... doch die DFB-Elf war schon gescheitert Die sieben Erkenntnisse der EM
03.07.2012, 11:34 Uhr
Wie reagieren wir auf den Rückstand? Bundestrainer Löw (l.) und Assistent Flick rätseln. Auch Torwart-Trainer Köpke ist überfragt.
(Foto: dpa)
Was lernt der Fußball-Liebhaber aus der EM? Dass Stürmer überflüssig sind. Dass die Uefa gar kein Interesse an Fußball hat. Dass Bundestrainer Joachim Löw etwas Entscheidendes fehlt. Außerdem: Wie die DFB-Elf Italien schlagen kann.
Joachim Löw fehlt ein Plan B
Der Trainer der deutschen Fußballer ist der Meister des Matchplans. Joachim Löw durchdenkt jedes Detail, lässt sich nicht von vorherigen Fußballräuschen blenden, sondern orientiert sich strikt am nächsten Gegner. Was er vor den Spielen an Strategien für sein DFB-Team entwirft, das funktioniert - solange sich der Gegner in den Spielen an Löws Matchplan hält. Tut er das nicht, wie Italien, dann zeigt sich wie schon bei der EM 2008 und der WM 2010: "Soforthilfe am Unfallort ist nicht seine Spezialität", wie es die "Süddeutsche Zeitung" formuliert. Nur einmal ist das DFB-Team bei der EM in Rückstand geraten, und sofort daran gescheitert. Das große Vorbild Spanien ist mit einem Rückstand ins Turnier gestartet - und daran gewachsen.
Die Ukraine ist schön
Wer kannte vorher schon Lemberg? Oder gar Charkow ganz im Osten des Landes an der Grenze zu Russland? Die vielen deutschen Fans, die die DFB-Elf durch die Vorrunde begleitet haben, waren dort. Und alle, die wir dort getroffen und gesprochen haben, waren begeistert. Von der malerischen Lemberger Innenstadt, mit leicht morbiden Charme zwar, aber schön, das nahezu südeuropäische Flair, die vielen Cafés und Restaurants rund um den großen Platz am Rathaus, die Fanmeile auf dem Freiheitsboulevard. Sie haben erzählt von hilfsbereiten Ukrainern, bezahlbaren Unterkünften, pünktlichen Zügen und rauschenden Festen. Und sogar von netten Polizisten. Sie haben tolle Stadien gesehen. Und sie haben sich geärgert - darüber, dass sie vorher gelesen hatten, wie schlimm es in der Ukraine sei, die Hotelzimmer unbezahlbar teuer und überhaupt das Turnier in diesem Land unweigerlich auf ein Chaos hinauslaufe. Natürlich hat nicht immer alles funktioniert, manches dauerte ein wenig länger, vor allem das Reisen. Das Schönste aber war, zu sehen, wie sehr sich die Menschen darüber gefreut haben, so viele Gäste aus ganz Europa bei sich zu haben. Und dann zum Abschluss die große Finalpartie in Kiew, als sich die Stadt noch einmal herausgeputzt hatte, und die Bewohner mit ihren Gästen an diesem herrlich warmen ersten Sonntag im Juli auf der Prachtstraße Chreschtschatik zu flanieren und zu feiern. Wer hätte das gedacht?
Die EM ist schon verwässert
16 Mannschaften haben in Polen und der Ukraine den EM-Titel ausgespielt. Zu wenige! Bei der nächsten Euro 2016 werden es 24 sein. Damit qualifiziert sich nicht nur halb Europa für das Turnier der besten Nationalteams des Kontinents, sondern in vier von sechs Vorrundengruppe auch noch der Dritte für das Achtelfinale. Das Niveau, beklagt nicht nur der DFB, wird dadurch kaum steigen. Schon 2012 hat sich in der ersten K.o.-Runde eine Leistungskluft gezeigt, die sich noch vergrößern wird. Alle vier Viertelfinals waren äußerst einseitige Angelegenheiten, auch wenn sich die zehn Griechen im England-Trikot plus Wayne Rooney ins Elfmeterschießen retteten. Aber: Fußball ist das Letzte, was die Uefa kümmert.
Der Uefa geht es nicht um Fußball
Bei den wirklich wichtigen Dingen beziehen die Uefa und ihr Präsident Michel Platini unmissverständlich Stellung: verbotene Werbung, die den Premiumsponsoren des Premiumprodukts Fußball-EM sauer aufstoßen könnte? Wird knallhart bestraft. Fans, die im Stadion zündeln? Werden als "Arschlöcher" gebrandmarkt. Regeln, die für Fans verständlich sind? Werden geändert, es soll ja spannend bleiben. Wenn es wirklich drauf ankommt, kennt Herr Platini kein Pardon. Missverständliche Nachlässigkeiten gestattet sich sein Verband nur bei Kleinigkeiten wie Korruptionsvorwürfen bei EM-Vergaben, Rassismus im Stadion, eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Gastgeberländern oder Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern, die es nicht geben müsste. Finale Krönung: Zum EM-Endspiel wurde Europas letzter Diktator Alexander Lukaschenko in der Uefa-VIP-Loge begrüßt.
Wer an die eigene Stärke glaubt, gewinnt

Spanien hält trotz durchwachsener Leistung bis zum Schluss an seinem System fest und wird belohnt.
(Foto: dapd)
Zumindest gilt das für Spanien, den alten und neuen Europameister. Und das ist dann ja ein ganz guter Maßstab für diese These. Die Iberer haben im Finale von Kiew die Italiener mit 4:0 demontiert, weil sie an ihre Qualität geglaubt und ihre System durchgezogen haben. Oder wie Trainer Vincente del Bosque hinterher sagte: "Es war wirklich perfekt." Sich an den vermeintlichen Stärken des Gegner zu orientieren, wie es Bundestrainer Joachim Löw im mit 1:2 verlorenen Halbfinale gegen eben jene Italiener getan hat, ist Del Bosques Sache nicht. "Wir spielen unser eigenes Spiel." Was die anderen machen, ist ihm egal. "Äußere Einflüsse spielen da keine Rolle." Das muss man sich allerdings auch erst mal leisten können. Mit Spielern wie Xavi Hernández, Andrés Iniesta, Cesc Fabregas uns den vielen anderen tollen Fußballern können die Spanier das.
Kein Stürmer ist offensiver als zwei
Eine weitere Erkenntnis des Finals in Kiew ist: Wer's drauf hat, hat's drauf. Auch ohne Stürmer. Die Fußball-Welt wunderte sich über die Italiener und ihr vermeintlich angestaubtes 4-4-2-System mit zwei Angreifern, mit dem Deutschland nicht zurechtkam. Spanien schon. Sie stellten einfach gar keinen auf. Tore kombinieren sie ohnehin heraus und leiten sie nicht per Kick and Rush ein wie die Azzurri. Offensivaktionen funktionieren auch ohne Personal in vorderster Front. Pazifistisch ist die Spielweise des alten und neuen Europameister trotzdem nicht: Wenn der Gegner ein bisschen posen will - siehe Mario Balotelli, der sich an Sergio Ramos versuchte - wird ihm eine nonverbale Ansage gemacht. Was die Behauptung des "körperlosen Spiels" der Spanier von der Legenden- in die Taktikkiste umpackt.
Vor Angstgegnern keine Angst haben
Deutschland ist gescheitert, weil die Aufstellung es so wollte. Bundestrainer Joachim Löw sagte vor dem Spiel, er werde sich nicht nach dem Gegner richten. Das war natürlich hanebüchener Unsinn, denn warum sollte er sonst Toni Kroos aufgestellt und auf Andrea Pirlo angesetzt haben? Auswirkung: Mesut Özil wich nach rechts aus, zog aber, wie es ein Spielmacher logischerweise macht, immer wieder in die Mitte und ließ die Seite offen. Zudem brachte er den defensiv angeblich stärkeren Lukas Podolski für Marco Reus. Die meisten Beobachter sind sich einig: Wäre die gleiche Anfangself aufgelaufen wie beim furiosen 4:2 gegen Griechenland - die Azzurri hätten sich mehr als einmal umgeschaut. Deshalb: Wer Angst hat, hat sie zurecht. Wer sie jedoch ignoriert, hat sie schon besiegt. Und den Italien-Fluch gleich mit.
Quelle: ntv.de