Pressestimmen

Parlamentswahlen in der Türkei "Ein Sieg der Demokratie"

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Lautstark wie gewohnt ging der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor der Parlamentswahl auf Stimmenfang für seine konservativ-islamische AKP - obwohl ein Staatsoberhaupt eigentlich zur Neutralität verpflichtet ist. Genützt hat das wenig: Nach 13 Jahren verliert die Regierungspartei ihre absolute Mehrheit im türkischen Parlament und ist zu einer Koalition gezwungen. Die Debatte über Erdogans Prunk-Palast hat der AKP viel Sympathie gekostet, jetzt kommt die Quittung. Überraschungssieger der Wahlen ist die pro-kurdische HDP: Mit fast 13 Prozent der Wählerstimmen zieht die Partei nicht nur ins Parlament ein, sondern beendet die Alleinherrschaft der AKP. Kurden im In- und Ausland feiern den Wahlausgang, ebenso die Presse, die darin ein positives Zeichen für die Demokratie in dem Land erkennt.

Erdogans Plan "zum hundertsten Gründungstag der türkischen Republik 2023 eine Türkei zu formen, in der das säkulare Erbe Atatürks weitgehend zurückgedrängt wurde", sei von den Wählern brutal unterbunden worden, analysiert die Landeszeitung aus Lüneburg. Durch den Einzug der HDP ins Parlament, haben die regierende APK nicht mehr die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung hin zu einer Präsidialherrschaft. Geholfen hätten der pro-kurdischen Partei auch Stimmen aus dem Lager der AKP. "Vielen AKP-Anhängern dürfte nämlich eine Zukunft als machtlose Jubelperser eines modernen osmanischen Sultans wenig verlockend vorgekommen sein."

Dieser Denkzettel für den Präsidenten und seine Partei sei "ein Sieg der Demokratie", urteilt der Mannheimer Morgen. Das Ergebnis sei umso erstaunlicher, weil Erdogan im Vorfeld der Wahlen die Werbetrommel für die AKP rührte, obwohl das dem Präsidenten laut Verfassung nicht erlaubt ist. Die Benachteiligung der Opposition - auch in den Medien - zeigte nicht die erwartete Wirkung. "Erdogan und die AKP haben die Quittung für ihre rücksichtslose Klientelpolitik bekommen. Vor allem der Präsident hat sich mit seiner größenwahnsinnigen Selbstherrlichkeit vom Volk auf fast schon groteske Art entfernt."

Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer "historischen Schwelle", über die die Kurden der Türkei geholfen hätten. "Sie haben verhindert, dass das Land sich in eine zentralasiatische Autokratie à la Turkmenistan verwandelt." Jetzt stünde de HDP vor der Wahl: Entweder sie betreiben eine "Fundamentalopposition" und lehnen jegliche Pläne der Regierung ab; oder aber sie stützen die AKP dann, wenn diese vernünftige und konstruktive Vorschläge habe. "Schaffen sie letzteres, hätten die Kurden der Türkei noch eine demokratische Lektion erteilt."

Auch die Stuttgarter Zeitung deutet den Wahlausgang als Niederlage für Präsident Erdogan. Doch nun könne endlich die von ihm erwartete Position als Staatsoberhaupt annehmen "das über den Parteien steht." Insofern sei dies seine Stunde. In einer Erklärung zu den Parlamentswahlen mahnt der Präsident schon zu "verantwortungsvollem Handeln" und "Feingefühl", damit die Demokratie gewahrt bleibe. "Hoffentlich bleibt es bei dieser Besonnenheit. Sonst könnte die Türkei turbulenten Zeiten entgegengehen", erklärt das Blatt weiter.

Die HDP habe das Zeug dazu, "eine türkische Version der deutschen Grünen zu werden", vergleicht die Frankenpost aus Hof. "Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die HDP sich nicht in Klientelpolitik für ihre kurdische Wähler verfangen wird." Dadurch, dass die AKP nun auf einen Koalitionspartner angewiesen ist, zeige sich außerdem, dass Veränderungen in dem Land durchaus möglich seien. "Für das verdorbene politische Klima in der Türkei kann das heilende Wirkung haben."

Zusammengestellt von Katja Belousova

Quelle: ntv.de

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