Zum Tod von Hans-Dietrich Genscher "Hans-Dietrich Genscher war eine Marke"
01.04.2016, 20:52 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit Hans-Dietrich Genscher ist ein großer Staatsmann gestorben. Nicht nur für die Deutsche Einheit hat sich die FDP-Legende verdient gemacht. Ohne ihn wäre auch der europäische Einigungsprozess nicht so weit fortgeschritten, urteilt die deutsche Presse. Beharrlichkeit, Zähigkeit und politisches Geschick haben ihn ausgezeichnet. Bis zu seinem Tod hat er sich für die Weltpolitik interessiert. Hans-Dietrich Genscher war ein Mann mit Leidenschaft für die Politik.
Zum Tod von Hans-Dietrich Genscher erinnert die Die Schwäbische Zeitung an dessen Beitrag zur Deutschen Einheit: "Es gibt wenige Persönlichkeiten, denen unweigerlich Respekt und Hochachtung zuteil werden. Hans-Dietrich Genscher war so ein Mann. Dieser Hans-Dietrich Genscher war ein Staatsmann. Er war weit mehr als ein Zeuge des dramatischen 20. Jahrhunderts, er hat dieses mit Geschick, Können und Mut zugunsten Deutschlands mitgestaltet. Seine diplomatische Kunst ermöglichte die Deutsche Einheit." Und auch nach seiner politischen Karriere habe er immer die politischen Geschehnisse verfolgt: "In den letzten Jahren seines Lebens sorgte sich Genscher um Europa. Über Euro-Kritiker innerhalb der FDP zürnte der Hallenser. 'Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine', war einer dieser Sätze, die für Genscher mehr als ein Programm waren. Es war seine Haltung."
"Mit Augenmaß und Sinn für die politische Realität gestaltete Genscher 18 Jahre lang die deutsche Außenpolitik" erkennt die Badische Neueste Nachrichten das Vermächtnis des verstorbenen FDP-Politikers an." Ohne den FDP-Spitzenmann wäre der europäische Einigungsprozess nicht so weit fortgeschritten und hätte sich die Europäische Gemeinschaft nicht zu einer immer enger zusammenarbeitenden Union weiterentwickelt. Er sorgte wie kein anderer für die Kontinuität und die Verlässlichkeit der deutschen Außenpolitik.
Die Allgemeine Zeitung bescheinigt ihm ein nie wieder dagewesenes Format: "Mit Beharrlichkeit, ja Zähigkeit, mit diplomatischem Geschick und feiner Antenne für den historischen Moment hat der ewige Außenminister von langer Hand das Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Politik geschaffen, ohne das die deutsche Einheit nicht gelungen wäre ... Die FDP hat Genscher geprägt wie kein Zweiter. Keiner seiner Nachfolger, sei es im Regierungsamt oder an der Parteispitze, hat je nur annähernd sein Format erreichen können."
Auch die Neue Ruhr/Rhein-Zeitung spricht von einem Politiker mit besonderen Attributen: "Im Wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, glaubte er an die Kraft des Immer-wieder-Versuchens und Durchhaltens. Vermutlich würde er jetzt wieder pausenlos in der Luft sein, reisen und verhandeln, damit es Frieden gibt; und keine Aufrüstung und Gewalt. Genauso wichtig war ihm das Projekt Europa. Dessen heutige Lage hat ihn bestürzt.
Die Politik ist mehr als ein Beruf für ihn gewesen konstatiert die Neue Ruhr/Rhein-Zeitung weiter: "Es spricht für sein enormes Engagement und seine politische Leidenschaft, dass er sich bis zu seinem Tod für die Weltpolitik interessierte, beriet und sich einmischte. Kaum ein Außenstehender hat davon erfahren. Aber alle, die seinen Rat hören durften, sind ihm dankbar und sie vermissen ihn sehr. Ganz verabschieden konnte er sich aus der Politik nie. (...)
Auch mit der aktuellen Flüchtlingskrise beschäftigte sich Hans-Dietrich Genscher noch intensiv, wie die Mittelbayrische Zeitung betont: "Zuletzt distanzierte sich Genscher in scharfen Worten von den Attacken Seehofers gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Es sei ihm lieber, die Flüchtlinge würden unbürokratisch reingelassen, als dass man sie bürokratisch verhungern ließe." Ebenso kritisierte er aber auch seine eigene Partei: "Gegen den Rauswurf Griechenlands aus dem Euro, der auch in der FDP populär war, wetterte Genscher, wenn man an einer Stelle beginne, Europa aufzulösen, gehe es immer weiter. Einen überzeugten Europäer mit Gewicht und Verhandlungsgeschick wie Hans-Dietrich Genscher sucht man unter den derzeitigen deutschen und europäischen Politikern leider vergebens."
Der Fränkische Tag hält es für unmöglich, einen Nachruf zu verfassen: "Hans-Dietrich Genscher war eine Marke. Und darum taugt dieser Mann auch nicht zum Nachruf. Denn Marken sterben nicht, sie verblassen höchstens ein wenig. Er hinterlässt damit gleichwohl einen Auftrag an den Politikbetrieb von heute. Produziert wieder mehr Marken! Politiker also, die authentisch sind, geprägt von festen demokratischen Überzeugungen, gerne auch kantig oder ein wenig skurril, dafür echt, glaubhaft, einzigartig. Denn Politik funktioniert noch immer und vor allem über Menschen."
Quelle: ntv.de