Prämiensparverträge vor BGH Sparkasse muss wohl üppigen Zinsnachschlag zahlen
06.10.2021, 16:11 UhrSparer haben sich längst daran gewöhnt, dass es so gut wie keine Zinsen gibt. Vielen Tausend Prämiensparern mit alten Verträgen wurden die Zinsen allerdings unrechtmäßig zu stark gekappt. Eigentlich stehen ihnen Nachzahlungen zu. Was der Bundesgerichtshof nun erneut bestätigt.
Verbraucherschützer haben mit einer Musterklage zu Zinsnachzahlungen für Prämiensparer einen wichtigen Etappensieg errungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte frühere Urteile, wonach viele alte Prämiensparverträge vor allem der Sparkassen unzulässige Klauseln enthalten (Az. XI ZR 234/20).
Aufgrund dessen können Betroffenen Nachzahlungen zustehen. Für die genaue Berechnung dieser Nachzahlungen entschieden die Richterinnen und Richter, dass dem ein Referenzzinssatz für langfristige Spareinlagen zugrundezulegen ist. Die Anpassungen seien monatlich vorzunehmen. Außerdem machten sie Vorgaben, um Negativzinsen auszuschließen.
Andere Punkte blieben offen: Die Auswahl eines geeigneten Zinssatzes soll nun das Oberlandesgericht Dresden mithilfe eines Experten vornehmen. Auch zur wichtigen Frage, ob Ansprüche womöglich schon erloschen sind, gab es keine Festlegung.
Die Verbraucherzentralen versuchen, mit mehreren Musterfeststellungsklagen Bewegung in die Sache zu bringen. Die Klage gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig, über die jetzt entschieden wurde, war die erste davon, die den BGH erreichte.
Sparkasse äußert sich kritisch, Verbraucherschützer jubeln
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband kritisierte das Urteil: Der jetzt vorgegebene relative Abstand zu einem Referenzzins sei je nach Zinssituation für Verbraucher vorteilhaft oder auch nachteilig im Vergleich zu dem derzeit verwendeten absoluten Abstand. "Wir sehen in dem Urteil deshalb nicht unbedingt eine Entscheidung im Interesse der Verbraucher."
Anders beurteilt Julian Merzbacher, Verbraucherschutzexperte von Finanzwende das BGH-Urteil: "Die Zeit der Ausreden ist mit diesem Urteil endgültig vorbei. Einige Banken und Sparkassen haben hier illegalerweise Menschen zu wenig Zinsen gezahlt. Sie müssen nun auch die Konsequenzen tragen. Die Institute sollten nun von sich aus auf alle betroffenen Kunden zugehen. Es wäre unangemessen, um nicht zu sagen verwerflich, weiter auf die Trägheit der Kundschaft zu setzen."
Worum ging es genau?
In vielen Prämiensparverträgen, die in den 1990er und 2000er Jahren abgeschlossen wurden, stehen Klauseln, die es dem Geldhaus erlaubten, den Zinssatz einseitig nahezu beliebig anzupassen. Am BGH geht es um die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig. Dort heißt es etwa in den alten Formularen, die Spareinlage werde "variabel verzinst". Der Zinssatz ändere sich, wenn der Aushang im Kassenraum erneuert werde.
Warum ist das problematisch?
Damals war eine lukrative Verzinsung nichts Besonderes, aber in der Niedrigzinsphase haben die Kreditinstitute nur in eine Richtung angepasst: nach unten - zum Teil auf 0,01 oder 0,001 Prozent. Bei langfristigen Verträgen dürfen Sparerinnen und Sparer aber "ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderungen" erwarten, wie der BGH schon 2004 entschieden hat. Klauseln, die den Banken und Sparkassen völlig freie Hand lassen, sind nicht zumutbar und damit unwirksam. In zwei Urteilen von 2010 hat der BGH auch recht konkrete Vorgaben dafür gemacht, wie in so einem Fall eine Lösung zu finden ist, die auch die Interessen der Sparer berücksichtigt.
Weshalb gibt es dann heute noch Streit und Klagen?
Verbraucherschützer werfen vor allem den Sparkassen, deren Domäne das Prämienspar-Modell war, vor, auf Zeit zu spielen. Oft werde nur auf Drängen hartnäckiger Kunden nachgezahlt - und dann längst nicht alles. "Denn es geht um viel Geld", sagt Michael Hummel von der Verbraucherzentrale Sachsen. Sein Team hat für die Musterklage gegen die Leipziger Sparkasse berechnet, wie viel Zinsen den beteiligten Sparern noch zustehen müssten - und kommt auf durchschnittlich 3100 Euro. Hummel schätzt, dass Hunderttausende Prämiensparverträge abgeschlossen wurden. Aber von diesen Verträgen laufen immer mehr aus oder werden gekündigt, die Ansprüche der Kunden drohen zu verjähren.
Welche Rolle spielen die Musterklagen?
Mit der 2018 neu eingeführten Musterfeststellungsklage können die Verbraucherzentralen in einem einzigen Verfahren für viele Betroffene Ansprüche durchsetzen. Das macht es auch leichter, Grundsatzurteile zu erstreiten. Im Moment führen die Verbraucherzentralen bundesweit neun Musterverfahren zu Zinsnachzahlungen. Davon würden unmittelbar zwar immer nur die Sparerinnen und Sparer profitieren, die sich ins jeweilige Klageregister eingetragen haben. Hummel sieht die Sparkassen aber in der Pflicht, auf sämtliche Betroffene zuzugehen.
Quelle: ntv.de, awi/dpa