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Promille für die Profis? Wie der Dartsport mit Alkohol umgeht

Das letzte Laster einer längst vergangenen Darts-Ära: Alkohol

Das letzte Laster einer längst vergangenen Darts-Ära: Alkohol

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschlands Dart-Verband will eine Promillegrenze für Spieler einführen, die Profidart-Organisation PDC das Thema Alkohol so klein wie möglich halten. Welche Rolle spielen Gerstensaft und Mischgetränke beim Darts?

Dass Alkohol bei jedem Darts-Event in großen Mengen getrunken wird, ist offensichtlich. Schon wenige Minuten vor dem Fernsehbildschirm reichen dieser Tage, um die bierselige Atmosphäre bei der Darts-WM im legendären Alexandra Palace förmlich riechen zu können. Sie zu überhören, ist zumindest unmöglich. Die übergroße Mehrheit der 3.000 Zuschauer pro Session im Londoner Darts-Mekka dürfte den Pfeilewerfern jedenfalls eher mit als ohne Alkoholbegleitung zuschauen.

Mineralwasser hat dagegen nur an einem Ort im "Ally Pally" Konjunktur: Auf der Bühne stehen auf den winzigen Stehtischen der beiden Spieler mehrere Flaschen. Dass Wasser abseits der TV-Kameras aber das einzige Getränk ist, auf das die Profis in der Spielvorbereitung setzen, darf bezweifelt werden. Es steht der Vorwurf im Raum, Alkohol werde von den Profis gezielt genutzt, um eine Art Tunnelblick zu bekommen.

Wilde 80er Jahre

In einer längst vergangenen Zeit, als der Dartsport noch nicht hip und cool war, trugen die Spieler ihren Alkoholkonsum offen zur Schau. Damals, als die Profidart-Organisation PDC noch nicht mal eine Idee war, wurden selbst die wichtigsten Turniere in besseren Kneipen ausgetragen, Alkoholdunst und Zigarettenschwaden inklusive. Auf den Tischen der Spieler standen keine Mineralwasserfläschchen, sondern Bier und Aschenbecher.

Völlig wild und enthemmt war es bis in die 80er-Jahre selbst bei den größten Darts-Turnieren der British Darts Organisation (BDO), damals der einzig relevante Dartverband, zugegangen. Bier und Kippe gehörten zum Dartsport wie Pfeil und Board. Da wurden die Pfeile vereinzelt sogar mit Fluppe auf dem Zahn geworfen und während des Spiels wurde tief ins Glas geschaut. Teils auch zu tief. Manch ein Spieler flog auch schon mal vor lauter Trunkenheit von der Bühne.

1988 führte die BDO dann ein Alkohol- und Zigarettenverbot ein. Dem britischen Dartverband wurde der Rang aber schon wenig später von der 1992 gegründeten Professional Darts Corporation (PDC) abgelaufen. Die trägt das Profitum nicht nur im Namen, sondern machte die besten Spieler tatsächlich zu Profis, sammelte Sponsoren ein und führte vergleichsweise hohe Preisgelder an ihre Spieler ab. Der PDC gelang es, den Sport aus den Kneipen in die großen Hallen und auf die Fernsehbildschirme zu bringen. Aber ein altes Laster trägt Darts weiter mit sich herum: Alkohol.

Vorwürfe von Ex-Spielern und Amateuren

Vor allem Ex-Spieler oder solche, die nichts mehr zu verlieren haben, sind es, die auspacken: Dennis Priestley etwa, der erste PDC-Weltmeister überhaupt. 1994 gewann der heute 73 Jahre alte Engländer den Titel im Finale gegen den später 16-fachen Champion Phil Taylor. "Ohne den Alkohol hätte ich in diesem Sport wahrscheinlich nichts gewonnen", sagte Priestley dem britischen Portal "olbg.com" vor Beginn der derzeit laufenden Weltmeisterschaft. Vor seinem BDO-Weltmeistertitel habe er "wahrscheinlich drei oder vier Flaschen Pils getrunken", um seine Nerven zu beruhigen. Entscheidend sei es, den richtigen Pegel zu treffen. "Man muss einfach genau wissen, wie viel man braucht, um die Nerven zu behalten."

Mit harten Anschuldigungen brachte der deutsche Amateur-Dartspieler Jochen Graudenz das Thema im Sommer erstmals auch hierzulande in die breite Öffentlichkeit. "Gefühlt 70 Prozent der Profis sind Alkoholiker", sagte Graudenz in einem Interview mit dem Portal "dartsnews.de". Anschuldigungen, die nicht belegbar sind. Erst recht, wenn sie mit dem Zusatz "gefühlt" daherkommen. Die Berichterstattung und die Vorwürfe von Graudenz wurden von zahlreichen deutschen Profis und auch von der für Kontinentaleuropa zuständigen PDC Europe, einem Ableger der PDC, als unseriös abgetan. Dafür hatten sie auch gute Argumente, schließlich wurde Graudenz in der Berichterstattung zunächst fälschlicherweise als Profispieler bezeichnet, was nicht der Wahrheit entsprach.

Sehr wohl ist der Alkohol aber offenbar trotz aller Professionalisierung auch heute noch nicht ganz aus dem Dartsport verschwunden und wird mitunter als Zielwasser eingesetzt, kommentierte Priestley im bereits zitierten Interview. "Wenn Sie eine Handvoll Spieler nennen können, die dieses Jahr vor ihren Spielen keinen Tropfen Alkohol getrunken haben, bin ich verblüfft."

"Harry Kane könnte zwei Bier trinken"

Wie groß genau die Rolle von Alkohol hinter den Kulissen ist, darüber kann jedoch nur spekuliert werden. "Bei uns ist es nicht so, dass wir das Gefühl haben, das kontrollieren zu müssen. Einfach, weil es nichts ist, was außer Kontrolle geraten ist", sagte PDC-Geschäftsführer Matthew Porter der Deutschen Presse-Agentur in London.

Alkoholkontrollen gebe es auch bei dieser Darts-WM nicht. Der führende Funktionär zog zur Begründung einen Vergleich mit anderen Sportarten heran. "Wenn ich Harry Kane wäre und für Bayern spielen würde, könnte ich zwei Bier trinken und dann in der Allianz Arena auflaufen. Nichts in den Regeln hält ihn davon ab."

Bei den WM-Stars sei übermäßiger Alkoholkonsum kein Thema, stellt der PDC-Chef klar. Er wisse, "dass man keine Topspieler auf Elitelevel in diesem Spiel findet, die von Alkohol profitieren. Andere Spieler, die früher Darts gespielt haben, sind nicht aussagekräftig. Das hat nichts mit dem heutigen Sport zu tun."

Sollten Profis stark alkoholisiert auf der Bühne zu sehen sein, droht Porter mit Strafen. "Wenn Sie in ihrem Job betrunken wären, Ihre Chefs würden Sie bestrafen. Unsere Spieler müssen sich einem gewissen Verhaltenskodex anpassen. Wenn sie das in irgendeiner Form verletzen, werden sie bestraft. Wenn jemand nicht fit für sein Match ist, würde er eine herbe Strafe riskieren."

Alkohol kann für "ruhigere Hand" sorgen

Zwar versucht die PDC das Thema Alkohol zu umschiffen, einzelne mutmaßlich gerstensaftgeschwängerte Momente werden unfreiwillig aber doch zur Schau gestellt. Am ersten Abend der WM im vergangenen Jahr sorgte Mickey Mansell für Aufregung. Beim obligatorischen Sieger-Interview lallte der Nordire, konnte seine Gestik und Mimik nur schwer kontrollieren. "Manchmal liegt es an den Nerven", kommentiert Porter den Vorfall.

Allerdings sind derartige Aufreger absolute Ausnahmen. Und Spieler, die von Bühnen stürzen, gibt es auch längst nicht mehr. Maßloses Trinken habe ohnehin keinen leistungsfördernden Effekt, sagt Medizinjournalist Christoph Specht im Gespräch mit ntv. "Wenn die Dosis zu hoch ist, dann folgt eine Reduktion der Leistung, weil die Konzentration nachlässt. Man ist nicht mehr so schnell, man reagiert auch nicht mehr so schnell."

Alkohol in geringen Mengen könne in Präzisionssportarten wie Darts dagegen in der Tat für eine "ruhigere, zielsichere Hand" sorgen. Insofern könne der Bierkonsum "in einer gewissen Form als Doping" bezeichnet werden, argumentiert Specht.

Promillegrenze in Deutschland geplant

Das sehen auch die Verantwortlichen beim Deutschen Dart-Verband (DDV) so, der in keinem Verhältnis zur PDC steht, sondern nationaler Ableger der World Darts Federation (WDF) ist.

Eine Ankündigung des DDV hat kürzlich dafür gesorgt, dass das Thema Alkohol im Dartsport nun auch seriös diskutiert wird - anders als während der größtenteils reißerischen Berichterstattung zu den Graudenz-Aussagen im Sommer. Der Verband will zum Start der kommenden Saison - ab August 2024 - stichprobenartige Alkoholkontrollen einführen. Die "Sportschau" berichtete darüber zuerst. "In geringen Mengen wirkt Alkohol stimmungshebend, entspannend und angstlösend, deshalb sind wir uns bewusst, dass Alkohol beim Darts einen leistungsfördernden Effekt haben kann", begründet DDV-Sportdirektor Karsten Kuckhoff die Entscheidung im Interview mit ntv.

Anders als zuletzt in vielen Medien berichtet, sind konkrete Promillegrenzen noch nicht festgesetzt. Diese müssten genau wie der exakte Ablauf künftiger Kontrollen noch rechtlichen Prüfungen unterzogen werden. "Es gibt verschiedene Szenarien, wie wir das aufziehen. Entweder wird ein neues unabhängiges Gremium aufgebaut, was sich nur auf Alkoholkontrollen konzentriert. Oder es gibt eine interne Lösung über die Schiedsrichter und Turnierleitungen", berichtet Kuckhoff.

Der DDV befinde sich im Austausch mit anderen Verbänden, die vor einigen Jahren Alkoholkontrollen eingeführt haben, sagt Kuckhoff. "Wir versuchen, von anderen zu lernen."

Auch mit der Nationalen Anti-Doping-Behörde Nada steht der Verband im engen Kontakt. Die Entscheidung der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, Alkohol seit 2018 nicht mehr auf der Dopingliste zu führen, sei für die Verbände "natürlich ein Bärendienst" gewesen. "Seitdem muss jeder Sport selbst gucken, wie er damit umgeht", moniert Kuckhoff.

Malibu und Bacardi gegen den Stress

Für die PDC, die kein Teil von Verbandsstrukturen ist, sondern als profitorientiertes Unternehmen agiert, bietet sich durch das Wada-Reglement eigentlich die Möglichkeit, entspannt mit dem Alkoholthema umzugehen. Jedenfalls könnten sowohl Profidart-Organisation als auch Spieler in der Theorie bei jeder Nachfrage erst einmal darauf verweisen, dass Alkohol von der Wada ohehnin nicht als Doping angesehen wird und es die PDC nichts angehe, was die Spieler vor ihren Auftritten trinken.

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Vergessen wird oft, dass sich vereinzelt selbst aktive Spieler schon zu ihren Trinkgewohnheiten vor Spielen geäußert haben. "Ich trinke einen Dimi Special, so nennen wir das. Das ist ein Malibu mit Orangensaft, gegen den Stress", offenbarte der Weltranglisten-15. Dimitri Van den Bergh vor zwei Jahren im belgischen Fernsehen.

Hat die PDC Angst, dass Sponsoren dem gerade erst zum Mainstream gewordenen Sport künftig fernbleiben? Dass die jetzigen Werbepartner ihre Engagements überdenken, erscheint eher unwahrscheinlich. Zum Großteil handelt es sich bei den großen Sponsoren der PDC um Wettanbieter. Firmen aus einer Branche, die selbst alles andere als unumstritten ist, knicken wegen Alkohol-Enthüllungen ein? Schwer vorstellbar.

Quelle: ntv.de

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