Löws radikale Offensivwende Gomez ist endlich unverzichtbar

Umjubelt und anerkannt: Mario Gomez wird nach seinem Tor gegen die Slowaken gefeiert.

Umjubelt und anerkannt: Mario Gomez wird nach seinem Tor gegen die Slowaken gefeiert.

(Foto: AP)

Wohl niemand hätte Mario Gomez noch vor einem Jahr zugetraut, dass er bei der EM eine tragende Rolle im DFB-Team einnehmen würde. Jetzt straft er seine Kritiker Lügen – weil der Bundestrainer eine wichtige Überzeugung aufgegeben hat.

So richtig wussten sie ja nicht, was zu tun ist. Plötzlich stand da im Spiel gegen Polen etwas Großes, etwas Bulliges in der Mitte des Strafraums der Osteuropäer. In der einfachen Sprache nennt man so etwas einen Stürmer. In der Expertenszene reden sie von einer richtigen Neun. Aber sei's drum. Diese Kante namens Mario Gomez stand da und seine Mitspieler waren überfordert. Was macht man mit so einem Stürmer? Taugt er dazu, den Ball ins Tor zu tikitakern? Muss man ihn hoch anspielen? Oder flach? Oder gar anschießen? Vorsichtshalber entschieden sich die Fußballer der deutschen Nationalmannschaft, diesen Gomez erst einmal nicht beziehungsweise kaum anzuspielen. Ganze fünf Ballkontakte hatte er folglich in seinen 23 Einsatzminuten.

Nichts, rein gar nichts deutete nach dem zweiten EM-Vorrundenspiel der DFB-Elf also darauf hin, dass Mario Gomez bei diesem Turnier noch eine große Rolle einnehmen würde. Zu fremd wirkte er der Mannschaft. Und zu überfordert schien das Team beim Versuch, ihn als letzte Instanz in das Kombinationsspiel einzubauen. Nun, elf Tage nach dem hart kritisierten 0:0 gegen Robert Lewandowski und Co., sieht die Welt von Mario Gomez ganz anders aus. Mit je einem Tor gegen Nordirland, dem siegbringenden 1:0, und einem Treffer im Achtelfinale gegen die Slowakei am Sonntag in Lille hat sich der 30-Jährige in der Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw quasi festgespielt und als Abschlussspieler unverzichtbar gemacht.

Kloses schweres Erbe

Und das ist nicht nur wegen den sehr unscheinbaren 23 Minuten gegen Polen absolut bemerkenswert. In der seit 2004 - damals noch von Jürgen Klinsmann als Cheftrainer und Joachim Löw (Assistent) - eingeleiteten Revolution des deutschen Fußballs wurden Spielertypen mit dem Profil groß, bullig, kopfballstark immer radikaler gegen Kicker mit dem Leistungsportfolio klein, schnell, wendig und kombinationssicher ausgetauscht. Das ging so lange gut, wie Miroslav Klose die sich zunehmend öffnende Schwachstelle Abschluss mit seiner Zielstrebigkeit kaschierte. Doch nach dem gewonnenen WM-Titel 2014 und dem Rücktritt des ewigen Miro wurde plötzlich alles anders. Vieles, was passierte, zum Beispiel die rumpelnde Qualifikation, wurde mit einer posttriumphalen Leere weggelächelt. Bis die Europameisterschaft kam - und die Harmlos-Auftritte gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0).

Zwar verteidigte der Bundestrainer seine Offensive anschließend noch gegen die harten Attacken der Öffentlichkeit, sagte: "Ich sehe hier kein Grundproblem." Doch er handelte anders - gegen seine Überzeugung. Denn er setzte fortan auf Gomez und nicht mehr auf Mario Götze, in den vergangenen Monaten eher glückloser Erbe von Klose in vorderster Linie. Eher aus Pragmatismus also, denn aus Zuneigung hat Löw eine neue Vorliebe für den Spielertypen entdeckt, den er in seiner Mannschaft der hochbegabten Supertechniker eigentlich nicht mehr haben wollte. Aber Gomez ist erfolgreich, ganz anders als bisher Götze oder auch Thomas Müller, der auch in seinem neunten EM-Spiel keinen Treffer erzielen konnte.

"Ich freue mich für ihn"

In Bordeaux geht es am Samstag im Viertelfinale gegen Spanien oder gegen Italien. Gegen wen genau, das entscheidet sich heute (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de). Und es spricht viel bis alles dafür, dass Gomez auch gegen eines dieser beiden Schwergewichte von Anfang an dabei ist. Denn mit nun fünf Treffern bei kontinentalen Turnieren ist er jetzt nicht nur gemeinsam mit Jürgen Klinsmann neuer deutscher EM-Rekordtorschütze. Er hält vor allem, was er versprochen hat.

Er sei jetzt entspannter als zu Beginn seiner Karriere, hatte der Angreifer von Besiktas Istanbul vor dem Turnier gesagt. Seinen Klub schoss er mit 26 Treffern zur türkischen Meisterschaft. Das hat ihm neues Selbstbewusstsein gegeben, nachdem der Bundestrainer 2014 nicht mit zur Weltmeisterschaft nach Brasilien genommen hatte. Und so tritt er auch auf, gepaart mit der Erkenntnis, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss. Er kämpft, er rennt, er setzt seinen Körper ein und beschäftigt meist zwei Abwehrspieler des Gegners. Selbst wenn er nicht trifft, schafft er so Platz für seine Kollegen.

Aber er trifft ja. Was Löw, wenn auch sachlich, durchaus goutiert: "Der Mario Gomez hat jetzt in zwei Spielen zwei Tore gemacht", zählte er am Sonntag in Lille auf. "Ich freue mich für ihn, er hat ja auch im Training eine sehr gute Form. Er hat jetzt auch eine Selbstsicherheit gefunden." Und die Mannschaft offenbar sehr schnell wieder einen Weg, so einen Stürmer, einen echten, in ihren Kombinationsfuror einzubauen.

Quelle: ntv.de

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