Fußball

Traditionsklub vor dem Super-GAU Beim MSV Duisburg stirbt die letzte Hoffnung

Beim MSV Duisburg sieht es düster aus.

Beim MSV Duisburg sieht es düster aus.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der MSV Duisburg steckt tief im Abstiegskampf der 3. Fußball-Liga fest. Zum Start ins neue Jahr gehen zwei wichtige Duelle verloren. Die Stimmung auf den Rängen kippt, der nächste Trainer steht massiv unter Druck. Ob Rückkehrer Michael Preetz die Dinge zum Guten wenden kann?

Der MSV Duisburg darf dieses Spiel nicht verlieren. Das sagt ein Fan, der sich große Sorgen um seinen Verein macht. Der seit Jahren schwer taumelnde Traditionsklub steht kurz davor, im Nirwana zu verschwinden, sich vom professionellen Fußball zu verabschieden. In der 3. Liga steht die Mannschaft auf Rang 19 und am Dienstagabend kommt der Hallesche FC an die Wedau, zum Spiel, das der Gastgeber nicht verlieren darf. Der MSV legt gut vor, Heimkehrer Ahmet Engin trifft. Die Gäste aus dem Osten gleichen aus, die Duisburger bleiben robust und gehen wieder in Führung. Engin erzielt auch den zweiten Treffer. Eine knappe Viertelstunde vor dem Ende setzt Joshua Bitter zu einer wilden Grätsche an, sieht Rot. Der MSV kassiert zwei weitere Treffer und ist geschockt.

Dieses Spiel hätte der MSV nicht verlieren dürfen. Das rettende Ufer ist bereits acht Punkte entfernt. Halle belegt den ersten Platz, der zum Klassenerhalt reicht. Davor stehen die Münchner Löwen, bei denen die Duisburger im ersten Spiel nach der Winterpause mit 1:4 untergegangen waren. Schlimm, doch dann kam Halle.

Im Stadion wechseln sich fassungsloses Schweigen und "Schommers raus"-Rufe ab. Schommers, Vorname Boris, ist der Trainer der Meidericher. Der bereits dritte in dieser Saison. Ob er der letzte bleibt? Durchaus fraglich. In 13 Spielen unter seiner Verantwortung sprangen nur zwei Siege heraus, sein Punkteschnitt liegt bei 0,69. Hinzu kommt die Blamage beim mittlerweile verzwergten Ex-Bundesligisten Bayer Uerdingen im Niederrheinpokal (0:1) direkt zum Start seiner Amtszeit. Das ist, ohne Zweifel, die Bilanz eines Absteigers. "Wir haben ein ganz wichtiges Spiel verloren. Die Mannschaft hat lange bravourös gekämpft und gut gespielt", warb der Coach für positive Interpretationen des Schocks. "Umso bitterer, dass wir mit leeren Händen da stehen."

Und plötzlich Preetz zurück

Doku über den MSV Duisburg

Traditionsreiche Vergangenheit, herausfordernde Gegenwart – immer absolute Leidenschaft: Der MSV Duisburg spielte einst ganz oben mit, steckt seit einiger Zeit jedoch tief im Abstiegssumpf der 3. Liga und kämpft ums wirtschaftliche Überleben. Auf dem Platz und auf den Rängen erfordert die derzeitige Situation viel Durchhaltevermögen. Und auch hinter den Kulissen rumort es in solch schwierigen Zeiten gewaltig. Die Dokumentation "MSV – Mein Herz schlägt numa hier" begleitet den Traditionsverein über mehr als 12 Monate und liefert ein authentisches Porträt des Ruhrpott-Klubs. Sie ist auf RTL+ zu sehen.

Einen einfachen Stand hatte der 45-Jährige nie. Der "Kicker" titelte zu seiner Verpflichtung: "Duisburg eist Schommers vom 1. FC Düren los." Bei einigen Fans wurde das zum verbitterten Running-Gag. Dass ihr Verein einem Regionalligisten den Trainer ausspannt, das war ein schmerzhafter Beleg für die Realität bei den Zebras, dir nur noch leise wiehern, manche sagen gar, nur noch wimmern. Schommers löste Interim Engin Vural an, den erfolgreichen und beliebten U19-Trainer (der den Klub mittlerweile auch verlassen und bei Fortuna Düsseldorf angeheuert hat) ab, der die Mannschaft in vier Spielen immerhin stabilisiert hatte. Vorbei. Klassenkampf im Keller, nun noch zermürbende 16 Spieltage lang. Dabei sollte im nächsten Jahr, 2025, eigentlich wieder Zweitliga-Fußball an der Wedau gespielt und gefeiert werden, so die große Vision, die vor etwa anderthalb Jahren ausgerufen worden war. Nichts könnte derzeit weiter weg sein.

Existenzkampf statt Euphorie, und das offenbar erstmal weiter mit Schommers: "Wir haben als Mannschaft kämpferisch und spielerisch überzeugt und uns durch individuelle Fehler selbst geschwächt. Das ist nicht am Trainer festzumachen", sagte Michael Preetz. Ja, Preetz, der Mann, der in der vergangenen Woche völlig überraschend aus der Versenkung aufgetaucht war. Dorthin war er im Januar 2021 verschwunden, als er nach mehr als zehn Jahren als Manager von Hertha BSC entlassen worden war. Nun, an anderer alter Wirkungsstätte, will Preetz mit großer Machtfülle und "vollen Akkus helfen" und das Wunder bewirken. Angesichts der aktuellen der Lage wäre ein Klassenerhalt nämlich genau das.

Angst vor der Schweineliga

Was ein Abstieg bedeuten würde, das möchte sich an der Wedau niemand ausmalen. Bis hin zum Tod des Vereins werden schlimmste Szenarien ausgemalt. Der MSV gehört zur Stadt wie die Sechs-Seen-Platte, wie Stahl und Schimanski. Michael Preetz, der neue Geschäftsführer, sagt zwar, man sei auf einen Absturz in die Regionalliga vorbereitet, das gehöre zu einem professionellen Klub dazu. Doch ob diese Worte wirklich Hoffnung schüren? Eher nicht.

Die Regionalliga ist eine Schweineliga. Ein zum Verzweifeln enges Nadelöhr auf dem Weg zurück in den Profifußball. Niemand weiß das besser als der ganz große Rivale aus Essen. Über ein Jahrzehnt kämpften die Rot-Weissen verbissen und Haare raufend um die Rückkehr ins große Geschäft. Die gelang unter großer Erleichterung und noch größerer Euphorie zur vergangenen Saison. Und nach einer ersten Zitterspielzeit mischt RWE plötzlich die 3. Liga auf, ist als Vierter voll dabei, wenn es um den nächsten Aufstieg geht.

In Duisburg mögen sie gar nicht mehr hinschauen. Nicht nach Essen (sowieso nie), aber auch nicht mehr auf die eigene Mannschaft. Die bekommt kaum etwas auf die Kette. Und die Liste der schlechten Nachrichten reißt nicht mehr ab. Vor dem Duell gegen Halle riss sich Sebastian Mai das Kreuzband, der Kapitän, der als Innenverteidiger, als Stürmer und als Typ nicht zu ersetzen ist. Die Hoffnung, aus der Hiobsbotschaft eine gewinnbringende "Jetzt-erst-recht"-Mentalität zu schaffen, sie wurde jäh zerstört. In der 88. Minute starb sie, als der Hallenser Jonas Nietfeld traf.

Die großen Zeiten an der Wedau

Nun ist es ja so an der Wedau, dass sie Leiden gewöhnt sind. Seit Jahren geht es mit dem Klub konstant bergab, inklusive kleiner Zwischenhochs. Aber die großen Zeiten des Klubs aus der Arbeiterstadt an Rhein und Ruhr sind vorbei. In den 70er-, 80er- und sogar noch 90er-Jahren konnte man im alten Stadion, das mittlerweile den etwas sperrigen Namen Schauinsland-Reisen-Arena trägt, hinter der Laufbahn und auf den damals größtenteils nicht überdachten Tribünen internationalen Fußball bestaunen. Im Jahr 1979 erreichte der MSV das Halbfinale des UEFA-Pokals, scheiterte aber am Ligarivalen Borussia Mönchengladbach. Bei den Fohlen spielten damals noch Wolfgang Kleff, Allan Simonsen und Ewald Lienen, der zu den Meiderichern wechselte und sie auch trainierte.

Ein anderes Highlight der Vereinsgeschichte: Das Pokalfinale 1998, das auf dramatische Weise gegen den FC Bayern (1:2) verloren ging, aber immerhin in den europäischen Pokalsieger-Wettbewerb führte. Der bullige Stürmer Bachirou Salou hatte den MSV in Berlin früh in Führung gebracht. Der Traum von der Sensation, er lebte bis zur 70. Minute. Dann wurde er erst von Markus Babbel und in der 89. Minute von Mario Basler gefressen.

Trotzdem waren das große Momente für die Ewigkeit. Momente, die die Fans noch enger an den Klub ketteten. In guten Zeiten. Bis heute. Danny Wustlich sagt in einer ARD-Doku über seine Liebe zum MSV: "Immer weiter. Muss. Du hast dir den Verein ja ausgesucht. Du wechselst nach sechs Jahren ja auch nicht die Frau, wenn sie ein Bein verliert." Die Geschichte von Stolz und Liebe trotz Scheitern, ist eine, mit der sie sich im Ruhrgebiet identifizieren können. Plackerei zählt mehr als der Pott.

Ein Befreiungsschlag und dann?

Doch was hilft die Verklärung der Vergangenheit? Was helfen die Erinnerungen an Legenden wie Bernhard Dietz, der die deutsche Nationalmannschaft 1980 bei der EM als Kapitän aufs Feld führte, an Roland Worm oder Kult-Stürmer Michael Tönnies, an Ikonen wie Joachim Hopp oder eben Salou? Die Gegenwart sieht anders aus. Für eine gute Zukunft steht vor allem Caspar Jander, das Top-Talent, um das es bereits im Winter Wechselgerüchte gab, das aber spätestens im Sommer den Stall verlassen wird. An Angeboten aus höheren Ligen mangelt es nicht. Bitter für den MSV: Er wird ohne Ablöse gehen. Für den klammen Klub eigentlich ein Desaster.

Seit Jahren sind die finanziellen Sorgen ein treuer Begleiter ebenso wie ständig wechselnde Personalien auf der Trainerbank - die meisten sind schon wieder weg, ehe man sich an ihre Namen gewöhnt hat - und der sportlichen Führung. Die prominenten Edelfans Joachim Llambi (RTL-Tanzjuror) und Markus Krebs (Comedian), dessen wiederholte Hilfsangebote vom Verein (Benefizauftritte für die Meidericher) nur sehr zögerlich angenommen wurden und werden, knöpfen sich die Entscheidungsträger immer wieder wütend vor. Sie vermissen Kompetenz und Identifikation. Abgewendete Insolvenz, Zwangsabstieg, verfehlte Kaderplanungen, Führungsversagen und die ewige Sorge, dass es noch schlimmer wird. Den Fans ist sehr viel zugemutet worden.

Im vergangenen Sommer etwa, als Leistungsträger, Fan-Liebling und Identifikationsfigur Moritz Stoppelkamp kein neuer Vertrag angeboten worden war, obwohl der 37-jährige gebürtige Duisburger immer noch motiviert und fest davon ausgegangen war. Er wollte helfen, den Klub nach einer zumindest sorgenfreien Saison erneut und nachhaltiger in sportlich ruhiges Fahrwasser zu navigieren. Aber ein neuer Kader-"Input" solle halt her, war die Begründung, die Fans und den Spieler gleichermaßen fassungslos machte. Der Offensivspieler wechselte in die Nachbarschaft, zu Rot-Weiß Oberhausen und lieferte dort weiter starke Leistungen. Vielleicht gibt es in der kommenden Saison ein Wiedersehen -in der Regionalliga. Der involvierte Trainer Torsten Ziegner und der verantwortliche Sportgeschäftsführer Ralf Heskamp sind längst Geschichte. Und der Verein geständig, dass die Entscheidung eine schlechte war. Die Zeit der Zumutungen, sie will einfach nicht enden.

Dabei hatte es kurz vor der Winterpause eigentlich einen großen Befreiungsschlag gegeben, als schmackhaftes Bonbon zu ein paar durchaus ansprechenden Leistungen (und folglich auch Punkten) in der Liga. Präsident Ingo Wald hatte verkündet, dass Hauptsponsor Schauinsland Reisen auf die Rückzahlung von sechs Millionen Euro verzichtet, die ihm der Verein noch schuldete. Die Verbindlichkeiten, so zitierte es die ARD-"Sportschau", würden "praktisch aus der Bilanz weggewischt". Dieser Deal sorge für eine verbesserte Eigenkapital-Situation.

Zwei Statement-Transfers - und sonst noch?

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In der Winterpause hat der MSV dann investiert. Engin, der Doppeltorschütze gegen Halle, kam aus Griechenland zurück. Und mit dem Bundesliga-erfahrenen und sogar einst an der Nationalmannschaft anklopfenden Daniel Ginczek wurde ein Stürmer verpflichtet, der die fürchterlich harmlose Offensive beleben soll. Zwei Statement-Transfers. Weitere sollen oder müssen folgen. Der Ausfall von Kapitän Mai trifft die Duisburger hart. Der Klub will schauen, was finanziell möglich ist. Vielleicht hilft der Faktor Preetz, dessen Netzwerk, die Strahlkraft seines Namens? Es wäre wohl zwingend nötig, um den Super-GAU noch abzuwenden. Exakt 60 Jahre, nachdem der MSV als Zweiter der Fußball-Bundesliga so gut war wie nie wieder, droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.

Das blau-weiße Zebra wiehert nicht mehr, es wimmert.

Quelle: ntv.de

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