"Ihr krault euch auch die Eier" Soll Löw sich doch weiter kratzen

Joachim Löw - eine Person öffentlichen Interesses.

Joachim Löw - eine Person öffentlichen Interesses.

(Foto: imago/MIS)

Unappetitliche Momente, eingefangen von einer Exklusivkamera, hinausgetragen in die Welt. Bundestrainer Joachim Löw wird für seinen "Fehlgriff" verspottet. Dann kommt Lukas Podolski - und sagt etwas sehr Richtiges.

Einen Tag mit schlechter Laune? Bei Lukas Podolski kaum vorstellbar. Immer fröhlich, immer lächelnd, immer locker. So gibt sich der Lukas. Und so sitzt er dann am Mittag auch im DFB-Basecamp. Pressekonferenz. Es geht um die Ukraine, um die Sicherheit, das trübe Wetter und um Polen. Die Laune ist gut. Doch dann kommt das Thema "Fehlgriff von Löw." Der 31-Jährige wird ganz kurz ernst, sagt dann aber wieder lächelnd: "Ich denke, 80 Prozent von euch und ich kraulen sich auch mal an den Eiern. Von daher ist alles gut."

Großes Gelächter, sogar Applaus. Podolski hat mal wieder einen rausgehauen - wenn er auch den unappetitlichen Teil der Szene verschweigt. Doch so lustig der Satz auch zunächst klingen mag, so wenig lustig ist er gemeint. Denn das Thema Löw und sein Griff in die Hose mit anschließender Geruchsprobe beim EM-Auftaktspiel gegen die Ukraine (2:0) haben dem DFB mächtig die Laune verhagelt. Der Verband hat gegen die Ausstrahlung der Bilder offiziell Protest bei der Uefa eingelegt, heißt es in einigen Medien. Das kann man so machen - bringt im konkreten Fall aber nichts mehr. Das Video ist in der Welt. Viele Medien, wir bilden da keine Ausnahme, berichten darüber, und in den sozialen Medien ergießt sich eine Flut aus Hohn und Spott.

Klar ist: Eine solch unüberlegte Aktion des Bundestrainers, und nichts anderes war der Hosengriff, bleibt in einem komplett kameraverwanzten Stadion natürlich nicht unbemerkt. Und klar ist auch: Sie wird diskutiert, zumal es nicht das erste Mal ist, dass der so auf sein Aussehen bedachte Löw mit normabweichendem Körperspiel in den Fokus rückt. Aber: dass diese Szene, kaum länger als fünf Sekunden dauernd, heißer, länger und emotionaler diskutiert wird, als das Spiel, offenbart ein gewaltiges Dilemma zwischen der Professionalisierung der Medien, der Lust am Voyeurismus und der Verletzlichkeit von Intimsphäre.

Medien in der Pflicht

Beginnen wir mit der Lust am Voyeurismus: Sie treibt es mittlerweile so weit, dass nur darauf gewartet wird, dass etwas Unangemessenes, etwas Peinliches passiert. Dass sich Fußballer, Trainer, Sänger, Schauspieler, kurzum Stars, einen Fauxpas leisten - um dann verbal, vor allem in den hemmungslosen sozialen Medien, wild loszuschlagen. Die Lust überschreitet dabei immer häufiger die Grenze des Privaten und trifft dabei auf die fortschreitende Professionalisierung der Medien mit ihrem legitimen Anspruch auf allumfassende, aufklärende, exklusive und unterhaltende Berichterstattung. Ein schwer zu lösendes Spannungsfeld. Aber auch eines, was die Medien nicht von der Pflicht befreit, sich von moralischen Diskussionen zu lösen.

Nun mag es sein, dass sich ein Bundestrainer oder sonst jemand der eine prominente Rolle einnimmt, diese Grenzübertritte gefallen lassen muss. Zumal, wenn sie, wie im konkreten Fall, ja in der Öffentlichkeit stattfinden. Das Problem an dieser Diskussion: Die Öffentlichkeit wird immer weiter ausgeweitet, ohne Rücksicht auf die beobachteten Personen, die Rückzugsräume werden weniger. Ein privater Moment, ob glücklich, traurig oder eben unappetitlich, wird sofort zu einem öffentlichen. Ein gutes (oder schlechtes) Beispiel ist die exklusive "Coach-Cam", die Trainer 90 Minuten oder mehr bigbrothert. Genau dies geschah auch bei Löw. Kein einziges gutes Argument gibt es dafür, den Mann an der Linie so offensiv zu beschatten - außer natürlich dem Lauern auf Fehlgriffe, Grimassen oder sonst geartete Auffälligkeiten. Wobei wir auch hier wieder Berührungspunkte mit dem Anspruch der Medien haben.

Dass aber diese Form der massiven Überwachung bei den Protagonisten naturgemäß nicht gut ankommt, verwundert nicht. So hat sich Jürgen Klopp, ein wegen ausgiebigen Mienenspiels besonders beliebtes Beobachtungsobjekt und wohl eigentlich auch ein Typ, der Spaß versteht, beispielsweise beim Europa-League-Viertelfinale seiner Liverpooler gegen Ex-Klub Dortmund über die von einem Sender extra für ihn eingerichtete Klopp-Kamera beklagt. Verstehen könne er das Ganze nicht, erklärte er Mitte April.

Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der diese Diskussion so vielschichtig und kompliziert macht: In gleicher Lautstärke, mit der Voyeurismus bejubelt wird, kommt die Klage, dass sich Prominente, ganz gleich ob Sportler, Sänger oder Schauspieler, immer mehr zurückziehen und nichts mehr von sich preisgeben. Da ist zum Beispiel Josep Guardiola. Der Bayern-Coach hat München nach drei Jahren verlassen, ohne Spuren zu hinterlassen. Aus seinem Leben hat er nichts verraten. Was für ein Typ der Katalane privat ist? Kaum einer aus seinem nicht direkten Umfeld kann das sagen. Keine Interviews, keine Anekdoten. Doch kann's man ihm verübeln, angesichts der zunehmenden Freude am Shitstorm (ein echtes Unwort im Übrigen)? Nein, man kann es sogar verstehen.

Sinnfreie Debatte

Nun also hat es den Bundestrainer erwischt - und der Tag nach dem Spiel hatte ein beherrschendes, aber fürchterlich unbedeutendes Gesprächsthema. Was bringt uns diese Diskussion? Ist Löw nun ein schlechterer Trainer, gar ein schlechterer Mensch? Natürlich nicht. Müssen wir ihn dafür verachten, dass er sich an einer intimen Stelle gekratzt hat? Schwachsinn. Ist er deswegen ein schlechtes Vorbild? Was für eine sinnfreie Debatte. Pflegt er eine Doppelmoral, Stichwort Umgang mit Max Kruse? Ziemlich, ziemlich weit hergeholt. Das eine geschieht definitiv ganz bewusst (Penis-Filmchen), das andere (Kratzen in der Hose) eher nicht.

Aber sei's drum: Dem Bundestrainer wird die Szene peinlich genug sein. Der DFB wird sich darum bemühen, solche Bilder in Zukunft zu vermeiden. Er wird ihn womöglich darum bitten, besser auf sich und sein Tun im öffentlichen Raum zu achten. Das ist nicht nur gut so, das ist notwendig, vielleicht sogar überfällig. Denn weder Löw braucht solche Bilder noch wir. Aber: Wenn's juckt, soll er sich weiter kratzen (dürfen). Ein bisschen unauffälliger vielleicht. Aber jetzt belassen wir es dabei. Bitte.

Quelle: ntv.de

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