Formel-1-Lehren aus Ungarn Ferrari zerstört sich selbst und Red Bull lacht
01.08.2022, 07:57 Uhr
Bei der Strategie verzockte sich Ferrari in Ungarn kräftig.
(Foto: IMAGO/Motorsport Images)
Max Verstappen gewinnt den Großen Preis von Ungarn, obwohl er von Startplatz zehn ins Rennen geht. Ferrari dagegen erlebt das nächste selbst verursachte Desaster in der Formel 1. Mercedes stößt in die Lücke, während Sebastian Vettel zumindest etwas Hoffnung schöpfen darf.
Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann Max Verstappen den Titel gewinnt
Der Weltmeister fuhr ein überragendes Rennen und konnte sich sogar einen Dreher leisten - seine Überlegenheit war erdrückend. 63 Punkte Vorsprung auf Charles Leclerc eingangs des Wochenendes klangen schon nach einer kleinen Welt, was sind dann die 80 Zähler, die es nun nach dem 8. Sieg im 13. Saisonrennen und zum Auftakt der Sommerpause sind? Doch bei aller Brillanz des 24-Jährigen und seines Teams: Die Konkurrenz von Ferrari half wieder mal gehörig mit.
Nach dem Qualifying fluchte der Niederländer noch über die Motorprobleme, die ihn auf Startplatz zehn zurückgeworfen hatten. Am Sonntag aber zeigte er ein nahezu fehlerfreies Rennen, konnte sich sogar einen Dreher leisten und dennoch ungefährdet gewinnen. Die konstante Extraklasse, die Verstappen inzwischen im Cockpit zeigt, sorgt dafür, dass viele ihm schon jetzt zum unausweichlich erscheinenden zweiten WM-Titel gratulieren wollen. 80 Punkte Vorsprung bei noch neun verbleibenden Rennen und einem Gegner, der vor allem mit sich selbst kämpft? Da müsste schon ganz viel schiefgehen nach der Sommerpause.
Bei Ferrari kracht es gewaltig
Sky-Experte Ralf Schumacher orakelt schon, dass es für Teamchef Mattia Binotto demnächst eng werden könnte. Und der frühere Formel-1-Pilot hat gute Gründe für seine These: Die Scuderia leistete sich reihenweise Fehleinschätzungen, die Reifenwahl und die Taktik waren in Ungarn schlicht mangelhaft. Leclerc kam mit den harten Pneus überhaupt nicht zurecht, Verstappen flog förmlich an ihm vorbei. Dabei hatten zahlreiche andere Teams im Rennverlauf schon die weißen, harten Reifen aufgezogen und festgestellt, dass darauf bei vergleichsweise milden Temperaturen keine konkurrenzfähigen Zeiten möglich sind.
1. Max Verstappen (Red Bull) 258 Punkte
2. Charles Leclerc (Ferrari) 178
3. Sergio Perez (Red Bull) 173
4. George Russell (Mercedes) 158
5. Carlos Sainz (Ferrari) 156
6. Lewis Hamilton (Mercedes) 146
7. Lando Norris (McLaren) 76
8. Esteban Ocon (Alpine) 58
9. Valtteri Bottas (Alfa Romeo) 46
10. Fernando Alonso (Alpine) 41
11. Kevin Magnussen (Haas) 22
12. Daniel Ricciardo (McLaren) 19
13. Pierre Gasly (AlphaTauri) 16
14. Sebastian Vettel (Aston Martin) 16
15. Mick Schumacher (Haas) Haas 12
16. Yuki Tsunoda (AlphaTauri) 11
17. Zhou Guanyu (Alfa Romeo) 5
18. Lance Stroll (Aston Martin) 4
19. Alexander Albon (Williams) 3
Und selbst Leclerc gab zu: "Die harten Reifen haben nicht funktioniert, also mussten wir einen zusätzlichen Stopp einlegen" - und damit den Traum vom Podium aufgeben. Auch Carlos Sainz rätselte: "Wir waren am Freitag deutlich die Schnellsten, und am Sonntag kamen wir kaum hinterher. Das müssen wir verstehen." Ferrari hatte auch an diesem Wochenende das schnellste Auto, machte aus den Startplätzen 2 und 3 aber nur die Endplatzierungen 4 und 6. Noch sind zwar neun Rennen zu fahren, doch nichts deutet darauf hin, dass die Scuderia den Turnaround schafft. Viel mehr müssen die Roten aufpassen, nicht von den wiedererstarkten Mercedes übertrumpft zu werden. George Russell ist in der Fahrerwertung schon an Sainz vorbeigezogen.
Es ist erschreckend, dass die Erwartungshaltung nach einem guten Qualifying mittlerweile zu sein scheint, mit welchen Fehlern Ferrari sich diesmal um ein starkes Rennergebnis bringen wird. Mal sind es technische Probleme wie beim Motorschaden in Aserbaidschan, mal sind es verkorkste Boxenstopps und viel zu oft läuft es wie nun in Ungarn, dass die Strategie mehr Fragen und Probleme aufwirft, als Antworten und Lösungen anzubieten.
Mercedes erinnert wieder an den Serienweltmeister
Im Duell von Verstappens Red Bull mit dem immer verzweifelter wirkenden Ferrari-Team ging die nächste Mercedes-Sternstunde fast unter. Lewis Hamilton fuhr auf Platz zwei und damit zum fünften Mal nacheinander aufs Podium, George Russell rundete von der Pole Position startend als Dritter das nächste starke Ergebnis ab. Der Ferrari mag das stärkste Auto im Feld sein, die Konstanz und Fehlervermeidung bei Hamilton und Russell stach wieder einmal heraus. Der Rekordchampion hat trotz des miserablen Saisonstarts inzwischen sechsmal auf dem Podest gestanden - Leclerc nur fünfmal.
Zurücklehnen werden sich die Silberpfeile aber nicht. "Darauf müssen wir aufbauen", forderte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff stattdessen und hatte bei aller Zufriedenheit sogar Anlass zum Hadern: "Wäre Lewis weiter vorne gestartet, glaube ich schon, dass wir Max etwas hätten entgegenhalten können. Lewis war so bärenstark, das war schön zum Anschauen." Alles gut ist bei den einstigen Überfliegern aber nicht: Für die bisherige Saisonleistung gab Wolff seinem Team die Schulnote vier, für das Ungarn-Rennen eine Zwei. Es ist also Luft nach oben. Das Ziel für die verbleibenden neun Rennen scheint klar: Ferrari überholen. 30 Punkte trennen die ewigen Rivalen nur noch in der Konstrukteurswertung.
Vettel startet Abschiedstour mit Wiedergutmachung
Viel war spekuliert worden über die Zukunft des viermaligen Weltmeisters, der Heppenheimer lieferte die Antwort dann selbst. Am Ende der Saison ist Schluss, nach dann 15 Jahren in der Formel 1 soll die Familie im Mittelpunkt stehen. Vettel wirkte gelöst und locker, nachdem er seine Entscheidung veröffentlicht hatte - und zeigte dann ein sehr ordentliches Rennen. Im Aston Martin holte er in seinem letzten Rennen in Ungarn Platz zehn und den nächsten WM-Punkt. Neun Rennen umfasst nun seine Abschiedstour durch die Königsklasse, nächster Halt ist im belgischen Spa Ende August.
Die Qualifikation und Startplatz 18 waren noch enttäuschend verlaufen, der AMR22 ist trotz des nächsten Updates weiter kein Auto, das auf eine Runde konkurrenzfähig ist. Im Renntrimm überzeugt der Bolide deutlich mehr, Vettel (von 18 auf 10) und auch Lance Stroll (von 14 auf 11) machten jeweils Plätze gut. In der Konstrukteurswertung bleibt Aston Martin mit 20 Punkten auf dem schwachen neunten Platz, nur Williams steht schlechter da, immerhin schrumpfte der Rückstand zu AlphaTauri (27 Punkte) und Haas (34) ein wenig. Mit besserer Ausgangssituation, also Startplatz mindestens in Nähe der Top Ten, lässt Vettels unbestrittene fahrerische Klasse zumindest auf eine Verbesserung hoffen.
Red Bull kann sich nur noch selbst schlagen
Christian Horner hatte reichlich Grund zur Freude. Das enttäuschende Qualifying mit den Plätzen 10 (Verstappen) und 11 (Perez) war am Sonntagnachmittag vergessen, stattdessen war der Red-Bull-Teamchef zu Scherzen aufgelegt. "Bei dem Dreher hat ihn eine starke Windböe erfasst", teilte er seine nicht ganz ernst gemeinte Sicht auf Verstappens Fauxpas, "aber die Reifen hat er dadurch schön warm gekriegt." Dass Red Bull nach einem verpatzten Samstag seine Führung in beiden WM-Wertungen ausbaut auf einer Strecke, die dem eigenen Auto eigentlich nicht liegen sollte, ist der nächste große Schritt zum Titel.
Während Ferrari sich mit der Strategie komplett verzockte, funktioniert die Taktik bei Red Bull zum wiederholten Male - und dann sitzt da eben Max Verstappen am Steuer. Dass der Niederländer in Budapest gewann, verdeutlichte zum wiederholten Male, warum er neben Lewis Hamilton längst als Maß aller Dinge in der Königsklasse des Motorsports. Wann immer die Konkurrenz Möglichkeiten eröffnet, ist das Duo zur Stelle. Nach 13 Rennen steht Verstappen bei acht Siegen, einem zweiten und einem dritten Platz, nur in Silverstone erreichte er das Ziel außerhalb der Punkteränge. Dazu die beiden Ausfälle in Bahrain und Australien zu Saisonbeginn. In der Fahrerwertung liegt der Niederländer scheinbar uneinholbar vorne, bei den Konstrukteuren liegt Ferrari schon 97 Punkte zurück. Tendenz jeweils steigend.
Quelle: ntv.de, tsi/sid