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"Handball-Fest" ums Überleben DHB-Team droht "große Gefahr" im ersten Endspiel

Julian Köster spielte sich gegen Frankreich müde.

Julian Köster spielte sich gegen Frankreich müde.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Die Handball-Europameisterschaft produziert eine große Begeisterung, die deutsche Mannschaft überzeugt. Doch nach dem ersten Dämpfer im Vorrundenfinale ist klar: Jedes Spiel ist jetzt ein Endspiel. Und gleich das erste ist kompliziert.

Als die deutsche Handball-Nationalmannschaft erstmals im Laufe dieser Europameisterschaft Kölner Boden betrat, bekam sie einen "Kölschen Empfang" bereitet: Das Traditionskorps des Kölner Karnevals stand für die Mannschaft in voller Montur am Kölner Hauptbahnhof Spalier, begleitet von "Kölle alaaf"-Rufen machten sich Bundestrainer Alfred Gíslason und Co. auf den Weg in ihr Quartier.

Nach Stationen in Düsseldorf und Berlin hat das DHB das Ziel seiner EM-Reise erreicht: In Köln, dem deutschen Handball-Mekka, wo man 2007 den WM-Titel geholt hat und wo Jahr für Jahr in der gewaltigen Kulisse der Lanxess-Arena das Finalturnier der Champions League ausgespielt wird, wird die EM für die Mannschaft zu Ende gehen. Wann und wie, das hat sie trotz der Niederlage gegen den alten Nemesis Frankreich weiter selbst in der Hand.

Zum Auftakt der Hauptrunde trifft die deutsche Mannschaft auf Island, trotz des Weiterkommens bisher eine der Enttäuschungen dieser EM. Handball-Legende Stefan Kretzschmar hatte die Nordeuropäer als "Geheimfavorit" auf dem Zettel, dann gelang dem hochkarätig besetzten Team in der ersten Gruppenphase nur ein Sieg (31:30 gegen Montenegro).

Zuletzt ging man gegen Ungarn, alles andere als ein europäisches Schwergewicht, mit 28:33 böse unter. "Ich habe keine Antwort, ganz ehrlich. Wir machen so viele kindische technische Fehler - das kann einfach nicht wahr sein", sagte der einstige Welthandballer Aron Palmarsson nach dem Desaster der Deutschen Presse-Agentur.

Island ist "so gut wie wir"

Trotz der überraschend schwachen Vorleistung der Isländer, die er 2007 selbst zu WM-Platz acht und dem bis dahin größten Erfolg der Verbandsgeschichte geführt hatte, warnt Gíslason vor seinen Landsleuten: "Das ist eine Mannschaft, die von der Qualität her so ist wie wir. Sie sind eine große Gefahr. Sie sind top besetzt im Rückraum. Sie haben sehr gute Außenspieler und gute Kreisläufer."

Der Rückraum mit Spielmacher Palmarsson, den beiden Magdeburgern Gisli Kristjansson und Omar Ingi Magnusson verkörpert absolute Weltklasse, auf Linksaußen ist der ehemalige Bundesligatorschützenkönig Bjarki Mar Elisson eine Bank. Eigentlich. Denn bisher hat die hochkarätig besetzte Mannschaft ihre nominelle Extraklasse noch nicht auf deutschen Boden gebracht. "Vielleicht ist es gut für uns, dass wir nach so einem Spiel auf die Deutschen treffen. Wir müssen zu 120 Prozent da sein", sagte Palmarsson.

Die Isländer bringen selbst wohl rund 2000 Fans mit nach Köln, dennoch soll die Lanxess-Arena ein gewaltiger Faktor werden auf dem Weg zum nächsten Endspiel (in dem am Samstag Ungarn wartet): "Wir hoffen auf einen gewissen Heimvorteil", sagte Gíslason. 20.000 Menschen werden am Abend im deutschen Handball-Tempel auf die deutsche Mannschaft warten, die Atmosphäre wird die Mannschaft beflügeln. Das weiß man seit dem Weltrekordspiel von Düsseldorf, vor dem ein großes Fragezeichen stand, was eine gewaltige Masse auf den Rängen mit der weiterhin unerfahrenen Mannschaft macht. Das Fragezeichen wischte sie mit einer starken Leistung zum Auftakt weg.

Doch die Zeit der Aufbaugegner ist längst vorbei, das Turnier geht in die Crunchtime. Und eben dort, wo über Triumph oder Pleite entschieden wird, machte die deutsche Mannschaft im Spiel gegen Frankreich wieder die entscheidenden Fehler zu viel. "Wir dürfen uns keine Schwächephasen leisten", forderte Gíslason nun von seinem Team.

Das Frankreich-Spiel, als man den Titelfavoriten wieder am Rande einer Niederlage hatte und dann doch wieder mit leeren Händen dastand, brachte eine Reihe an Erkenntnissen: Mit zunehmender Spieldauer schwand der vor allem fürs Kreisspiel so wichtige Druck aus dem deutschen Rückraum, nachdem Julian Köster sich in Abwehr und Angriff aufgerieben hatte und sein Gegenüber Kai Häfner nie dauerhaft echte Torgefahr produzieren konnte.

"Hinterher ist man immer schlauer"

Der deutsche Angriff kaprizierte sich zu oft auf die Entscheider Johannes Golla, Spielmacher Juri Knorr und eben Köster. Die Außen bleiben zu oft außen vor. Das ärgerte Gislason: "Wir haben vor allem über Rechtsaußen kaum gespielt", sagte der Bundestrainer in der ARD. "Wir haben das gestern angesprochen und trainiert. Wir müssen mehr in die Breite spielen, momentan machen wir das zu wenig."

Mit Timo Kastening und Lukas Mertens verfügt das DHB-Team über zwei starke Außen, große Faktoren waren sie in diesem Turnier noch nicht. Und dann ist da noch die Sache mit den Wechseln: Alfred Gíslason ist ein Trainer, der seiner Stammformation gerne großes Vertrauen und viel Spielzeit schenkt. "Wir haben nicht ganz so die Breite und waren am Ende ein bisschen müde", sagte der Isländer in der "ARD".

Vielleicht habe er früher wechseln sollen, räumte der 64-Jährige ein, vielleicht habe er "Golla ein paar Minuten Pause" geben sollen - "aber hinterher ist man immer schlauer. Und vielleicht hätten wir dann das Spiel weggegeben." Für ein paar seiner Spieler seien die Franzosen, diese "Weltauswahl" (Wolff) auch eine Nummer zu groß gewesen, erklärte Gíslason freimütig. Auch gegen Island rechnet der 64-Jährige mit einem "sehr harten und engen Spiel. Island ist kämpferisch extrem stark." Es wird auch darauf ankommen, wie die Belastung der Führungskräfte während des Spiels gesteuert wird - auch, wenn das Vertrauen des Bundestrainers in die zweite Reihe nicht grenzenlos ist.

"Das wird ein Handball-Fest"

Was die deutsche Mannschaft im Härtetest gegen den Olympiasieger aber vor allem über sich gelernt hat: Sie ist stabil, von einem Vier-Tore-Rückstand kämpfte sie sich wieder zurück, ging zehn Minuten vor Schluss sogar wieder in Führung. Nun ist Island nicht Frankreich, das hat der bisherige Turnierverlauf gezeigt.

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Man wolle "in jedem Spiel ein paar Prozent besser werden", verriet Rückraumspieler Sebastian Heymann den Anspruch der deutschen Mannschaft an sich selbst. Vier Spiele hat die deutsche Mannschaft bei diesem Heim-Turnier, in dem die Begeisterung für den Handball so groß, die Hallen voll und die Einschaltquoten hoch sind, noch mindestens. Es sollen sechs werden, das würde bedeuten, dass mindestens das Halbfinale erreicht wird. Alles andere wäre ein herber Dämpfer für die Euphorie.

"Wir sind noch nicht raus und glauben weiter an uns", sagte Spielmacher Knorr, der sich am Abend an die Spitze der Torschützenliste des Turniers werfen kann. "Es ist noch alles drin. Wir werden uns reinhauen und wollen das Turnier bis zum Schluss genießen. "Um weiter vom ganz großen Wurf träumen zu dürfen, muss erstmal das nächste Spiel gewonnen werden. Die Geschichte spricht für die deutsche Mannschaft: In der gewaltigen Kölner Arena, diesem Handballtempel mit den steilen Rängen und der besonderen Atmosphäre, hat das DHB-Team noch nie ein Turnierspiel verloren. Weder beim märchenhaften WM-Triumph von 2007, noch beim Heim-Turnier 2019, das mit Platz vier endete. "Das wird ein Handball-Fest", versprach Gíslason zum Abschluss noch.

Quelle: ntv.de

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