Fußball

"Zu wenig Leidenschaft" Bayerns Fahrlässigkeit setzt Tuchel brutal unter Druck

Tuchel blieb am Ende nur der Ärger über das verlorene Spiel.

Tuchel blieb am Ende nur der Ärger über das verlorene Spiel.

(Foto: IMAGO/Oryk HAIST)

Der Triple-Traum des FC Bayern zerplatzt in der Nachspielzeit des DFB-Pokal-Viertelfinales. Weil Lucas Höler den Strafstoß souverän verwandelt, kassiert Münchens Neu-Trainer Thomas Tuchel in seinem zweiten Spiel die erste Pleite. Auch er kann die Nachlässigkeiten des Teams (noch) nicht abstellen.

Hat der FC Bayern etwa ein bockiges Kleinkind im Kader? Benjamin Pavard benahm sich im Viertelfinale des DFB-Pokals jedenfalls so. Immer wieder trampelte er in der Nachspielzeit mit seinen Stollen auf dem Elfmeterpunkt herum und zertrat den Rasen, kollegial begleitet von Joshua Kimmich und Dayot Upamecano, die sich in der Szene dazugesellten, was in einer kurzen Rudelbildung mündete. Denn der Verteidiger hatte nichts Gutes im Sinn - zumindest nicht für den Gegner. Mit seinem unsportlichen Verhalten, das Schiedsrichter Harm Osmers zu Recht mit Gelb bestrafte, wollte er retten, was nicht mehr zu retten war. Der Sieg war dahin. Der SC Freiburg triumphierte gegen die Münchner dank eines Elfmeters in der Nachspielzeit.

Denn Freiburgs Lucas Höler blieb ganz cool, ließ sich von Pavard nicht aus der Ruhe bringen, ignorierte die Pfiffe und Buhrufe der Mehrheit der 75.000 Fans im Stadion - und versenkte den Strafstoß trocken im linken oberen Eck, während Bayern-Keeper Yann Sommer nach rechts sprang. Ein Strafstoß, der in der dritten Minute der Nachspielzeit überhaupt nur fällig geworden war, weil Jamal Musiala im Strafraum den Torschuss von Nicolas Höfler ganz klar mit dem Arm abgewehrt hatte.

Triple-Traum ausgeträumt

2:1 für die Freiburger, Pokal-Aus für die Bayern, Triple-Traum ausgeträumt. Im zweiten Spiel mit seinem neuen Team die erste Pleite für Trainer Thomas Tuchel, den ersten möglichen Titel hat er schon verpasst. Der erste Sieg überhaupt einer Freiburger Mannschaft in München - nach 23 Partien in der bayrischen Landeshauptstadt. "Nie, nie, nie? Hat der Volker (Finke, Anm.d.Red.) auch nie gewonnen?", fragte Trainer Christian Streich verwundert die Journalisten nach dem Coup.

FC Bayern München - SC Freiburg 1:2 (1:1)

München: Sommer - Pavard, Upamecano, de Ligt, João Cancelo - Kimmich, Goretzka (79. Mane) - Coman (64. Gnabry), Thomas Müller, Leroy Sané - Choupo-Moting (64. Musiala). - Trainer: Tuchel

Freiburg: Flekken - Sildillia, Ginter, Gulde, Günter - Maximilian Eggestein, Höfler - Doan, Grifo (68. Sallai) - Gregoritsch, Höler. - Trainer: Streich

Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)

Tore: 1:0 Upamecano (19.), 1:1 Höfler (27.), 1:2 Höler (90.+5, Handelfmeter)

"Wie sollst du gegen diese Mannschaft auch gewinnen? Da muss ja alles zusammenkommen", so Streich. Seine Mannschaft habe aber nicht nur das "Quäntchen Glück" gehabt, sondern auch "vieles ganz toll gemacht". Der 57-Jährige bewies in dem Spiel seine eigene Klasse als Trainer. Schon vor der Partie hatte er in der ARD seinen Matchplan verraten. Etwas, was andere Trainer entschieden verschweigen, damit nur ja kein Gegner vor Anpfiff Bescheid weiß. Doch Streich ist nicht wie andere Trainer, er tickt anders und so plauderte er vorab munter darüber, dass seine Mannschaft das Zentrum dichtmachen wird, dass insbesondere Joshua Kimmich aus dem Spiel genommen werden soll. Über seine Aufstellung habe er "aus dem Bauch heraus" entschieden, sagte er gelassen vor dem Aufeinandertreffen.

Freiburger folgen Streichs Plan

Schon früh im Spiel zeigte sich: Streichs Plan ging auf, die Mitte war dicht. In Führung gingen die Bayern trotzdem - nach einer Ecke. Das Tor von Dayot Upamecano war umstritten, mit beiden Händen stützte er sich bei seinem Kopfball auf den Schultern von Gegenspieler Maximilian Eggestein auf. Osmers aber gab den Treffer, nach gerade einmal 20 Minuten stand es 1:0, wie schon am vergangenen Samstag im Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund gingen die Bayern früh in Führung. Alles klar also, der nächste überlegene Sieg für das Tuchel-Team?

Nein, denn Höfler antwortete sieben Minuten später mit einem Traumtor. Kingsley Coman klärte nur ungenügend, der Ball kam direkt zum Freiburger, der nahm ihn an und zog per Dropkick aus 25 Metern mit links ab. Wie ein Strahl schoss der Ball unhaltbar für Sommer ins obere rechte Eck. Ein kurzer Moment der Freiburgschen Ekstase, dann zurück in die Ordnung, die Streich vor Anpfiff erklärt hatte, die seine Spieler brav befolgten. Weil Matthias Ginter einen Schuss von Thomas Müller nach einem Patzer seines Torwarts Mark Flekken in der Nachspielzeit der ersten Hälfte klären konnte und Pavard in der 62. Minute eine Kopfballchance vergab, ging es mit dem 1:1 in Richtung Verlängerung. Und dann war da erst Musialas Arm, dann Pavards Unsportlichkeit und schließlich Hölers Entschlossenheit.

Müller: "Steht jetzt da mit diesem Scherbenhaufen"

Die Freiburger fügten den Bayern eine herbe Pleite zu, die Spieler verließen das Stadion mit hängenden Köpfen, Musiala verweigerte noch den Handschlag mit Streich, in den Katakomben herrschte großer Frust. "Man steht jetzt da mit diesem Scherbenhaufen und weiß, es ist wieder vorbei im DFB-Pokal. Das kratzt natürlich am Ehrgefühl", sagte Müller über das erneut frühe Aus, nachdem die Münchner in den Vorjahren zweimal in der zweiten Runde ausgeschieden waren. "Wir scheiden aus, obwohl es meiner Ansicht nach nicht möglich war, auszuscheiden. Freiburg hatte eigentlich gar nichts. Einen Fernschuss und einen Elfmeter", beklagte Kimmich.

So sah es auch sein Trainer: "Wir haben mit zwei Fernschüssen zwei Tore bekommen, ansonsten kann ich mich an keine Chancen erinnern. Am Ende sind wir es selber schuld, das wissen wir auch. Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen", sagte Tuchel. Beide hatten damit recht, die Bayern hatten mehr Torschüsse (16 zu 10), mehr Ballbesitz (67 Prozent), mehr Flanken (14), 9:1-Ecken stehen in der Statistik und doch stehen sie am Ende als Verlierer da. Denn ein neuer Trainer macht noch lange kein neues Team.

Julian Nagelsmann hatte mit viel Tamtam gehen müssen, weil der deutsche Rekordmeister in der Liga den großen Vorsprung in der Tabelle verloren hatte, weil das Team nicht mehr so überzeugend spielte - Champions League ausgenommen -, weil eine gewisse Unentschlossenheit, eine Fahrlässigkeit bei Torchancen zu spüren war. Bei Tuchels Premiere gegen den BVB sah das dann auch prompt ganz anders aus - bis zur 70. Minute. Aus der klaren 4:0-Führung wurde ein 4:2-Endstand und die meisten feierten zwar die Wiederauferstehung der Super-Bayern, doch schon da hatte Tuchel sich über die vermeidbaren Gegentore beklagt. Eine Nachlässigkeit, die sich nun auch gegen Freiburg zeigte. Nach der Führung spielte das Team nicht sofort aufs 2:0, es gab zwar vor allem im Eins-gegen-eins immer mal wieder Chancen in der Offensive, doch die Münchner erzwangen die Tore nicht. Kimmich gestand dann auch ein: "Man hat das Gefühl, dass es ein Tick zu wenig ist. Zu wenig Leidenschaft."

Auch das Handspiel von Musiala ist eine solche kleine Fahrlässigkeit. Tuchel war entsprechend genervt von der spielentscheidenden Szene: "Heutzutage darfst du so nicht mehr reinspringen. Das darfst du einfach nicht machen. Du nimmst da ein wahnsinniges Risiko." Abwehrspieler Matthijs de Ligt bekannte: "Ich stand direkt dahinter. Ich habe gleich gedacht, dass das ein Elfmeter ist." Der Youngster wurde aber auch getröstet: "Wir werden als Mannschaft ganz klar für ihn da sein", sagte Müller.

Salihamidžić nimmt Tuchel in Schutz

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"Es ist ganz bitter, weil wir nichts gutmachen können. Ein K.-o.-Spiel zu verlieren, ist nicht gut, das wird uns eine Weile beschäftigen", sagte Tuchel. Von Sportvorstand Hasan Salihamidžić bekam er jedenfalls Rückendeckung: "Das ist für uns alle bitter, aber das hat doch mit dem Trainer nichts zu tun", sagte er und es wirkte fast so, als hätte er bereits die Witzchen in den sozialen Netzwerken gelesen. Gefrotzelt wurde da schnell nach Abpfiff, dass Tuchel offenbar die Kabine verloren habe und ob seine Zeit in München schon wieder abgelaufen sei. Salihamidžić verteidigte seinen neuen Cheftrainer, der bislang kaum Zeit hatte, seine Spieler kennenzulernen: "Das ist ein Prozess. Er macht einen sehr guten Eindruck und einen sehr guten Job. Heute war das bitter für uns alle, aber Samstag geht es weiter." Dann treffen die Bayern schon wieder auf Freiburg, dann müssen sie in der Liga in den Breisgau reisen.

Dann heißt es wieder Tuchel gegen Streich. Es ist das Duell des Neu-Trainers, der immensen Erfolgsdruck hat, gegen den dienstältesten Coach der Liga. Seit 2012 ist Streich bei Freiburg, seitdem haben die Bayern ihren Trainer acht Mal getauscht. Diese Ruhe gibt es beim FC Bayern nicht. Wie unruhig es für Tuchel werden wird, hängt aber weniger vom Samstag ab als vielmehr vom kommenden Dienstag. Dann treffen die Bayern im Champions-League-Viertelfinale auf Manchester City. Von diesem Duell hängt das "nur" noch mögliche Double ab. Den Druck macht auch Kimmich deutlich: "Am Ende des Tages kotzt mich das einfach brutal an, je mehr Titel wir verspielen."

Quelle: ntv.de

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