6 Lehren aus den Pokal-Spektakeln Bielefeld duscht genial, BVB wird bekloppt
09.04.2015, 12:31 Uhr
Helden wir ihr: Die Arminen feiern ihren Pokalcoup über Gladbach auf dem Zaun - und Bielefeld feiert mit.
(Foto: imago/Revierfoto)
Vier Spiele, dreimal Verlängerung, zweimal Elfmeterschießen, einmal Sensation: Der DFB-Pokal sorgt für Schnappatmung. Drittligist Bielefeld duscht auch Gladbach weg, der BVB ist "geil" und Guardiola grübelt grandios.
1. Der Pokal hat seine eigene Berechtigung
Das Interessante ist, dass man an diesem milden Mittwochnachmittag im sonnigen Bielefeld den Eindruck gewinnen konnte, dass es gar nicht so sehr ums Gewinnen geht. Sondern einfach darum, dabei zu sein. Die Menschen, die es mit der Arminia halten, waren fröhlich und voller Erwartung. In der Altstadt, an der Haltestelle vor dem Landgericht, in der Straßenbahn und vor dem Stadion auf der Alm sprachen sie darüber, dass die Mönchengladbacher Borussen in der Stadt sind. Endlich wieder gefühlte erste Liga in Bielefeld. Und darüber, ob ihre Arminia eine Chance hat in diesem Viertelfinale in diesem Viertelfinale des DFB-Pokals. Schließlich ist Gladbach ja nicht irgendwer. Aber träumen ist erlaubt. Verlängerung? Elfmeterschießen? Vielleicht geht ja doch was. "Wir müssen uns nicht verstecken." Und, na klar: "Im Pokal ist alles möglich, glaub' mir."
Die "Neue Westfälische" präsentierte auf ihrer Titelseite eine Kollage, David gegen Goliath, Norbert Meier gegen den Gladbacher Trainer Lucien Favre. Auch die Konkurrenz vom "Westfalenblatt" machte mit dem Spiel des Jahres auf: "Heute bebt wieder die Alm." Die Südtribüne mit den treusten Fans war schon eine halbe Stunde vor dem Anpfiff pickepackevoll, die Choreographie vor Spielbeginn wirklich fein, "Forza DSC!" Und es kam dann so, wie sie es sich in Bielefeld gewünscht hatten. Ausverkauftes Haus, Flutlicht, Führung, Ausgleich, Verlängerung, Elfmeterschießen, Drama, Spieler, die am Ende ihrer Kräfte humpelnd den Platz verlassen, Fans, die entfesselt die Sensation feiern. "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!" Vor dem Endspiel am 30. Mai im Olympiastadion steht noch das Halbfinale an. Am 29. April muss der VfL Wolfsburg auf die Alm. Und das Interessante ist, dass an diesem Mittwochabend in Bielefeld kaum einer den Eindruck vermittelte, als sei das irgendwie ein Problem.
2. Der FC Bayern kann auch anders - und Kung-Fu
Beim FC Bayern München lieben sie den schönen Fußball. Tolle Ballstafetten, ein Absatzkick hier, ein Dribbling dort und am Ende stehen Tore, möglichst viele. So ist es ihnen im Süden recht, das wollen sie sehen auf dem Weg zu Titeln und Trophäen. Doch nicht immer kann der Weg zum Erfolg mit Schönheit und Perfektion geebnet werden. Manchmal gilt es den anderen Weg zu nehmen, den über harte Arbeit und Geduld. Bayern Münchens Trainer Josep Guardiola hat das erkannt. Er hat seine - für Bayern-Verhältnisse - ersatzgeschwächte Mannschaft, die bei voller Kaderstärke absolut auf Offensivspektakel ausgerichtet ist, taktisch zu einem Abwehrbollwerk umgebaut. Schon in der Liga gegen Dortmund war das zu sehen. Acht Defensive hielten die Borussen die meiste Zeit des Spiels vom Kasten ihres Keepers Manuel Neuer fern.

Bayern-Coach Josep Guardiola mauerte diesmal mit Ballbesitz, musste auf seinem Klappstuhl aber dennoch ein Elfmeterschießen überstehen.
(Foto: imago/MIS)
Im Pokal fand die neue Münchener Mauertaktik mit diesmal aber nur sieben Verteidigern ihre Fortsetzung, wieder erfolgreich, wenn auch wieder etwas glücklich und brutal wie bei Thiagos Kung-Fu-Kick gegen Stefan Kießling. Denn in beiden Spielen war der deutsche Rekordmeister nicht unbedingt die bessere, aber stets die reifere Mannschaft. Mal mit nur wenig Ballbesitz wie gegen Dortmund und mal mit ganz viel Ballbesitz wie gegen Leverkusen. Diese Einsicht, dass sich die Bayern selbst in Zeiten größter Dominanz taktisch noch weiterentwickeln, ist eine bittere Erkenntnis für die nationale Konkurrenz. Denn die hechelt den Bayern sowieso schon seit längerer Zeit mit hängender Zunge und gebührendem Abstand hinterher. Aber auch die europäischen Großkaliber sind gewarnt: Diesen FC Bayern muss man erstmal schlagen – eine 0:4-Niederlage wie im vergangenen Jahr in der Champions League gegen Real Madrid, als Guardiola auf eine falsche Taktik setzte, wird es so nicht mehr geben.
3. VfL Wolfsburg verkauft ein Qualitätsprodukt
Apropos VfL Wolfsburg. Der Viertelfinalsieg gegen den SC Freiburg am frühen Dienstagabend war nichts für Feinschmecker, sondern vielmehr eine arg zähe Angelegenheit. Schließlich musste ein umstrittener Elfmeter herhalten, um den Sieg sicherzustellen. Und halbleer war das Stadion auch, für 15.207 Zuschauer in einem Viertelfinale des DFB-Pokals würde sich so manch anderer Verein schämen. Aber man kann gegen die Wolfsburger sagen was man will: Sie ziehen ihr Ding durch. Und das erfolgreich. In der Bundesliga haben sie Platz zwei und damit die Teilnahmeberechtigung an der Champions League nach menschlichem Ermessen sicher - und Gott wird sich mit solchen Dingen nicht beschäftigen. Und sie stehen im Halbfinale des DFB-Pokals - anders zum Beispiel als die Mönchengladbacher Borussia. In der Europaliga treffen sie im Viertelfinale auf den SSC Neapel.
Will heißen: Selbst wenn sie nicht ihren besten Tag erwischt, gewinnt die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking mittlerweile - oder verliert zumindest nicht. Und dass sie es auch spektakulär kann, hat sie zum Beispiel beim furiosen 4:1 gegen den FC Bayern zum Auftakt der Rückrunde, beim munteren 5:4 in Leverkusen und beim ebenso unterhaltsamen 5:3 in Bremen gezeigt. Und im Pokal reicht dann zur Not auch mal ein schnödes 1:0. Oder wie Hecking es formulierte: "Das ist auch ein Merkmal einer Spitzenmannschaft." Jedenfalls hat er, und das spricht absolut für ihn und sein Team, den VfL Wolfsburg zu einem Qualitätsprodukt entwickelt. Bielefeld darf sich freuen.
4. Leverkusen fehlt die Reife - noch
Es war das zweite Do-or-Die-Spiel für Bayer Leverkusen in dieser Saison. Und zum zweiten Mal verlor die Mannschaft von Trainer Roger Schmidt erst im Elfmeterschießen. Jetzt können sie sich damit trösten, dass ihre Gegner Atletico Madrid und FC Bayern waren, die Meister aus Spanien und Deutschland. Aber was bringt das? Er verklärt den Blick aufs Wesentliche. Der Werkself fehlt in den entscheidenden Spielen die nötige Reife. In der Champions League scheiterten mit Ömer Toprak, Stefan Kießling und Hakan Calhanoglu gleich drei Bayer-Kicker im Elfmeterschießen. Im Pokal war es mit Josip Drmic diesmal zwar nur einer, doch hätte es gegen tiefstehende Bayern gar nicht erst so weit kommen müssen. In der regulären Spielzeit und auch in der Verlängerung hatte die Elf von Roger Schmidt ausreichend Möglichkeiten, die Partie zu ihren Gunsten zu entscheiden. Doch zu häufig trafen die Offensivkräfte die falschen Entscheidungen. Entweder schossen sie, statt zum besser postierten Mitspieler zu passen - hier tat sich vor allem der junge Julian Brandt hervor. Oder sie schlossen ihre Angriffe zu überhastet ab - hier stellte sich Nationalspieler Karim Bellarabi ins Schaufenster.
Bei allem Talent fehlt es der Mannschaft von Roger Schmidt an Erfahrung, an Routine und an Nervenstärke, um in den ganz großen Spielen, den ganz großen Wurf zu landen. Und so blieb am Ende einmal mehr eine Adelung von FCB-Coach Josep Guardiola, von der sie sich am Rhein nichts kaufen können: "Leverkusen ist eine der besten Mannschaften der Welt. Sie hatten ihre Torchancen. Beide Mannschaften haben ein gutes Elfmeterschießen gezeigt." Eines, in dem Bayers Gegner eben genau ein Tor besser, ein Tor reifer war.
5. Dortmund ist endlich wieder bekloppt

Wild vor Wonne: BVB-Coach Jürgen Klopp feiert den leidenschaftlichen Pokalsieg seiner Dortmunder über Hoffenheim.
(Foto: imago/Hartenfelser)
Sie mussten so lange darauf warten: Endlich mal wieder eine Feierstunde in Dortmund, endlich mal wieder Gänsehaut und endlich mal wieder Fußball wie zu des Pöhlers besten Zeiten. Beim leidenschaftlich erkämpften 3:2-Erfolg im Pokal-Viertelfinale gegen 1899 Hoffenheim ließen die BVB-Profis wieder jene längst vergessenen Tugenden wieder aufleben, die sie in den vergangenen Jahren so erfolgreich gemacht hatten. Mitreißender Fußball mit Tempo, mit Leidenschaft und der unbändigen Gier auf Tore. Und auch der Trainer, der in dieser Saison häufig so angeknockt, so dünnhäutig wirkte, fand zu altbekanntem Vokabular zurück. Jürgen Klopp fand das Spiel "dramatisch", aber vor allem "geil". Geil, weil sie beim BVB ein Spiel, das mal wieder in eine falsche Richtung lief, doch noch drehten. Mit Mut, mit Freude und mit Leidenschaft. Nun liegt es an den Dortmundern zu beweisen, dass sie den begeisternden und so erfolgreichen Klopp-Fußball nicht vergessen haben. In den nächsten Wochen haben sie reichlich Gelegenheit dazu. Eine erste Chance bietet sich am Samstag beim Gastspiel in Mönchengladbach, so richtig ernst wird es dann aber Ende April, wenn es ausgerechnet gegen Bayern München um den Einzug ins Finale des DFB-Pokals geht.
6. Bielefelds Erfolgsgeheimnis steht unter der Dusche
Apropos Bielefeld. Normalerweise ist ja für Traditionsvereine, die ihre beste Zeit hinter sich haben, spätestens in der dritten Pokalrunde Schluss mit lustig. Nicht so für die Arminen. Das war schon ein Ding, das sie da rausgehauen und so ganz nebenbei den Gladbachern die letzte Chance auf einen Titel in dieser Saison vermasselt haben. Nun stehen sie als Drittligist in der Runde der letzten Vier - und nehmen das durchaus mit Genugtuung zur Kenntnis. Wie sagte der Kollege am Mittwochabend in der Mixed Zone, wo sich die Journalisten mit den Spielern treffen, nach einem kurzen Blick auf den Fernseher und die Partie der Leverkusener gegen den FC Bayern? "Alles Opfer!" Sie haben Oberwasser in Bielefeld, auch wenn die Profis von Trainer Norbert Meier das so nie sagen würden. Es war aber schon erstaunlich, wie selbstbewusst sie spielten und ihr Spiel hinterher kommentierten.
Florian Dick zum Beispiel, der den zweiten Elfmeter für die Arminia sicher verwandelte und hinterher zugab: "Eine gewisse Nervosität war schon da." Zumal er eigentlich gar nicht schießen wollte. "Vier Spieler haben sich gemeldet, einer fehlte. Da habe ich gesagt: Wenn keiner will, dann mache ich es halt." Der Außenverteidiger war vor der Saison vom Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern gekommen, mit dem er im vergangen Jahr ebenfalls das Halbfinale erreicht hatte, das allerdings mit 1:5 beim FC Bayern verlor. Dick jedenfalls sagte: "Das ist wirklich Wahnsinn, einen Champions-League-Aspiranten aus dem Pokal zu kegeln. Aber ich glaube, dass wir uns das verdient haben." Und er sagte auch, warum: "Wir haben versucht, die Räume so eng wie möglich zu machen, kompakt zu stehen und die Schnelligkeit aus dem Spiel zu nehmen. Das war sehr intensiv für uns, wir mussten viel laufen, vor allem ohne Ball." Klingt so, als sei erfolgreicher Fußball zwar anstrengend, aber im Grunde doch ganz einfach. Dicks Kollege Daniel Brinkmann, der nach der Pause für den Torschützen Manuel Junglas in die Partie gekommen war und seinen Strafstoß ebenfalls ins Ziel brachte, war ebenfalls mit sich und der Welt zufrieden: "Das sind die Momente, für die man täglich trainiert. Gladbach war sicherlich spielerisch haushoch überlegen, da braucht man sich nichts vorzumachen. Aber unser Trainer hat gesagt: Unter der Dusche sehen alle gleich aus." Aha, jetzt ist es raus: Das Bielefelder Erfolgsgeheimnis ist gelüftet.
Quelle: ntv.de