Das DFB-Spiel im Schnellcheck Beckenbauer? Deutschland hat Boateng!
26.06.2016, 20:41 Uhr
Bundestrainer Joachim Löw und sein Tor-Debütant Jérôme Boateng im Spiel gegen die Slowakei.
(Foto: imago/Ulmer/Teamfoto)
Hatten Sie den Verdacht, dass Jérôme Boateng auf dem Feld irgendwas nicht beherrscht? Den Torabschluss etwa? Vergessen Sie es! Kann er auch. Und das noch spektakulärer als er Gegner abräumt. Fragen Sie mal die Slowaken.
Das ist im Stade Pierre Mauroy passiert:
Gäbe es Jérôme Boateng noch nicht, die Thinktanks in Hollywood würden wohl tüchtig an seiner Erschaffung arbeiten. Denn wie ein in der amerikanischen Traumfabrik designter Superheld rettet der 27-Jährige dieser Tage die von jeglichen äußeren und inneren Gefahren bedrohte deutsche Nationalmannschaft. Mal als Tatortreiniger im Einsatz, mal als ehrlicher Mahner und jetzt sogar als Torjäger. Gibt's eigentlich irgendetwas, was dieser Typ, der dem Leben mit der Lässigkeit einer Freizeitzigarette (niemand spricht hier von kiffen, also bitte keine Unterstellungen) begegnet, nicht kann? Seit heute Abend müssen wir diese Frage endgültig mit einem entschiedenen NEIN beantworten. Mit seinem Distanzhammer zum frühen 1:0 gegen wehrhafte, aber harmlose Slowaken ebnete der Bayern-Verteidiger der DFB-Elf den Weg ins Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft. Dank weiterer Treffer von Mario Gomez (43.) und des starken Julian Draxler (63.) dürfen sich der Bundestrainer und sein Team über einen nie gefährdeten 3:0 (2:0)-Sieg freuen – und nun auf Spanien oder Italien. Aber das entscheidet sich erst morgen Abend (ab 18 Uhr im n-tv.de-Liveticker).
Einen ausführlichen Spielbericht lesen Sie hier.
Die Highlights im Spielfilm:
7.Minute: K-K-K-Kombination: Freistoß Toni Kroos, Kopfball, Sami Khedira, Parade Matús Kozacik – Klasse.
8. Minute, TOR FÜR DEUTSCHLAND, 1:0, BOATENG: Ach, was sollen wir uns denn lange ärgern, schließlich haben wir ja jetzt auch den Fernschuss-Boateng. Aus 25 Metern hält der Jéròme einfach den Schlappen unter einen herausgeköpften Ball der slowakischen Abwehr. Und was macht der Ball? Er schlägt unten links ein. Wat'ne Rakete vom Tatortreiniger.
13. Minute, ÖZIL VERGIBT ELFMETER: Ein kleiner Schubser von Martin Skrtel gegen Mario Gomez im Strafraum, ein beherzter Pfiff vom Schiedsrichter. Gelb für den slowakischen Kapitän und Elfmeter für Deutschland. Mesut Özil läuft an – aber Kozacik pariert. Herrje ... historisch. Also historisch schlecht. Also noch schlechter als 1976.
24. Minute: Geht schon wieder gut los mit dem Chancenwucher. "Toreo" Gomez legt mit dem Köpfchen clever für Özil ab, der aber kann auch keine Zwölfmeter - und legt den Ball per unbedrängter Direktabnahme lässig am Pfosten vorbei.
41. Minute: Na guck an, die Slowaken stehen nicht bloß im Weg rum, sie wehren sich. Flanke von Peter Pekarik, wuchtiger Kopfball von Juraj Kucka – aber Gemach, da steht ja noch Manuel Neuer im deutschen Tor und pariert, natürlich. Ist dieser Mann je zu überwinden?
43. Minute, TOR FÜR DEUTSCHLAND, 2:0, GOMEZ: Schrieben wir gerade noch von einem möglichen Ausgleich? Vergessen Sie's. Vorentscheidung ist jetzt Phase. Startelf-Comebacker Draxler fummelt sich mühelos in den Strafraum, sieht den "Toreo", der vollendet. Zweites Turniertor, zwei zu null.
49. Minute: Die beiden Irokesen mucken auf. Marek Hamsik zieht in den Strafraum, findet Kucka, der von der Kante der "Box" (jetzt schreiben wir das aus lauter Synonymwahn auch) mit einem tüchtigen Versuch an Neuer scheitert.
63. Minute, TOR FÜR DEUTSCHLAND, 3:0, DRAXLER: Dieser Draxler. Kommt einfach wieder rein, schert sich nix um die bescheidenen Kritiken nach Spiel eins und zwei und hämmert den Ball volley aus spitzem Winkel in den Knick. Das kann man schon so machen ...
91. Minute: Hätte er sich verdient, dieser Toni Kroos. Was? Ein Tor. Klappt aber (noch) nicht, weil Kozacik auch um 19.48 Uhr noch hellwach ist.
Teams & Tore
Deutschland: Neuer – Kimmich, Boateng (71. Höwedes), Hummels, Hector – Khedira (76. Schweinsteiger), Kroos – Müller, Özil, Draxler (71. Podolski) - Gomez; Trainer: Löw
Slowakei: Kozacik – Pekarik, Skrtel, Durica, Gyömber (84. Salata) – Skriniar, Hrosovsky, Hamsik – Kucka, Weiss (46. Gregus) – Duris (64. Sestak); Trainer: Kozak
Tore: 1:0 Boateng (8.), 2:0 Gomez (43.), 3:0 Draxler (63.)
Zuschauer: 49.822, Stade Pierre Mauroy
Schiedsrichter: Marciniak (Polen)
Was war gut?
Eigentlich fast alles. Zumindest aus deutscher Sicht. Defensive Stabilität, kreative Impulse aus dem Mittelfeld und variables Spiel in der vom Bundestrainer so beliebten letzten Linie. Aber das Allerbeste, beziehungsweise der Allerbeste, war einmal mehr Jérôme Boateng. Tor erzielt, sein erstes übrigens im 63. Länderspiel, alle Zweikämpfe gewonnen (entsprechend also 100 Prozent Quote) und dann auch noch diese öffnenden Pässe, wie einst Franz Beckenbauer. Sie verdrehen jetzt die Augen und denken: Wieder so ein unsinniger n-tv.de-Vergleich. Wir widersprechen: Denn die Adelung kommt nicht von uns, sondern von Thomas Müller. Der ernannte seinen Klubkameraden nämlich bereits im vergangenen Oktober, nach dem 5:1-Sieg der Bayern im Topspiel gegen den BVB, zum Kaiser. Und Beckenbauer selbst, damals Gast im Sky-Topspiel-Studio? Er grinste und wollte nicht widersprechen. Sehn'se?
Was war nicht gut?
Marek Hamsik. Hochgelobt wurde der Star des SSC Neapel vor dem Spiel. Seine technischen und spielordnenden Qualitäten, seine Distanzschüsse. Angesichts der kräftigen Lobeshymnen aus allen (deutschen) Richtungen, konnte man den Eindruck gewinnen, ein neuer Messias des europäischen Fußballs fordere den Weltmeister heraus. Und der habe keinen so richtigen Plan, was er gegen diesen Hamsik ausrichten solle. In Wahrheit, und die liegt ja auf'm Platz (die fünf Euro werfen wir gerne ins schon prall gefüllte DFB-Phrasenschwein), bekam der Neapolitaner kaum einen Stich im Mittelfeld. Mit großer Fürsorge nahmen sich gleich mehrere deutsche Spieler dem slowakischen Strategen abwechselnd an. Und so bleibt halt nur Folgendes: Auffällig war lediglich seine Frise (okay, nochmal fünf Euro ins Phrasenschwein).
Die Überwindung des Spieltags:
Wir wollen gar nicht wissen, was für innere Kämpfe der Bundestrainer in den Tagen und Stunden vor dem Spiel ausfechten musste. Mario Götze, Löws vermeintlicher Lieblingsschüler, fand sich mit Anpfiff nämlich dort wieder, wo er bei den Bayern seinen Stammplatz hat: auf der Bank. Für den 24-Jährigen rückte Julian Draxler zurück in die Anfangsformation und dort auf die linke Seite. Die hatte er bereits gegen die Ukraine und Polen beackert, ohne sich allerdings das Prädikat "unverzichtbar" zu verdienen. Aber nochmal kurz zurück zu Götze und der Lieblingsspielerthematik. Die gibt's nämlich gar nicht, wie Löw dieser Tage im DFB-Basecamp erklärt hatte: "Es gibt keine Trainerlieblinge. Ein Trainer sieht jedes Training und kann sich das beste Bild machen." Nun, im Fall von Draxler wiederum können wir festhalten: Zum Optiker muss der Bundestrainer aktuell definitiv nicht.
Der n-tv.de-Irrglaube des Tages:
Das Wetter! Vehement hatten wir darauf hingewiesen, dass es mit Anpfiff zu regnen beginnen würde, hatten schlimme ausgsburg'sche Deja-vu-Erlebnisse heraufbeschworen. Doch dann das: strahlend blauer Himmel über Lille, nichts mit plitschplatsch. Wir entschuldigen uns gerne: Sorry fürs Kirremachen!
Die Einwechslung des Spiels:
Luuuuukas Podolski – müssen wir mehr sagen? Nein. Er spielt, wie schön!
Der Tweet zum Spiel:
Wie war der Schiedsrichter?
Also urteilten unsere Schiedsrichter-Experten "Collinas Erben": Das einseitige und faire Spiel stellte Szymon Marciniak insgesamt vor keine nennenswerten Probleme. Der Strafstoß für die DFB-Elf in der 13. Minute war berechtigt, weil Skrtel erst am Trikot von Gomez gezogen und den deutschen Angreifer dann auch noch gestoßen hatte. Da der Slowake auf diese Weise einen aussichtsreichen Angriff unterband, war auch die Gelbe Karte für ihn folgerichtig. Korrekt war zudem die Verwarnung für Kimmich kurz nach dem Wechsel wegen eines unsportlichen Handspiels, mit dem ein slowakischer Angriff gestoppt wurde. Mit zunehmender Spieldauer verlor der an sich souverän pfeifende polnische Referee etwas die Konzentration – womöglich wegen des klaren Spielstands –, einige kleine Fehler (wie ein nicht gegebener Eckstoß für die Slowakei in der 54. Minute nach einem von Hummels ins Toraus abgefälschten Freistoß) waren die Folge. Deutlich falsch war die Gelbe Karte gegen Mats Hummels, der in der 67. Minute im Zweikampf mit Sestak kontrolliert den Ball gespielt hatte und auch nicht mit übertriebenem Fußeinsatz zu Werke gegangen war. Insgesamt dennoch ein guter Auftritt von Marciniak, der viel Ruhe ausstrahlte und bei der Zweikampfbeurteilung eine sinnvolle Linie walten ließ.
So war's im Stade Pierre Mauroy:
Also sprach n-tv.de-Spielbeobachter Stefan Giannakoulis: Jonas Hector hat Recht behalten. Wie ihm denn der frisch verlegte Rasen im Stade Pierre Mauroy gefalle, wurde er am Tag vor diesem Achtelfinale gefragt. Das könne er schlecht sagen, antwortete der Kölner Linksverteidiger, er habe ihn ja bisher nur gesehen und noch nicht darauf gespielt. Kurzum: "Er ist grün." Das ist er in der Tat. Grün ist die Farbe der Hoffnung, und das ließ sich durchaus auf das Spiel der deutschen Mannschaft bei ihrer Rückkehr nach Lille übertragen. Mit der erfrischenden Leistung gegen überforderte Slowaken könnte es ja doch noch was werden bei dieser EM. Gar nicht grün hingegen waren sich der ebenfalls frische Elfmeterpunkt und Mesut Özil. Nun ja. Und die Fans der DFB-Elf? Waren denen des Gegners zahlenmäßig arg überlegen und kosteten das auch aus: "Super-Deutschland olé!" Die Fans aus der Slowakei riefen mehrere Male etwas, das sich anhörte wie: "Believe Beckenbauer!" Kann aber nicht sein, oder? Wir räumen ein: Unsere Kenntnisse der slowakischen Sprache tendieren gegen Null. In diesem Sinne: Dobrý večer!
Quelle: ntv.de