Zinswende geht an Kunden vorbei Die höheren Zinsen lohnen sich - vor allem für die Banken
14.08.2023, 10:16 Uhr Artikel anhören
Aktuell sind die Leitzinserhöhungen der EZB nicht mehr und nicht weniger als ein großes Bankensanierungsprojekt.
(Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Eines muss man ihnen lassen: Bei der ING können sie rechnen. Dank befristeter Tagesgeldangebote für Neukunden sammelt die Bank im zweiten Quartal 2023 Milliarden an neuen Kundengeldern ein – und verdient ohne Mühe schwindelerregende Summen. Für Sparer sieht es hingegen nur so mittelgut aus.
Mit stolzen 15,6 Milliarden Euro Mittelzuflüssen lief das zweite Quartal 2023 für die ING hervorragend. Die meisten neuen Gelder kamen aus dem Tagesgeldbereich, wo die Bank Neukunden für bis zu 50.000 Euro deutlich höhere Zinsen bot als den Bestandskunden: Während letztere noch mit 0,6 Prozent - später ein Prozent - abgespeist wurden, konnten sich die Überläufer für die ersten sechs Monate immerhin über zwei Prozent - später drei und 3,5 Prozent - freuen, bevor auch sie auf das Normalniveau der ING zurückfielen.

Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
Wie gut die ING durch diese Aktion verdient hat, verdeutlicht ein einfaches Rechenbeispiel.
Unterstellen wir, dass die Neukunden die ganzen sechs Monate Zinssicherheit aussitzen und nicht vorzeitig zu einer anderen Bank wechseln, die ihnen ein besseres Tagesgeldangebot macht. In diesem Fall hat die ING selbst mit dem Sonderzins und allein aus der Aprilanlage rund fünf Millionen Euro daran verdient (EZB-Anlagenzins minus den damaligen Neukunden-Aktionszinsen). Bei dieser Rechnung unterstelle ich, dass die ING im Durchschnitt 1,2 Milliarden Euro an Neukundengeldern pro Woche bei der EZB geparkt hat.
Nun unterstellen wir, dass die Lage so bleibt. In diesem Fall verdient die ING aus den Zinsdifferenzgeschäften mit Neukunden - allein im zweiten Quartal - mehr als acht Millionen Euro Zinsen. Dabei gehe ich davon aus, dass die ING einen Spitzenzins zahlt und nicht nur den Bestandskundenzins. Dieser lag die längste Zeit nur bei 0,6 Prozent, ab August steigt er auf ein Prozent. Das ist immer noch nicht üppig, gegenüber der Masse der anderen Banken aber durchaus brauchbar.
Und wie geht es weiter mit dem Geldsegen der ING? Vermutlich bestens. Denn man darf davon ausgehen, dass die frischgebackenen ING-Neukunden als Bestandskunden (und damit nach Ablauf des Aktionszeitraumes) weiter mit den ING-Standardzinsen zufrieden sein werden. Beim FMH-Tagesgeldvergleich werden die Bestandszinsen am Ende der Garantiezeit in die Rendite eingerechnet, wenn man einen Anlagezeitraum von 12 Monaten ausgewertet bekommen will. Der deutsche Durchschnittssparer wechselt einfach nicht besonders gerne die Bank.
Auch andere Banken können rechnen
Die ING und viele andere aggressive oder auch kundenfreundliche Anbieter kalkulieren erkennbar damit, dass Neukunden über kurz oder lang zu Bestandskunden werden. Und dann lohnt sich der Neukunde erst richtig.
Laut Bundesbankstatistik liegen auf Tagesgeld- und Girokonten in Deutschland derzeit etwa 1,8 Billionen an täglich verfügbaren Geldern. Dieselbe Statistik besagt, dass diese Gelder derzeit im Mittel mit 0,3 Prozent verzinst sind. Für die Kunden, wohlgemerkt.
Die Banken hingegen parken diese Kundengelder regelmäßig bei der EZB - zum EZB-Anlagenzins (0,5 Prozentpunkte unter dem jeweiligen Leitzins) von aktuell 3,75 Prozent. Eine Billion Euro angelegt zu einem Zins von 3,45 Prozent (3,75 minus 0,3) ergibt am Tag immerhin knapp 95 Millionen Euro an Zinsgutschriften von der EZB. Im Monat sind es schon 2,8 Milliarden Euro - verteilt auf alle Banken.
100 Milliarden Euro Bestandskundengelder der ING bedeuten bei einem aktuellen EZB-Anlagenzinsen von 3,75 Prozent monatlich 230 Millionen Euro Zinsdifferenz - und einen ebenso hohen Gewinn für die ING.
Treue Kunden verschenken ihr Geld an die Banken
Zugegeben: Die ING ist die Bank mit dem größten Neukunden- und Bestandskundengeschäft und steht deshalb besonders gut da. Die EZB und nicht zuletzt jeder einzelne Anleger, der sich trotz höherer Leitzinsen mit den Micker-Angeboten seiner Hausbank zufriedengibt, beschert dieser ebenfalls unvorstellbare Gewinne.
Nehmen wir zum Beispiel die Sparkassen und Volksbanken. Auf deren (mit meist maximal 0,5 Prozent verzinsten) Tagesgeldkonten liegen zusammengenommen sogar noch deutlich höhere Summen als bei der ING als Einzelbank. Entsprechend üppig sind auch die Zinsgewinne der lokalen Anbieter.
Vergleichen schützt vor Verlusten
Auch wenn es zynisch klingt: Aktuell sind die Leitzinserhöhungen der EZB nicht mehr und nicht weniger als ein großes Bankensanierungsprojekt. Für Kunden hingegen könnten die Zeiten noch schlechter werden. Denn ab September wird die Mindestreserve bei der EZB nicht mehr verzinst. Das könnten die Banken dazu nutzen, künftig noch knauseriger zu werden.
Die FMH-Finanzberatung erwartet zwar keine Zinssenkungen beim Tagesgeld. Dort, wo die Zinsen steigen, dürfte sich dieser Prozess aber deutlich verlangsamen. Allerdings setzte jetzt die C24 ein Signal, die angekündigt hat, ab 1. September vier Prozent fürs Tagesgeld zu bezahlen. Ein klares Neukundenwerbeangebot, denn diesen tollen Zins gibt es für Neukunden nur, wenn sie auch ein Girokonto eröffnen. Mit dieser Aktion wird vermutlich unterstellt, dass die EZB Mitte September den Anlagenzins auf vier Prozent (Leitzins auf 4,5 Prozent) erhöhen wird. Eine Neukundengewinnung, die fast kein Geld kostet.
Anleger, die mit ihrem Tagesgeld wenigstens eine Art Inflationsausgleich erreichen wollen, haben angesichts dieser Entwicklung nur eine Möglichkeit: Nutzen Sie den FMH-Tagesgeldvergleich und filtern Sie ihr bestes Tagesgeldangebot heraus - es lohnt sich in jedem Fall. Scheuen Sie sich nicht, sofort wieder zu wechseln, wenn es ein neues Angebot mit 0,5 Prozent höherem Zinssatz gibt. Eine Online-Kontoeröffnung ist kein Hexenwerk mehr.
Auf diese Weise verdienen sie zwar keine Unsummen, wie die Banken. Je nach Anlagesumme und gewählter Bank kann die Differenz am Jahresende aber durchaus mehrere Hundert Euro ausmachen. Für 25.000 Euro statt 0,5 Prozent 3,70 Prozent zu bekommen, bedeutet nach 12 Monaten ein Plus von 800 Euro. Bei einem Anlagebetrag von 5.000 Euro sind es immer noch 160 Euro.
Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
Quelle: ntv.de