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Droht Skispringern WM-Debakel? Martin Schmitt warnt Kritiker vor Dampfhammer-Methode

Pius Paschke ist seine Topform entglitten.

Pius Paschke ist seine Topform entglitten.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Erst Höhenflug, nun in der Krise: Pius Paschke ereilt einen Monat vor der Weltmeisterschaft der Skispringer die Krise. Seine Teamkollegen können nicht mit Erfolgen aushelfen. Der Blick geht bange zur WM, oder? Nicht bei Martin Schmitt, denn der frühere Weltklassespringer weiß, was wichtig ist.

Mit einem Kopfschütteln klammerte sich Pius Paschke an seine Ski, dann winkte er kraftlos in die Kamera und verschwand hinter den Kulissen. Beim Skispringen in Zakopane war er im zweiten Durchgang gar nicht mehr gefragt, er hatte es im ersten vermasselt. Nur 123,5 Meter, zu schlecht, um noch eine Chance zu bekommen, es besser zu machen. Der 34-Jährige, der der Elite der Skispringer über Wochen als Gesamtweltcupführender vorausgeeilt war, ist aktuell in der Versenkung verschwunden.

"Manchmal ist es schwer zu verstehen, es sind schwierige Tage für mich", sagte Paschke, der als Favorit in die Vierschanzentournee gegangen, dort jedoch den Erwartungen nicht standhalten konnte und nur Sechster geworden war. Wieder einmal ein Deutscher, dem es so geht. Die lange Durststrecke ohne deutschen Gesamtsieger geht ins 24. Jahr.

Was war er hochgeflogen, der Oldie des deutschen Teams, überraschend für viele. Eher war Andreas Wellinger in diesen Sphären erwartet worden. Jetzt, wo Paschke nicht mehr Wochenende für Wochenende Superlative produziert, wirkt das ganze Team angeschlagen. "Unterm Strich war jeder Sprung einfach ganz weit weg", so Paschke in der ARD und erklärte: "Ich bekomme gerade keine Höhe. Gestern habe ich es mit der Brechstange versucht. In erster Linie muss die Position wieder passen." Es klingt nach Verzweiflung - und nach Ratlosigkeit.

In einer Sportart, in der es so viel um Gefühl geht wie wohl kaum woanders, ist die Hoffnung der ständige Begleiter. "Im Skispringen geht es um Kleinigkeiten. Es sind nicht die großen Ausschläge, aber die Kleinigkeiten muss man identifizieren und Zugriff drauf kriegen, auf den Bewegungsablauf, auf die optimale Materialabstimmung", erklärt der ehemalige Siegspringer und heutige Eurosport-Experte Martin Schmitt im Gespräch mit ntv.de. Es kann so schnell gehen - in beide Richtungen. Einen Tag auf Höhenflug, der nächste ein Absturz. "Wir haben echt gut trainiert. Alles war wie gehabt", so Paschke. Doch dann folgten Platz 37 in der Qualifikation und Platz 32 im Wettkampf.

Druck der Österreicher ist groß

"Es geht im Springen nicht immer so leicht, wenn ich in das fragile System eingreifen muss. Und ich muss hier eingreifen, wenn ich den Schritt nach vorne machen will. Dann laufe ich Gefahr, dass ich meine Automatismen ein bisschen kille und dass es dann nicht besser wird", erklärt Schmitt. "In dieser Situation befinden sich, glaube ich, gerade einige. Der Druck, den die Österreicher machen, ist hoch, da beißen sich relativ viele die Zähne aus."

Sie sind das Maß der Dinge, mit Tournee-Sieger Daniel Tschofenig, Jan Hörl und Stefan Kraft stellen sie gleich drei der Top vier in der Gesamtwertung, mit Maximian Ortner und Michael Hayböck haben sie zwei weitere in den Top Ten. "Ich würde das österreichische Team von der Absprungtechnik her momentan einfach am saubersten sehen und sagen, dass sie, was die technische Lösung angeht, momentan den anderen einen Schritt voraus sind. Und sicherlich sind sie auch im Materialbereich gut aufgestellt", so Schmitt, der aber gleich anfügt: "Aber man darf sich nicht vorstellen, dass sie den Anzug einer anderen Nation geben und dann springt jeder automatisch fünf Meter weiter. Das ist ein individueller Abstimmungsprozess, der zum jeweiligen Sportler passen muss. Also ich glaube nicht, dass sie den absoluten Vorteil haben im Materialbereich, aber sie haben sich ein sehr stabiles Gesamtpaket erarbeitet."

Und so fliegen die Österreicher voraus - alle anderen Nationen, darunter Deutschland - hinterher. Der Automatismus in der Öffentlichkeit: Davon zu reden, wie schlecht alles ist - und das ausgerechnet jetzt, wo mit dem Skifliegen in Oberstdorf und dem Weltcup in Willingen am Wochenende darauf gleich zwei Veranstaltungen in Deutschland auf dem Programm stehen. Daher betont der Olympiasieger und viermalige Weltmeister Schmitt: "Das Schlimmste, was man jetzt machen kann, ist alles infrage zu stellen."

Schmitt stärkt Horngacher

In der Öffentlichkeit aber schwelen die Zweifel. Das liegt auch an Aussagen von Bundestrainer Stefan Horngacher, der in Interviews nicht gerade vor Esprit sprüht. "Wenn ich wüsste, woran es liegt, wäre es cool", sagte der 55-Jährige über das mäßige Abschneiden seiner Springer am Sonntag. Karl Geiger wurde als bester Deutscher Achter, Andreas Wellinger Elfter, auf Platz 21 landete Philipp Raimund, Constantin Schmid und Felix Hoffmann verpassten wie Paschke den zweiten Durchgang, Junioren-Weltmeister Adrian Tittel blieb schon in der Qualifikation hängen.

Im Teamspringen reichte es für die Vier am Samstag hinter Österreich, Slowenien und Norwegen nur zu Platz vier. Was der Bundestrainer entgegen anderer Meinungen "sehr positiv" fand. Gut einen Monat vor der Nordischen Skiweltmeisterschaft spricht er von schlechten Trainingsleistungen. "Es ist noch nicht so, wie es gehört. Es hätte noch viel schlimmer kommen können." Kein positiver Ausblick auf die WM Ende Februar, dabei war Deutschland 2019 und 2021 im Team Weltmeister geworden, 2023 dagegen reichte es nur zu Rang fünf.

Nach der Vierschanzentournee wurde Sportdirektor Horst Hüttel bereits nach dem Verbleib des Bundestrainers gefragt. "Er hat unser volles Vertrauen", betonte Hüttel. "Stefan Horngacher hat einen unbefristeten Vertrag." Auch Schmitt springt Horngacher beiseite: "Der Stef ist ein sehr erfahrener und sehr erfolgreicher Trainer. Er weiß, welche Maßnahmen einen schnell wieder in die Erfolgsspur bringen können und welche Maßnahmen kontraproduktiv sind. Im Skispringen ist die Dampfhammer-Methode, also mal auf den Tisch hauen und sagen, alles ist schlecht, eher die kontraproduktive Methode. Mit Gewalt geht es nicht. Die Springer müssen sich auf einem Niveau stabilisieren dürfen, um den letzten Schritt über die Automatismen machen zu können."

Das sagte auch Horngacher, der nichts von Frust schieben hält und vielmehr Ruhe für seine Springer einfordert. Seit 2019 betreut der Österreicher das deutsche Team, unter ihm gab es sowohl bei den Weltmeisterschaften als auch bei Olympischen Spielen Medaillen. "Der Stef hat in der Vergangenheit schon oft bewiesen, dass er das Team zu alter Stärke zurückführen kann, deswegen sehe ich das jetzt absolut nicht kritisch", betont Schmitt bei ntv.de. "Sein Interesse ist, dass seine Jungs so schnell wie möglich wieder Topleistungen abrufen können, da ist es ihm auch egal, wie er in der Öffentlichkeit wirkt." Und: "Wenn ich eins sagen kann, dann, dass er ein ambitionierter und leistungsorientiert denkender Trainer ist."

Skifliegen als Reset?

Auf dem Weg zur Nordischen Skiweltmeisterschaft (26. Februar bis 9. März) ist allen klar: Es zählen nur Medaillen. Wer 10. oder gar 20. wird, das fragt später niemand mehr. Doch anders als bei den Österreichern ist es auch nicht so, dass der deutsche Nachwuchs mit Macht in den Weltcup drückt. Im zweitklassigen Continental Cup waren an diesem Wochenende unter anderem Stephan Leyhe und Markus Eisenbichler am Start, beide sind bereits 33 Jahre alt und haben viele Weltcup-Springen hinter sich.

Während Leyhe immerhin auf Platz 5 und 15 gesprungen war, hüpft Markus Eisenbichler weit hinterher. Wie Paschke eine Liga höher scheiterte er am Sonntag im ersten Durchgang, am Samstag hatte es nur zu Platz 21 gereicht. Es ist der nächste Tiefschlag nach seiner Nicht-Berücksichtigung für die Vierschanzentournee. Und es ist keine gute Nachricht für die deutschen Skispringer.

Martin Schmitt ist dennoch optimistisch: "Das Team hat sich immer auch dadurch ausgezeichnet, sich auf so ein Großereignis fokussieren zu können." Außerdem könne der das Skifliegen am kommenden Wochenende "etwas freisetzen". "Es kann eine Chance sein, vor allem für Andi (Wellinger, Anm.d.Red.). Er weiß, er ist ein guter Skiflieger und hat gute Erinnerungen an Oberstdorf, da geht er vielleicht mit einer anderen Haltung in den Wettkampf rein." Eine Art Reset, nachdem er am Sonntag noch gehadert hatte: "Ich bin definitiv nicht zufrieden", hatte er da gesagt. Vielleicht klingt das nach Flügen jenseits der 200 Meter am kommenden Wochenende schon ganz anders.

Quelle: ntv.de

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