Modernes Baurecht gefragt "Deutschland braucht keine Fördermittel für Geringverdiener"
11.07.2023, 07:44 Uhr Artikel anhören
Das Kernproblem ist, dass der Neubau in Deutschland im Moment so gut wie tot ist.
(Foto: picture alliance / Rupert Oberhäuser)
"Wer jetzt kein Haus hat, kauft sich keines mehr", klagte einst schon Rainer Maria Rilke. Heute wirken seine Zeilen fast prophetisch. Die Zahl der Neubauten sinkt dramatisch, die der Baugenehmigungen ebenso. Die Gründe für diese Entwicklung erläutert Finanzexperte Max Herbst im Interview - und wagt auch einen Blick in die Zukunft.

Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
n-tv.de: Im Vergleich zum Mai letzten Jahres ist die Zahl der Baufinanzierungen um die Hälfte eingebrochen - und das, obwohl die Kaufpreise zum Teil deutlich fallen. Warum?
Max Herbst: Das Kernproblem ist, dass der Neubau in Deutschland im Moment so gut wie tot ist. Selbst viele etablierte Bauträger ziehen sich inzwischen aus den großen Städten zurück, weil die Kosten explodieren und die Bauvorschriften immer noch viel zu komplex sind. Verkauft wird daher meist nur aus dem Bestand. Hier haben die Preise zuletzt zwar deutlich nachgelassen. Aber das hilft Interessenten nur wenig, wenn sie kein Objekt finden, das zu ihren Bedürfnissen passt oder es bei der Finanzierung klemmt.
Wenn weniger Menschen kaufen oder bauen, steigt der Druck auf den Mietmarkt weiter. Was müsste die Politik Ihrer Meinung nach tun, damit sich das ändert?
Die Politik müsste aufhören, nur an die eigene Klientel zu denken und endlich das Baurecht reformieren. Davon aber ist man in Berlin und in den Ländern leider weit entfernt: Vereinfacht gesagt will die SPD Geringverdiener fördern und die FDP die Gutverdiener entlasten. Die Grünen wollen am liebsten nur noch fürs Klima bauen. Die CDU denkt in erster Linie an die Rentner.
Am Ende kommt dann eine Politik raus, die niemandem hilft: Viel zu viele Vorschriften, viel zu komplexe Förderregularien und eine Baubranche, die nicht zuletzt wegen der Überregulierung ihrer Arbeit in die Krise rutscht. Deutschland braucht aber keine Fördermittel für Geringverdiener. Und um mehr Normalverdiener ins Eigenheim zu bringen, braucht es vor allem ein verschlanktes Baurecht und Bauland, nicht immer neue Fördermittel. Ein Lichtblick könnte sein, die geplante Streichung der Grunderwerbsteuer. Die FMH hat diesen Schritt bereits im vergangenen Jahr gefordert.
Trotz der angespannten Lage gibt es nach wie vor viele Menschen, die auf der Suche nach einer Immobilie sind. Was empfehlen Sie potenziellen Kunden, die ein passendes Objekt gefunden haben, aber wegen der hohen Zinsen noch zögern?
Ganz klar: Zugreifen! Denn die Hoffnung, dass die Preise noch weiter fallen und die Zinsen womöglich auch, wird sich nicht erfüllen. Es ist auf alle Fälle sinnvoller, jetzt zu kaufen, als zu warten und zu riskieren, dass eines der wenigen verfügbaren Objekte bald nicht mehr zu haben ist. Noch besteht die Möglichkeit, sich die Objekte genau auszusuchen und zu verhandeln.
Früher galt die Faustregel: Man muss so finanzieren, dass man mit Renteneintritt schuldenfrei ist. Angesichts der aktuellen Preise und Zinsen ist das aber kaum zu erreichen. Müssen sich Normalverdiener den Traum vom Eigenheim endgültig aus dem Kopf schlagen?
Das ist in der Tat ein Problem. Denn bei höheren Preisen und Zinsen dauert die Tilgung naturgemäß länger - gerade bei Käufern, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Ich persönlich halte es ja für eine absurde Vorgabe, nur jenen Kunden eine Finanzierung zu geben, die ihr Darlehen bis zur Rente abbezahlen können. Denn ob ein Rentner jeden Monat seine Miete oder eine Rate für sein Eigenheim die nächsten 20 Jahre bezahlt, ist eigentlich egal. Allerdings kann man Banken kaum zum Vorwurf machen, dass sie an dieser Praxis festhalten.
Warum?
Weil die Schuld bei der Bankenaufsicht liegt. Die BAFIN übt diesbezüglich sehr viel Druck auf die Geldhäuser aus. Die Idee dahinter ist, dass man massenweise Kreditausfälle verhindern will. Vor dem Hintergrund, dass die Immobilie für jedes Baudarlehen als Sicherheit dient, kann ich das aber nicht ganz verstehen. Man könnte auch die BAFIN-Vorgabe lockern, wenn bis zum Renteneintritt 50 Prozent der Immobilie abgezahlt sind. Dann könnte die Restfinanzierung noch 20 Jahre weiterlaufen.
Die FMH kommt in dieser schwierigen Zeit mit einem neuen Zertifikat für Vermittler von Baufinanzierungen auf den Markt. Warum?
In Deutschland gibt es für rund 1000 Banken rund 50.000 Vermittler, also Personen und Unternehmen, die Kunden und Baufinanzierer zusammenbringen. Wie soll ein Kunde angesichts dieser Masse den passenden Kandidaten finden? Zwar müssen alle Vermittler einen Sachkunde-Nachweis erbringen, um ihr Geschäft betreiben zu dürfen. Wer eine Finanzierung sucht, braucht aber mehr als das. Wichtig ist, gerade in einem schwierigen Umfeld, eine langfristige, solide Betreuung und kundenbezogene Beratung. Genau hier setzt unser Zertifikat an. Wir bewerten den technischen Standard, die Beratungsleistung und, ganz wichtig, die Betreuung zwischen Unterschrift und Darlehensauszahlung. Viele Kunden fühlen sich aber auch im Laufe der Jahre überfordert, wenn sich familiäre oder wirtschaftliche Veränderungen ergeben haben und die Finanzierung nachjustiert werden muss. Auch hier muss ein guter Vermittler noch ansprechbar sein.
Warum wenden Sie sich an die Vermittler und nicht auch an die Banken? Die könnten eine solche Beurteilung auch gut gebrauchen.
Ich glaube, Kunden erwarten von einer Bank weniger Service und Dienstleistung als von einem Vermittler für Baufinanzierung. Aber auch das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Banken und Vermittlern zeigt schon, wo sich mehr oder weniger gute Marktteilnehmer befinden werden. Und wir wollen nicht die Schlechten kennzeichnen, sondern die Guten herausheben. Die ersten drei Vermittler haben sich bereits getraut, ihr Service- und Dienstleistungsangebot von der FMH überprüfen zu lassen. Und sie haben auf Anhieb das Zertifikat erhalten.
Wenn sinkende Preise und Zinsen erst einmal ausgeschlossen sind: Wo glauben Sie, geht die Reise in den folgenden Monaten hin?
Was die (wenigen) Neubauten angeht: Hier sehe ich keine Entspannung, sondern sogar ein Anziehen der Preise. Auch bei den Bestandsimmobilien wird sich auf absehbare Zeit nicht allzu viel tun. Der eine oder andere überteuerte Ladenhüter könnte zwar noch einmal billiger werden. Grundsätzlich aber gilt: Solange nicht mehr gebaut wird und die Nachfrage hoch bleibt, wird sich das Preisniveau in diesem Segment wieder stabilisieren oder sogar anziehen. Und was die Zinsen angeht: Sie werden sich meiner Meinung nach zwischen 3,5 und fünf Prozent einpendeln. Eine Rückkehr zu den Niedrigzinsen von zwei Prozent oder weniger halte ich hingegen auf absehbare Zeit für ausgeschlossen.
Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
Quelle: ntv.de