Fußball

Verstoßene raffen sich auf BVB entscheidet sich gegen komplette Flop-Saison

Nach dem Spiel tanzten sie auf dem Rasen.

Nach dem Spiel tanzten sie auf dem Rasen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Es ist nicht einfach, der BVB zu sein. Um den Klub schwirrt eine Wolke voller Sorgen. Die Qualifikation für die Königsklasse ist in Gefahr, die Spieler drohen die EM zu verpassen, die Situation in der Führung ist undurchsichtig. Nach einem 2:0 über Eindhoven gehören sie aber zu Europas besten Teams.

Nur noch weg mit der Kugel, das dachte BVB-Torhüter Gregor Kobel in der vierten Minute der Nachspielzeit im Achtelfinal-Duell gegen die PSV Eindhoven. Die Dortmunder hatten ein 1:0 in die letzten Sekunden dieses Spiels gerettet. Der Einzug ins Viertelfinale der Champions League war nahe, sehr nahe. Kobels Abschlag flog über das gesamte Feld. Direkt in die Hände von Eindhovens Walter Benitez und von dort über wenige Stationen zu Luuk de Jong, der einen Doppelpass mit Jordan Teze spielte und frei vor dem Tor stand. Der Schuss flog über das Tor.

Nur noch weg mit der Kugel, dachte Kobel erneut und plötzlich lag der Ball wirklich im Tor. Aber in dem von Eindhoven. Denn diesmal war der in der Schlussphase für den angeschlagenen Jadon Sancho eingewechselte Routinier Marco Reus nach einem Patzer des ebenfalls eingewechselten 18-jährigen Issac Babadi durchgebrochen. Tor durch Reus, der zuletzt zweimal in Folge 90 Minuten auf der Bank verbracht hatte und der sich nach dem Spiel zwar feiern lassen konnte, dessen Zukunft aber weiterhin ungeklärt ist.

Nun schoss Reus den BVB ins Viertelfinale. Zum ersten Mal seit 2021. Auch damals unter Trainer Edin Terzić, für den die Luft in Dortmund in den letzten Wochen nach den selten überzeugenden Leistungen in der Liga immer dünner geworden war. Dort steht der BVB zwar immer noch auf Rang vier, doch das Restprogramm verspricht kaum Erlösung im Rennen um die Qualifikation für die Königsklasse mit RB Leipzig. Die Saison drohte den Dortmundern vor diesem Rückspiel gegen Eindhoven endgültig zu entgleiten.

BVB-Spieler von DFB-Trainer Julian Nagelsmann ignoriert

"Wir wussten, dass heute entscheidend wird, ob die Saison ein kompletter Flop wird oder ob wir da noch positiv was reißen können", sagte Stürmer Niclas Füllkrug nach dem Abpfiff. Das Spiel gegen Eindhoven war für den BVB mehr als nur ein Achtelfinal-Spiel in der Königsklasse, in der sie sich in dieser Spielzeit so wohlfühlen. Es ist ihr Spielfeld. So waren sie dann auch ins Spiel gestartet. Wer in den ersten 25, vielleicht 30 Minuten auf den Rasen und die Tribünen des Westfalenstadions blickte, konnte kaum glauben, dass sich hier ein von Selbstzweifeln geplagter Klub mit einer Bande von Verstoßenen auf dem Platz präsentierte. Es stand nicht nur 1:0, sondern der BVB hatte 85 Prozent aller Zweikämpfe gewonnen, war zu insgesamt sieben Abschlüssen gekommen. Die Gäste hatten nicht stattgefunden.

Die Dortmunder waren über sie hergefallen, als wollten sie all ihren in den letzten Wochen angestauten Frust an den Niederländern um den ehemaligen BVB-Trainer Peter Bosz auslassen. Und der Frust war ja riesengroß, hatte sich erst in dieser Woche mit den Nagelsmann-Leaks zum DFB-Kader potenziert. Mats Hummels, Julian Brandt, Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und Co. werden an den letzten Tests vor der Heim-EM nicht teilnehmen. Bis auf Niclas Füllkrug wird der Kader ohne BVB-Spieler auskommen. Dabei war Sportdirektor Sebastian Kehl einst mal angetreten, Borussia Deutschland zu formen. Jetzt drohen fast alle das einmalige Turnier im eigenen Land zu verpassen. Das hatten sie sich anders vorgestellt.

Sancho bringt das Stadion zum Raunen

Angepeitscht von einem vollkommen euphorisierten Stadion rauschten die derart verstoßenen Dortmunder durch die Anfangsphase. Bereits nach drei Minuten hämmerte der Engländer Sancho wie wild auf das BVB-Logo. Es war sein erster Treffer im Westfalenstadion seit seiner Rückkehr in die Heimat. Der von Manchester United verstoßene ehemalige kommende Weltstar hatte sich nach einem Dortmunder Angriff behaupten können und zentral aus 18 Metern flach ins untere linke Eck geschossen. Das Publikum hatte ihm diese Wahl nahegelegt.

Ein dröhnendes "Schieß" hatte sich über den Abschluss gelegt, um sich dann in den alles erlösenden Jubel aufzulösen. Wenig später ging ein Raunen durchs Stadion. Da tanzte der 23-Jährige an der Seitenlinie mit Eindhovens Johan Bakayoko. Wie glücklich alle waren, diese Spielfreude wieder sehen zu dürfen. Wie sicher sie sich aber auch sein können, dass jeder gute Auftritt von Sancho ihn immer weiter von Dortmund wegtreiben wird. Denn noch ist er Spieler von Manchester United.

Lozano zeigt Süle die Grenzen auf

In den ersten 25 Minuten war der BVB zu weiteren Möglichkeiten gekommen, musste dann jedoch die Kontrolle an Eindhoven abgeben. Vor der Pause blieben die Niederländer wenig gefährlich, nach der Pause und der Einwechslung des Flügelspielers Hirving Lozano änderte sich das. Der 28-Jährige zeigte dem Außenverteidiger Süle, der den kurzfristig ausgefallenen Julian Ryerson ersetzt hatte, seine Grenzen auf, war jedoch bis auf einen Pfostenschuss (53.) keine Gefahr für BVB-Keeper Kobel. Der zeichnete sich auf der anderen Torseite dagegen mehrfach aus. Von dort brach immer wieder Bakayoko durch, scheiterte dann jedoch aus spitzem Winkel.

Einen seltenen Höhepunkt auf Dortmunder Seite erlebte das Stadion noch wenige Sekunden nach der Einwechslung von Reus. Der zirkelte ein Freistoß in den Strafraum und Füllkrug drückte den Ball über die Linie. Bierbecher flogen über die Tribüne, Stadionsprecher Norbert Dickel holte zur großen Huldigung aus und die Fans auf den Sitzplätzen machten ihre Selfies mit der jubelnden Mannschaft auf dem Rasen im Hintergrund. Dann blieben sie stehen, doch ihre Blicke richteten sich nicht mehr auf ihre Smartphones, sondern entgeistert auf die Monitore in den VIP-Räumen. Füllkrug hatte bei Torerzielung mit einem Hauch seiner Schulter vielleicht im Abseits gestanden, verrieten die Bilder dort. Kein Tor. Nur die Biere waren verloren.

Anstatt Jubel also ab zum Bierstand und noch mehr Zittern. Irgendwann hielt es ein Mann mit Eindhoven-Schal nicht mehr aus, er flitzte aufs Feld, wurde heruntergetragen und sah im Vorbeigehen die Nachspielzeit: fünf Minuten! Nur noch weg mit der Kugel, dachte Kobel und das Spiel fand sein Ende mit dem Treffer von Reus.

Noch mehr Krankenscheine im April

Die Fans im Stadion sangen das Dortmunder Lied vom Europapokal mit brachialer Lautstärke. "Erste Runde Krankenschein, dann die Oma tot, Überstunden nehmen wir zu Not", heißt es in dem Klassiker, von dem vor der Königsklassen-Saison niemand erwartet hat, dass er bis in den April 2024 hallen würde, dass so viele Arbeitgeber unter der Woche auf die BVB-Fans verzichten müssen. Zu stark erschien die Gruppe mit Paris Saint-Germain, Newcastle United und AC Mailand. Zu krisengeplagt erschien die in 2024 erst einmal geschlagene Mannschaft rund um die Spiele gegen Eindhoven. Doch da saßen die Verstoßenen nun an diesem 13. März 2024, blickten hoch auf die Südtribüne und brüllten das Lied mit. "Wenn man so ein Stadion im Rücken hat, hat man ein bisschen das Gefühl, dass man hier unschlagbar ist", sagte Füllkrug. Der Spätzünder hatte es besonders genossen.

"Wir freuen uns jetzt erst einmal über das Weiterkommen. Das schafft ein bisschen Ruhe", sagte Sportdirektor Kehl. Viel Ruhe aber dürfte in Dortmund nicht zu erwarten sein. Für diesen einen Abend jedoch hatte sich der Verein zusammengerauft. Doch die da schon alles überlagernde Frage war die nach den von Bundestrainer Julian Nagelsmann womöglich nicht nominierten Spielern. "Ich bin heute nicht hier als Vertreter der Nationalmannschaft. Ich würde viel lieber über das Weiterkommen von Borussia Dortmund reden", sagte Kehl und verschwand in die ohnehin spannenden nächsten Wochen der Dortmunder.

Watzke muss seine Nachfolge regeln

"Am Ende des Tages entscheidet es sich in der Bundesliga", hatte nämlich Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bereits im Vorfeld der Partie gesagt. Wohl auch, um etwas Druck von der Mannschaft zu nehmen. "Es kann keine gute Saison geben, in der wir am Ende nicht in der Champions League spielen." In den verbleibenden Spielen muss der BVB noch gegen Bayern München, Bayer Leverkusen, den VfB Stuttgart und RB Leipzig spielen. Es sieht nicht gut aus.

Vielleicht reicht es über den fünften Platz in der Liga. Doch dafür muss der BVB wohl auch in der Champions League noch mindestens eine Runde überstehen. Ein Ende der Borussia aufgrund einer womöglich verpassten Qualifikation für die Königsklasse aber konnte Watzke zum Aufatmen aller BVB-Fans ausschließen. Liverpool, sagte er, habe es in dieser Saison nach dem schwachen Vorjahr mit dem Einzug in die zweitklassige Europa League doch gezeigt. "Die haben auch nicht gesagt: Jetzt lösen wir den Verein auf. Es geht einfach weiter, und dieses Jahr stehen sie wieder oben."

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Nicht mehr lange weiter aber geht es für Watzke, der im Jahr 2025 nach über 20 Jahren in verantwortlicher Position ausscheiden wird. Es droht weiterhin nicht nur ein letztes Jahr ohne Königsklasse, in der sich der BVB in Watzkes Amtszeit als Dauergast etabliert hat, sondern auch ein Kampf um sein Erbe. Dieses will der BVB bereits im April geregelt haben.

Zumindest auf der sportlichen Ebene, mit einem neuen Geschäftsführer Sport. Auch hier ist noch nichts geklärt. Wie auch die Vertragssituation von Hummels und Reus, die Situation von Trainer Terzic, die Zukunft der Leihspieler Ian Maatsen und Sancho sowie natürlich die Teilnahme der möglichen DFB-Spieler an der Europameisterschaft. Borussia Dortmund bleibt auch nach der Rückkehr in die Top 8 Europas eine gigantische Baustelle.

Quelle: ntv.de

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