Pressestimmen

Friedensnobelpreis für Tunesier "Angela Merkel wird aufatmen"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an ein tunesische Dialogquartett, das sich um Demokratie in seinem Land im Zuge des Arabischen Frühlings einsetzt. Nominiert war zudem Angela Merkel. Hätte die Kanzlerin die Medaille für ihr Flüchtlingsengagement erhalten, wäre dies ein falsches Zeichen aus Oslo gewesen, meint die deutsche Presse.

Die Neue Osnabrücker Zeitung urteilt: "Angela Merkel den Preis zu geben, wäre drastisch verfehlt gewesen. Flüchtlinge unbürokratisch aufzunehmen in einer Mischung aus Großherzigkeit und blankem Zwang, ist eine starke und humane Geste." Frieden schaffe sie nicht. Das müsse vor Ort geschehen, und so hätte Merkel die Ehrung dann verdient, wenn sie den arabischen Frühling seinerzeit spektakulär unterstützt hätte, wenn sie den Zerfall von Staaten wie Libyen und Syrien zu verhindern geholfen oder anderen Ursachen der Flüchtlingskrise entschieden die Stirn geboten hätte, als noch Zeit und Mittel vorhanden waren, sie zu verhindern, so das Blatt.

"Angela Merkel wird aufatmen", schreibt der Mannheimer Morgen. "Den Friedensnobelpreis hätte sie derzeit so gut gebrauchen können wie ein Glatzkopf Lockenwickler." Ihre generös anmutende Flüchtlingspolitik erhitze schon mehr als genug die Gemüter, vor allem in der Union. Das zeige ihr Absinken im Politbarometer. "Da wäre wenig hilfreich, würde Merkel (wie von Buchmachern vermutet) für 'beispiellose humanitäre Großzügigkeit' geehrt. Zumal dies ihre Argumentation konterkariert hätte, die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen sei selbstverständlich, und ein wohlhabendes Land wie Deutschland müsse dazu auch in der Lage sein. Womit die Kanzlerin Recht hat", meint die Zeitung. Ohnehin sei es sinnvoll, wenn das Nobel-Komitee keine Polit-Prominenz auszeichne, sondern eher Unbekannte. "So sind die Preisträger aus Tunesien eine gute Wahl."

"Nachgeben gilt als Schwäche, ja sogar als Schmach", schreibt der Kölner Stadt-Anzeiger. Politische Ämter werden primär verstanden als Instrumente zur privaten Selbstbereicherung. Zu dieser tief eingeschliffenen politischen Unkultur der arabischen Welt setze der Friedensnobelpreis einen demonstrativen Kontrapunkt. Er ehrt dem Blatt zufolge Menschen, die durch Kompromissbereitschaft, selbstlosen Einsatz für das öffentliche Wohl und Absage an Gewalt ihre Heimat vor der Selbstzerstörung bewahrten. "Gleichzeitig bringt er wieder eine Sehnsucht zum Leuchten, welche vor vier Jahren als Arabischer Frühling die gesamte Welt faszinierte."

Die Stuttgarter Zeitung textet: "Anders als Ägypten hat Tunesien einen moderaten Weg hin zu stabilen Verhältnissen eingeschlagen, freie Wahlen abgehalten, sich eine Verfassung gegeben, die den Spagat wagte zwischen westlicher Moderne und der Tradition islamischer Staaten." Aber es habe Rückschläge hinnehmen müssen - Terroranschläge und Massenproteste. In dieser Lage kam es darauf an, die besonnenen Kräfte zu stärken, Konflikte im Dialog und gewaltfrei zu lösen. Das sei gelungen. "Tunesien ist ein Vorbild, und die Preisträger haben Anteil daran, dass es dies geworden ist. Das Signal aus Oslo kann weltweit ausstrahlen."

Bei allem Jubel sollte aber nicht vergessen werden, dass die Demokratie noch ein zartes Gewächs sei, mahnt der Tagesspiegel. Zwei schwere Terroranschläge in diesem Jahr, bei denen 60 ausländische Touristen ums Leben kamen, signalisierten, woher die größte Gefahr drohe: Die Terrororganisation "Islamischer Staat (IS)", die sich im Nachbarland Libyen ausbreitet, habe Tunesien den Krieg erklärt, um den Staat ins Chaos zu stürzen und den demokratischen Fortschritt zu stoppen, so die Zeitung. "Bei der Abwehr dieser größer werdenden Terrorgefahr, die auch schnell übers Mittelmeer nach Europa schwappen kann, brauchen die Tunesier dringend europäische Hilfe. Denn wenn es nicht gelingt, die IS-Terrormilizen zurückzuschlagen, könnte sich der arabische Frühling in Tunesien doch noch in einen arabischen Winter verwandeln."

Zusammengestellt von Lisa Schwesig

Quelle: ntv.de

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