Wer ersetzt Khedira im DFB-Team? Klopps Wuchtspieler vs. Mini-Kroos

Can oder Weigl - eine leichte Entscheidung wird es für Löw sicher nicht.

Can oder Weigl - eine leichte Entscheidung wird es für Löw sicher nicht.

(Foto: imago/DeFodi)

Sami Khedira wird der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im EM-Halbfinale gegen Frankreich nicht helfen können. Der Bundestrainer muss umbauen, die Kandidaten heißen Emre Can und Julian Weigl. Zwei Redakteure, zwei Meinungen.

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Wen soll Joachim Löw im defensiven Mittelfeld an der Seite von Toni Kroos aufstellen?

Der Bundestrainer wirkte wie der Kopfrechenkönig der Klasse, der eh immer alle schlägt und sich nun freut, endlich einer ernsthaft kniffligen Aufgabe gegenüberzustehen. Jedenfalls wollte sich Joachim Löw nicht allzu lange damit aufhalten, dass Mario Gomez bei dieser Fußball-Europameisterschaft gar nicht mehr spielen kann, Sami Khedira zumindest für das Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich am Donnerstag in Marseille (ab 21 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) ausfällt und auch Kapitän Bastian Schweinsteiger höchstwahrscheinlich nicht zur Verfügung steht. Das sei schade, klar. Aber: "Wir nehmen's so, wie es ist." Der Mann hat die Ruhe weg. Und endlich eine Aufgabe. Er werde schon Lösungen finden.

Gomez' Job in der Angriffsmitte wird er Mario Götze oder Thomas Müller anvertrauen. Und dass Benedikt Höwedes in der Viererabwehrkette Mats Hummels ersetzt, der wegen seiner zweiten Gelben Karte gesperrt ist, gilt als sicher. Bleibt die Frage, wem er Toni Kroos im defensiven Mittelfeld zur Seite stellt - immer vorausgesetzt, Schweinsteiger muss tatsächlich passen. Joshua Kimmich, der wieder als Rechtsverteidiger spielen wird, ist keine Option, wie der Bundestrainer sagte. Also bleiben zwei Kandidaten: Emre Can, 22 Jahre alt, vom FC Liverpool; und Julian Weigl, 20 Jahre alt, von Borussia Dortmund.

Beide eint, dass sie bei diesem Turnier noch keine Minute gespielt haben. Ansonsten aber sind auf dem völlig unterschiedliche Typen. Während Schweinsteiger in Évian im Fitnesszelt radelt, muss der Bundestrainer sich entscheiden, was er will. Was spricht für den einen? Und was doch eher für den anderen?

Tobias Nordmann plädiert für Emre Can

In Liverpool genießt Emre Can Klopps volles Vertrauen.

In Liverpool genießt Emre Can Klopps volles Vertrauen.

(Foto: imago/BPI)

Jürgen Klopp steht eher nicht im Verdacht, sich des Guardiola'schen Superlativs zu bedienen. Einen Spieler als super, super, gut, gut loben – und ihm die Wertschätzung in der einzig wahren Fußballer-Währung, der Spielzeit, zu verwehren? Nein, so etwas würde Jürgen Klopp nicht machen. Und so ist es schon glaubhaft, wenn der Trainer des FC Liverpool seinen Schützling Emre Can lobt: "Er kann alles spielen. Seine Vielseitigkeit ist beeindruckend."

Bedenken? Nein. Can spielt immer und das fast immer richtig gut. Volles Vertrauen also. So wie Joachim Löw dieser Tage. In Nonstop-Schleife betont der 56-Jährige, wie wichtig jeder einzelne Spieler ist und wie selbstverständlich er jeden jederzeit einsetzen könne. Warum also nun nicht Emre Can? Warum ihn nicht als kraftvollen Partner des Strategen Toni Kroos dem französischen Power-Fußball entgegensetzen? Den Part auf der Doppelsechs kann der 22-Jährige. An der Seite von Kapitän Jordan Henderson stopft er in Liverpools Mittelfeld Löcher, haut mal dazwischen und treibt das Spiel immer auch mit an. Der Bundestrainer weiß um diese Qualitäten, sagt: "Er ist sehr wuchtig, er ist körperlich stark, er ist auch technisch sehr gut. Ein Spieler wie Emre Can würde unserem Spiel sicherlich gut tun."

Gerade gegen die Franzosen, die ganz anders als das kontrollierte DFB-Team einen wilden, kraftvollen Fußball pflegen, braucht Löw einen Spieler, der im Mittelfeld auch mal seinen Körper reinhaut, den Powerspielern Dimitri Payet und Paul Pogba nicht nur die feine Klinge entgegenstreckt, sondern sich auch mal der kernigen Grätsche bedient. Ein Mittelfeld mit Julian Draxler, Mesut Özil, Toni Kroos und Julian Weigl wäre technisch und strategisch vielleicht das Beste, was der deutsche Kader zu bieten hat. Für ihre Körperlichkeit sind die Feingeister allerdings allesamt nicht gefürchtet. Gegen die EM-Gastgeber kann Löw aber schwerlich auf einen verzichten, der genau diese Qualität verkörpert. Khedira wäre ja so einer gewesen. Weil er aber passen muss, kommt Löw an Can eigentlich nicht vorbei.

Stefan Giannakoulis setzt auf Julian Weigl

Julian Weigl: Löw lobt ihn in höchsten Tönen. Doch setzt er im Spiel gegen Frankreich auf ihn?

Julian Weigl: Löw lobt ihn in höchsten Tönen. Doch setzt er im Spiel gegen Frankreich auf ihn?

(Foto: imago/ANE Edition)

Im Grunde hat sich der Bundestrainer doch schon entschieden: "Die Zeit der Abräumer ist vorbei. Es braucht Spieler, die technisch gut sind, die das Mittelfeld beherrschen können mit der Ballkontrolle." Damit kann es nur einen geben - Julian Weigl. Zumal Löw ihn am Montag nahezu überschwänglich lobte: "Er löst manche Dinge anders als Emre Can. Er macht die Passwege zu. Er hat ein ganz geschicktes Positionsverhalten und ist unglaublich sicher am Ball." Das klingt doch nach einem kongenialen Partner für Kroos auf der Doppelsechs. Da werden Pogba und seine Kollegen staunen - weil sie gar nicht erst an den Ball kommen.

Es ist kein Jahr her, da spielte Weigl zum ersten Mal in der Bundesliga. Just vom TSV 1860 München aus der zweite Liga gekommen, stand er am 15. August 2015 zum ersten Mal für die Dortmunder Borussia auf dem Rasen. Der BVB gewann mit 4:0 - und Weigl feierte drei Wochen vor seinem 20. Geburtstag einen prima Einstand, als habe er seit jeher vor mehr als 80.000 Zuschauern im Westfalenstadion gespielt. Seitdem hat er es flugs zum Stammspieler gebracht und kommt nun auf 30 Partien in der höchsten deutschen Spielklasse.

In 51 von insgesamt 56 Pflichtspielen wirkte er mit und hat längst bewiesen, dass er sich durchsetzen kann, er gehört meist zu den zweikampfstärksten Spielern seines Teams. Und beim 2:2 gegen den 1. FC Köln am letzten Spieltag stellte er einen Ligarekord auf: Er war 214 Mal am Ball - dabei hat er nur 83 Minuten gespielt. Damit löste er Xabi Alonso vom FC Bayern ab, der in der Saison zuvor die Bestmarke von 206 Ballkontakten aufgestellt hatte. "Es ist unglaublich, was in diesem Jahr passiert ist", sagte Weigl jüngst. Aber reicht das alles für ein Halbfinale bei einer EM? Unbedingt! Auch, wenn er erst ein halbes Mal für die DFB-Elf gespielt hat, kurz vor dem Turnier beim 1:3 im Schwimmkurs zu Augsburg gegen die Slowakei. Doch wer so unbeeindruckt seinen Weg geht, der wird seine Chance nutzen. Er kann das. Wenn nicht jetzt, wann dann? Warum sonst hat Löw ihn mitgenommen?

Quelle: ntv.de

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