Fußball

Katastrophenjahr mit Happy End? Das Drama des hochbegabten Mesut Özil

Mesut Özils neuer Trainer beim FC Arsenal, Mikel Arteta, setzt endlich wieder auf den Mittelfeldkünstler.

Mesut Özils neuer Trainer beim FC Arsenal, Mikel Arteta, setzt endlich wieder auf den Mittelfeldkünstler.

(Foto: imago images/Sportimage)

Der Fußballer Mesut Özil kann alles am Ball - und manchmal gelingt ihm gar nichts. 2019 spielt der Ex-Nationalspieler für den FC Arsenal meist schlecht. Dabei braucht der sensible Hochbegabte einfach etwas Liebe, Lob und Aufmerksamkeit, damit er sein wahres Selbst findet.

Es gibt da diese eine Szene Mesut Özils, die jeden Fußballfan mit der Zunge schnalzen lässt. Falsch. Dutzende gibt es davon. Quatsch, Hunderte. Ob seine Kunststücke beim SV Werder, wie das 1:0 im DFB-Pokalfinale 2009, das den Bremern ihren bislang letzten Titel sichert. Oder seine Zuckerpässe auf Cristiano Ronaldo bei Real Madrid, wegen derer der Portugiese sauer war, als Real Özil ziehen ließ. Auch seine Lupf-Show in der Champions League gegen zwei Verteidiger und den Torwart von Ludogorets Razgrad bleibt für immer in Erinnerung. Ebenfalls der fulminante Linksschuss zum 1:0 über Ghana bei der WM 2010, der der deutschen Mannschaft in Südafrika den Einzug ins Achtelfinale sichert. Hinzu kommen unzählige Zuspiele, die Abwehrreihen nur so zerschneiden. Traumvorlagen, die nur Özil spielen kann, und die ihm einst den Spitznamen "Zauberer von Öz" verschafften. Manchmal ist der Zehner einer der talentiertesten Fußballer, die Deutschland je hatte.

Mesut Özil musste dieses Jahr oft von draußen zugucken.

Mesut Özil musste dieses Jahr oft von draußen zugucken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Manchmal ist der Ex-Nationalspieler aber auch ein ganz anderer, ein Fußballer ohne Spielfreude, Esprit und Bemühen. Im Jahr 2019 war Özil fast immer nur diese B-Variante seiner selbst. Er spielte selten und traf noch seltener, wurde öfters gar aus dem Kader verbannt. In der Saison 2019/2020 machte der Hochbegabte bisher nur 10 von 20 Spielen in der englischen Premier League und eines in der Europaliga, gab dabei lediglich zwei Torvorlagen und erzielte keinen einzigen Treffer.

In der gesamten vergangenen Saison markierte er in allen Wettbewerben nur sechs Tore in 35 Spielen und legte mickrige drei auf. Viel zu wenig für einen Spieler seiner Klasse und Begabung. Aber den Mittelfeldkünstler beschäftigten andere Dinge als Fußball. Da war der Überfall am hellichten Tag auf ihn und seinen Kollegen Sead Kolasinac, als er von mit Messern bewaffneten Räubern durch London gejagt wurde. Da waren seine platinblonden Haare, mit denen er im Sommer auf sich aufmerksam machte. Die "Bild"-Zeitung spottete, er sehe aus wie Heino. Oder seine Hochzeit mit der ehemaligen Miss Türkei Amine Gülse, bei der Özil den autokratischen Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, zum Trauzeugen machte. Immer wieder berichteten britische Medien, Arsenal wolle seinen Topverdiener loswerden.

Rassismuserfahrung und Sensibilität

Özil traf 2019 einige unkluge Entscheidungen, aber er bekam auch wieder einmal unverhältnismäßig viel Häme ab. Dabei stößt er durchaus wichtige Debatten an. "Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagte der Mittelfeldspieler im Oktober in einem Interview mit dem amerikanischen Portal The Athletic mit Verweis auf den Anschlag in Halle, bei dem ein Rechtsextremer nach einem gescheiterten Angriff auf eine Synagoge zwei Menschen erschoss. Abermals beklagte er zu Recht, dass "Niemand von der Nationalmannschaft aufgestanden ist und gesagt hat: 'Hört auf damit, das ist unser Spieler'", als er im Vorfeld und während der Weltmeisterschaft 2018 rassistisch angefeindet wird. Und während die ganze US-Basketballliga NBA vor China kuscht, kritisierte der ehemalige Nationalspieler in einem türkischsprachigen Tweet den völkerrechtswidrigen Umgang der Volksrepublik mit den Uiguren und das Schweigen der muslimischen Welt diesbezüglich. Deswegen wurde er sogar aus einem Videospiel gestrichen.

Im "Athletic"-Interview sagt Özil: "Wenn wir in einem wichtigen Spiel nicht gut spielen, ist es immer meine Schuld." Die Worte verraten, wie der Hochbegabte sein Jahr analysiert. Özil projiziert Kritik an seinem Spiel auf sich selbst, versteht sie als Kritik an seiner Person. Der 31-Jährige ist ein sensibler Mensch und nimmt die Urteile, die in der britischen und deutschen Presse gerne überhart ausfallen, sehr persönlich. Die polnisch-schweizerische Psychoanalytikerin Alice Miller schreibt in ihrem Buch "Das Drama des begabten Kindes" über solch eine emotionale Verunsicherung. Wie der hochbegabte Özil, der immer schüchtern, wenn nicht etwas traurig wirkt, versuchen viele eine Verunsicherung dieser Art in der Grandiosität abzuwerten: teure Sportwagen, glitzernde Uhren, hochdotierte Verträge.

Happy End für den Hochbegabten?

Letztlich, schreibt Miller, befänden wir alle uns auf der Suche nach dem wahren Selbst - aber sensible Menschen spüren schon im Kindesalter einen gewissen Anpassungsdruck, sind lange und oft verunsichert und finden nur schwer zu ihrer wahren Persönlichkeit. "Auch wenn ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, gehört die Türkei zu mir", sagte Özil. Seine Suche nach dem Selbst ist verknüpft mit seiner Suche nach der eigenen Identität. Das zeigten auch seine Aussagen, mit denen er den Rücktritt aus der Nationalmannschaft 2018 begründet. "Respekt" für seine Leistungen im Nationaldress fordert er auch 2019 wieder ein. Einen Identitätskonflikt haben viele Deutsche, deren Eltern woanders geboren wurden. Deutsch-Türken gelten in Deutschland oft als Türken und in der Türkei als Deutsche. Bei Özil liest man zwischen den Zeilen immer auch, dass ihm eine gewisse Zugehörigkeit fehlt, dass er kein wirkliches Heimatgefühl hat.

Das Resultat ist ein verstärkter Geltungsdrang. Özil will lange dazugehören in Deutschland. Tut das auch, aber - wie er selbst sagt - nur als Gewinner. 2019 gehört er über lange Zeit nicht mal mehr zu seinem Fußballklub in England und in Deutschland lässt er sich immer seltener blicken. So wendet er sich verstärkt der Türkei zu. Bei den Normalo-Deutsch-Türken macht das Land gerne mal die Tür zu, wenn nicht gerade Wahlkampf ist. Özil, der Fußballstar, wird aber natürlich mit offenen Armen in Empfang genommen, Autokrat Erdogan sonnt sich mit den Bilder mit dem Deutschen und seiner in der Türkei noch bekannteren Schauspieler-Frau.

Der hochbegabte, sensible Mesut Özil braucht Aufmerksamkeit, Lob und Liebe, um sein Können zu zeigen. Es scheint, als habe sein Jahr aber doch noch ein Happy End parat für ihn. Arsenals neuer Trainer Mikel Arteta sprach von einem "unglaublichen" Özil. Bei der Heimpremiere Artetas gegen Chelsea sprühte der Ex-Nationalspieler nur so vor Spielwitz. Die Partie ging am Ende zwar noch knapp verloren, aber da stand er nicht mehr auf dem Platz. "Majestätisch" nannte die "Daily Mail" seinen Auftritt. Mit so viel Lob könnte 2020 wieder der Özil zum Vorschein kommen, der Spiele dirigiert und entscheidet, der Dutzende nur ihm eigene Traumpässe spielt. Ach quatsch, Hunderte.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen