm Strich recht so" die Achseln zucken, schon.
Die Sache ist eigentlich recht einfach, wenn man sich zwei Dinge verdeutlicht: Ob Lina E. schuldig ist oder nicht, ist eine juristische Frage, keine politische. Diese Frage müssen daher Gerichte beantworten, sie beurteilt sich nicht nach politischen Einstellungen, Zielen und Umständen, sondern der Beweislage und deren Würdigung durch ein Gericht. Wer dennoch "Free Lina!" brüllt, kann damit nur meinen, die Justiz einschließlich ihrer Mechanismen zur Selbstkorrektur funktioniere nicht. Dafür braucht es mehr Belege als bisher bekannt sind.
Ob man Gewalt zur Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele toleriert, ist wiederum eine politische Frage, keine juristische. Eine juristische Rechtfertigung ist hier nämlich völlig fernliegend - der allergrößte Nazi darf nicht privat verprügelt werden, wenn es nicht gerade um Selbstverteidigung in einem konkreten Fall geht. Wenn die Bundesregierung nicht genug gegen Extremismus und Klimawandel, was immer der damit zu tun hat, unternimmt, ist das keine Rechtfertigung für Knochenbrüche.
Wer hier also applaudiert, applaudiert politisch dem Linksextremismus, der Staatsverachtung und der Selbstjustiz. Die private Gewaltausübung ist ein Tabu im demokratischen Rechtsstaat. Und an manchen Tabus sollten wir trotz des politischen und meteorologischen Klimawandels festhalten. Es gilt also auch: Ja, die AfD liegt jetzt gleichauf mit der SPD - und trotzdem ist Gewalt inakzeptabel.
Quelle: ntv.de