Die 25.000-Euro-Frage Hohe Inflation, schwache Konjunktur: Ein schwieriger Mix
26.05.2023, 14:44 Uhr (aktualisiert)
Die gestiegenen Energiepreise zählen zu den wesentlichen Inflationstreibern.
(Foto: dpa)
Die Aktienmärkte haben es in diesem Jahr nicht leicht: Hohe Preissteigerungen und Rezessionssorgen verderben den Anlegern die Laune. Doch ganz ohne Aktien geht es auch nicht.
1,99 Euro für 200 Gramm Rispentomaten beim Discounter, also fast zehn Euro fürs Kilo, sind längst nicht mehr die Ausnahme. Benzin kostet trotz staatlichem Rabatt mehr als zwei Euro pro Liter. Und die Gasversorger haben angekündigt, ihre Preise dieses Jahr zu verdoppeln, vorausgesetzt, dass sie im Herbst oder Winter überhaupt liefern können. Die Inflation bekommt jeder Verbraucher schmerzhaft zu spüren. Und ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.

Oliver Zastrow arbeitet als Direktor beim unabhängigen Vermögensverwalter Albrecht, Kitta & Co. in Hamburg.
In der Eurozone sind die Verbraucherpreise im Juni um 8,6 Prozent gestiegen. Damit war die Inflation so hoch wie noch nie seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999. Vor allem Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak haben sich stark verteuert. In den USA ist die Teuerungsrate zuletzt sogar auf mehr als neun Prozent gestiegen. In Deutschland ist die Preissteigerung zwar zuletzt etwas zurückgekommen. Das lag aber vor allem an den staatlichen Tankrabatten und dem 9-Euro-Ticket für den Bahnverkehr, die zeitlich begrenzt sind.
Jetzt ist durchaus zu erwarten, dass die Inflationsrate wieder etwas sinkt. Der Ölpreis, einer der wesentlichen Inflationstreiber, ist auf Sicht eines Jahres um mehr als 40 Prozent gestiegen. Da scheint es doch eher fraglich, ob sich der fossile Energieträger in den kommenden zwölf Monaten noch einmal um weitere 40 Prozent verteuert.
Das dürfte auch deshalb unwahrscheinlich sein, weil die Weltwirtschaft möglicherweise auf eine Rezession zusteuert. Der Preis für Kupfer, der als zuverlässiger Konjunktur-Indikator gilt, weist genau darauf hin. Seit seinem letzten Zwischenhoch im Juni 2022 ist er um mehr als 20 Prozent gefallen. In den zurückliegenden 30 Jahren kam es immer, wenn der Kupferpreis um mindestens 20 Prozent abgesackt ist, zu einer Rezession, immer. Das Industriemetall wird fast überall in der Wirtschaft gebraucht. Damit zeichnet sich ein Szenario ab, das aus sinkender aber weiter hoher Inflation und einer schwachen Konjunktur besteht.
Auf die Fed kommt es an
Bei den Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte spielt in den kommenden Monaten außerdem die amerikanische Notenbank Fed eine entscheidende Rolle. Sie hat in diesem Jahr schon drei Mal die Leitzinsen raufgesetzt – zuletzt auf 1,5 bis 1,75 Prozent. Und Fed-Chef Jerome Powell hat vor Kurzem geäußert, dass es nicht sein wichtigstes, sondern sein einziges Ziel sei, die Inflation zu bekämpfen. Es sind also weitere Zinserhöhungen zu erwarten.
Wenn die Zinsen steigen, gerät der Immobilienmarkt unter Druck. Dadurch sinkt, zumindest auf dem Papier, das Vermögen des amerikanischen Verbrauchers, auch Joe Sixpack genannt. Dasselbe passiert an den Aktienmärkten, wo jeder zweite US- Bürger investiert ist. Dazu kommt, dass die Inflation derzeit die Lohnsteigerungen übertrifft, die realen Einkommen also zurückgehen. Unterm Strich sinkt das Vermögen der Verbraucher, und sie verdienen weniger. Kein Wunder, dass die Konsumlaune in den USA mies ist.
Die 25.000-Euro-Frage
Für die Aktienanleger stellt sich nun die entscheidende Frage, ob es zu einer Abkühlung der Wirtschaft kommt, das Wachstum also zurückgeht, aber immer noch vorhanden ist, oder ob es zu einer Rezession kommt, in der die Wirtschaftsleistung sinkt. Im ersten Szenario, einem sogenannten soft landing, sollten Technologie- und Wachstumswerte besser laufen als der Gesamtmarkt.
Denn diese Aktien wurden in den zurückliegenden Monaten sehr viel stärker abgestraft als der restliche Markt. Da die entsprechenden Unternehmen häufig erst in der Zukunft Geld verdienen werden, leiden sie sehr viel deutlicher unter den steigenden Zinsen. Denn ihre erst in ein paar Jahren erwarteten Gewinne werden dann stärker auf ihren Gegenwartswert abgezinst – das Unternehmen ist dann weniger wert. Bricht das Wirtschaftswachstum nicht ein, sondern kühlt sich nur ab, besteht im Technologiebereich entsprechendes Erholungspotenzial.
Bei einem soft landing wären außerdem Energiewerte interessant. Denn in diesem Fall würde die Nachfrage nach Öl und Co. nicht stark sinken, das Angebot aufgrund mangelnder Investitionen in der Vergangenheit und des Kriegs in der Ukraine aber knapp bleiben. Und Banken würden von den steigenden Zinsen profitieren.
Zeichnet sich dagegen wirklich eine Rezession ab, sollten sich Anleger mit defensiven und weitgehend konjunkturunabhängigen Aktien positionieren. Dazu zählen typischerweise Papiere aus den Bereichen Pharma, Telekom und Basiskonsumgüter. Ihre Produkte und Dienstleistungen werden auch dann gebraucht, wenn die Wirtschaft schrumpft.
Ganz aussteigen sollten Anleger aus den Aktienmärkten nicht, denn es ist erfahrungsgemäß kaum möglich, den richtigen Einstiegszeitpunkt zu treffen, wenn die Märkte wieder nach oben drehen. Dann sind Anleger an den festen Börsentagen nicht dabei, was sich kaum wieder aufholen lässt. Außerdem liefern Aktien langfristig die mit am höchsten Renditen. Schließlich sind in einem Rezessionsszenario langlaufende amerikanische Staatsanleihen aussichtsreich. Diese werfen derzeit eine Rendite von rund drei Prozent ab. Für eine schrumpfende Wirtschaft wäre das deutlich zu viel. Der Zins sollte fallen und die entsprechenden Kurse steigen.
Über den Autor: Oliver Zastrow arbeitet als Direktor beim unabhängigen Vermögensverwalter Albrecht, Kitta & Co. in Hamburg.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 17. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de