Per Zug durchs EM-Land Ukraine 5000 km für eine Pirouette von Mario

Suchen das Abenteuer: Christopher (l.) und Frank aus Jena. Und wie sie erzählen, haben sie es auch gefunden.

Suchen das Abenteuer: Christopher (l.) und Frank aus Jena. Und wie sie erzählen, haben sie es auch gefunden.

(Foto: Stefan Giannakoulis)

Sie sind jung, sie lieben Fußball, sie haben wenig Geld. Also machen sich viele Fans fröhlich per Bahn auf den Weg, um die deutsche Mannschaft bei dieser EM zu begleiten. Quer durch die Ukraine und wieder zurück. Und wenn dann Mario Gomez in Charkow den Ball ins niederländische Tor zaubert, sind alle Strapazen vergessen.

Wer nicht dort war, hat es im Fernsehen gesehen. Tausende fröhliche deutsche Fans hatten den deutschen Fußballern bei ihrem Auftakterfolg gegen Portugal bei ihrer ersten Partie bei dieser Europameisterschaft in Lemberg mit beeindruckender Präsenz auf den Rängen ein Heimspiel beschert. Beim Sieg gegen die Niederländer mehr als 1000 Kilometer weiter östlich in Charkow waren es zwar die Anhänger aus dem sympathischen Nachbarland, die die Szenerie dominierten und große Teile des Metalist-Stadion in fröhliches Orange tauchten.

Balletttänzer Gomez lässt alle Strapazen vergessen.

Balletttänzer Gomez lässt alle Strapazen vergessen.

(Foto: dapd)

Doch sie hatten es auch leichter, schließlich tragen die Holländer alle drei Gruppenspiele in der zweitgrößten Stadt der Ukraine aus. Und wenn es schlecht läuft, können sie nach der dritten Partie gleich wieder nach Schiphol fliegen. Die Fans des DFB-Teams hingegen müssen reisen. Nach Lemberg. Von Lemberg nach Charkow. Und, wenn sie alles sehen wollen, auch wieder zurück. Doch sie tun das gerne. So wie Christopher und Frank, 28 und 25 Jahre alt. Sie sind jung, sie lieben Fußball, sie haben wenig Geld - sie fahren mit dem Zug. Von Jena über Cottbus, Breslau und Krakau nach Lemberg, erstes Spiel, dann weiter über Kiew nach Charkow, zweites Spiel, wieder zurück. Insgesamt mehr als 5000 Kilometer. Und sie haben Spaß dabei.

"Irgendwie ist das auch ein Stück Abenteuer"

Auch auf der Fahrt von Lemberg nach Kiew, mit dem Reporter im Schlepptau. Wer die Hauptstadt erreicht und nach Charkow will, hat ungefähr die Hälfte geschafft. Die ukrainische Staatsbahn braucht für die 542 Kilometer zehneinhalb Stunden. Viererabteil, links und rechts zwei Klappbetten übereinander. Fenster öffnen verboten, sagt die Schaffnerin, die arg an Heidis strenges Fräulein Rottenmeier erinnert. Wobei das mit den Fenstern egal ist, weil die sich eh nicht öffnen lassen. Wer sich bewegt, der schwitzt. Wer nicht, der auch. Gefühlte 56 Grad. Gute Nacht. Christopher sagt: "Irgendwie ist das auch ein Stück Abenteuer."

Reisen durch das EM-Land Ukraine ist ein wenig wie Interrail für Erwachsene. Nachtzüge sind beliebt, weil man so das Geld für ein Zimmer spart. Komfort spielt keine Rolle, dafür aber das Gefühl, sich für etwas entschieden zu haben, das nicht konventionell ist. Mit dem Flugzeug kann jeder, zumindest jeder, der es bezahlen kann. Es sind die Geschichten, die man hinterher erzählen kann. So wie Christopher und Frank vom Schaffner in Krakau, der ihnen erst mitteilte, dass es den Wagon, für den sie ihre Platzkarten gekauft hatten, leider nicht gebe, dann einen Bus organisierte und den beiden für den Weg nach Lemberg lapidar "good luck" wünschte. Oder von den russischen Hooligans, Oberkörper frei, Sonnenbrille auf, die an einem polnischen Provinzbahnhof die Deutschen fragten, ob man sich nicht prügeln wolle. Und Christopher nachdrücklich aufforderten, das Foto, dass er mit seiner Digitalkamera gemacht hat, aber ganz schnell wieder zu löschen.

"Würstchen, Pommes, Bier und Disko"

Um kurz vor fünf am Spieltag sind sie in Lemberg angekommen. "Keine Menschenseele, nur die Putzfrau am Bahnhofsklo. Um sieben hat dann McDonalds aufgemacht." Übernachtet haben sie im Zweimannzelt im Fancamp zwölf Kilometer vor den Toren der Stadt. "Topanlage, alles da", berichtet Frank. "Würstchen, Pommes, Bier und Disko." Und ein Shuttlebus zur Fanmeile in der Innenstadt und zum Stadion. Aber das ist es nicht. Auch nicht der Fußball. Zumindest nicht nur. "Es war schon das Ziel, das Land so zu entdecken, wie wir es gerade machen." Anders also als die deutsche Mannschaft, die von Danzig aus nur zu den Spielen einfliegt und nach dem Abpfiff wieder entschwebt.

Dabei ist die Vorstellung, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Mesut Özil und Mario Gomez lägen zu viert im Schlafwagen und müssten sich von Fräulein Rottenmeier sagen lassen, dass laute Musik absolut verboten ist, durchaus reizvoll. Aber zum Glück ist der DFB so reich, dass er für seine Spieler mehr als 60 Euro ausgeben kann, die die Zugfahrt zwischen den Spielorten Lemberg und Charkow kostet. Christopher und Frank haben ausgerechnet, dass sie jeder für die Reise durch die Vorrunde 800 Euro bezahlen. "Inklusive Karten." Wobei nicht zuletzt die Spiele der deutschen Mannschaft für so manche Strapaze entschädigen. Und wenn Mario Gomez gegen die Niederlande mit dem Ball am Fuß eine Pirouette dreht wie ein Balletttänzer und dann auch noch das Tor zum 1:0 erzielt - dann hätten sie ihm das zwar nicht zugetraut. "Aber das war schon geil." Und hinterher haben Christopher, Frank und die anderen deutschen Fans im Metalist-Stadion die Übermacht in Orange dann doch übertönt. Sieger schreien halt lauter.

Fazit: Es klappt alles viel besser, als sie gedacht hatten. Auch mit der Verständigung. "Irgendjemand spricht immer Englisch. Und wir sind ja nicht die einzigen Ausländer, die während der EM unterwegs sind." Ansonsten halten sie es wie Bundestrainer Joachim Löw. Der ließ bei der Pressekonferenz nach dem Sieg gegen die Niederlande einen ukrainischen Fragesteller erst seelenruhig sein Anliegen vorbringen, nahm dann den Kopfhörer ab, über den der Dolmetscher übersetzt, und sagte: "Tut mir leid, ich hatte keinen Ton." Pause. "Aber ich glaube, ich weiß, was Sie meinen."

Quelle: ntv.de

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