Fußball

"Ein Sturz ohne Fallschirm" Das miese Vorbild der Pariser Supergroup

Nie auch nur die Summe der einzelnen Teile: Das Real Madrid der "galaktischen" Jahre.

Nie auch nur die Summe der einzelnen Teile: Das Real Madrid der "galaktischen" Jahre.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

In Paris hat sich eine Gruppe Fußballspieler versammelt, die nichts weniger als das größte Kickspektakel auf Erden verspricht. Das allerdings gab es schon einmal im europäischen Spitzenfußball. Das Ergebnis? Erschreckend.

Er ist gelandet, Lionel Messi, der Messias. In Paris, der Stadt der scheinbar unbegrenzten finanziellen Ressourcen, der Stadt des neuen Größenwahns in der dank katarischer Ölmilliarden die Geldquellen niemals versiegen. In dieser Stadt spielt spätestens jetzt das aufregendste Fußballteam des Planeten, mindestens. Die Szenen bei Messis Vorstellung wirkten wie völlig aus der Pandemie gefallen, es war wie der Einzug des Messias in sein Himmelsreich. "Der Floh erobert Paris, das ihn wie einen König empfängt", schrieb Italiens "Corriere della Sera". In Paris ist nun eine gewaltige Riege an Superstars versammelt.

Die Superstars Neymar und Kylian Mbappé wurden einst 2017 für zusammen letztendlich über 400 Millionen Euro geholt. Und jetzt ist auch Messi Teil des Spektakels, er ist die größte Attraktion im hochgerüsteten Fußballzirkus. Der Argentinier ist jetzt Teil der hochkarätigsten Offensive der Welt. Er ist aber auch der Spieler, der nicht nur die Träume von Fans und Kollegen befeuern soll. Der 34-Jährige soll vor allem die Träume der Geldgeber wahr werden lassen. "Wenn Messi zu Paris Saint-German wechselt, werden die da praktisch alleine spielen. Man sollte ihnen dann gleich alle Titel schicken", warnte der ehemalige Bayern-Profi James Rodriguez. Ein Selbstläufer ist das jetzt trotzdem nicht, auch wenn die Mannschaft mit der Spektakel-Offensive auf dem Papier erstmal unschlagbar wirkt.

Das war sie ja auch schon ohne Messi, eigentlich. Die Scheichs haben seit ihrem Einstieg 2011 weit mehr als eine Milliarde Dollar in den Verein gesteckt, für ihr Investment wurden sie bisher allerdings kaum belohnt: Ein paar französische Meisterschaften, das wars. Und in der vergangenen Saison holte man sogar noch nicht mal den nationalen Titel. Ein Desaster.

Eine absurde Ansammlung von Superstars

Der große Präzedenzfall, der allen Mitbewerbern um europäische Titel Hoffnung schenkt, ist das Real Madrid vom Beginn des Jahrtausends. Florentino Perez, schwerreicher Unternehmer, wollte dort seinerzeit Präsident der Königlichen werden und versprach den Mitgliedern die wildesten Dinge: Jedes Jahr werde er einen Superstar verpflichten. Einen Galaktischen. Die Mitglieder ließen sich für Pérez Größenwahn begeistern - und machten ihn etwas überraschend tatsächlich zum Präsidenten ihres Klubs. Und Pérez lieferte schnell.

So kaufte man dem Erzrivalen FC Barcelona zur Saison 2000/01 als ersten Luis Figo weg. Vorher hatte er Figo umgerechnet zwei Millionen Euro für einen Vorvertrag überwiesen. Ein Jahr später folgte Zinedine Zidane, der beste Spieler seiner Zeit, den Perez von Juventus Turin loseiste und mit einer Ablösesumme von 77,5 Millionen Euro zum teuersten Spieler der Welt machte. "Der größte Klub braucht die besten Spieler der Welt. Das sind wir unseren Fans schuldig", erklärte Pérez. Der kurzfristige Erfolg gab ihm recht, denn die Galácticos, wie die Ansammlung der Stars hochoffiziell von der spanischen Presse getauft wurde, holten 2002 den Champions-League-Titel. Zidane erzielte im Endspiel gegen Bayer Leverkusen ein Zaubertor.

Gescheitert war der Bundesligist mit den des galaktischen Glanzes eher unverdächtigen Carsten Ramelow oder Thomas Brdaric aber letztendlich nicht im galaktischen Angriffswirbel, sondern vor allem an Iker Casillas. Der war damals als 20-jähriger Ersatzkeeper aufs Feld gekommen, weil sich Stammtorwart Cesar Sanchez in der 68. Minute verletzt hatte - und sicherte mit einer Unzahl an Paraden den Champions-League-Titel für die Galácticos. "An diesem Abend ging der Stern des Iker Casillas auf" erinnerte sich Leverkusens einstiger Verteidiger Jens Nowotny bei SPOX und GOAL an das Endspiel in Glasgow zurück: "Er hätte auch hinter sein Tor gehen können und wir hätten ihn trotzdem noch angeschossen." Casillas wurde in den Folgejahren zu "San Iker", dem Fußballheiligen, gewann noch einmal die Königsklasse, wurde Europa- und Weltmeister. Die Galácticos, die ihren universalen Siegeszug antreten sollten, hatten dagegen in Glasgow den Höhepunkt der Idee schon erreicht. Geahnt hatte das damals niemand.

Denn Perez rüstete nach dem Triumph weiter auf, es fing an, ins Absurde abzudriften. Zu Zidane, Figo, Casillas, dem brasilianischen Weltmeister Roberto Carlos und dem Klubheiligen Raúl gesellte sich Ronaldo, der beste Stürmer seiner Jahre, zur Saison 2003/04 folgte mit David Beckham der Fußballer mit der weltweit größten Strahlkraft, die weit über den Sport hinausreichte. Michael Owen, einst größte Sturmhoffnung Englands, war dann nur noch eine Randnotiz. Der Stürmer war letztendlich eine mit 12 Millionen Euro günstige Fußnote.

"Wir gewannen drei Jahre lang gar nichts"

Es war absurd, es war größenwahnsinnig - und es funktionierte überhaupt nicht. Nach dem Champions-League-Triumph gegen Bayer Leverkusen, der dem größenwahnsinnigen Konzept der Galácticos rechtzugeben schien, folgte noch die nationale Meisterschaft 2003. Danach aber blieb man drei Jahre lang titellos, national und international. Gedemütigt vom ewigen Rivalen aus Barcelona, aufgerieben in internen Kämpfen. Casillas erinnert sich: "Es ist nicht immer nur eine Frage der großen Namen, man muss auch ein Team sein und das waren wir nicht. Wir gewannen drei Jahre lang gar nichts, während Barça durchstartete und zwei Meisterschaften in Folge sowie die Champions League 2006 gewann."

Als David Beckham 2007 als letzter aus der Riege der Supertransfers Madrid gen Los Angeles verließ, war das Scheitern einer spektakulären Idee komplett. Nach den Sternen griffen die Galaktischen in diesen Jahren nie, dreimal scheiterten sie zwischen 2003 und 2007 im Achtelfinale der Champions League, einmal im Viertelfinale. Für Casillas gab es einen Knackpunkt: Das Pokalfinale der Saison 2003/04, welches man gegen Real Zaragoza mit 2:3 nach Verlängerung verlor. Casillas: "Das mit den Galácticos war eine andere Dimension: Ronaldo, Zidane, Figo… 40 Fotografen hinter Beckham, sobald dieser hinausging. Wir waren neun Monate am Gewinnen und es schien, als würde alles phänomenal laufen, aber die Niederlage im Copa-Finale gegen Zaragoza traf uns." Danach ging alles dahin: In der Champions League verspielte man einen 4:2-Vorsprung aus dem Hinspiel gegen die AS Monaco, im Ligaendspurt verlor man fünf Spiele in Serie und damit auch den Titel. "Es war wie ein Sturz ohne Fallschirm, genauso war dieser Zeitraum von der dritten Märzwoche bis Mitte Mai", so der fünffache Welttorhüter Casillas.

Für zwei Superstars der galaktischen Jahre war der Knackpunkt hausgemacht: "Wie alle mittlerweile wissen, war es ein großer Fehler von Pérez, del Bosque zu feuern. Wir hätten sicher noch sehr viel mit ihm gewonnen", erinnerte sich Ronaldo, der 2002 kam und in der Folgesaison mit 26 Treffen auf Anhieb spanischer Torschützenkönig geworden war. Der Spanier wurde nach dem Meistertitel 2003 entlassen, "aus technischen Gründen", wie es hieß. Der spätere Europa- und Weltmeistertrainer Spaniens ließ das Ensemble nach dem Geschmack der Klubführung nicht glanzvoll genug spielen. "Vicente del Bosque hat uns perfekt verstanden. Wir brauchten keine Regeln. Die Spieler wussten, was zu tun ist", sagte Roberto Carlos Jahre später bei "Canal 11": "Er hat das Training nie für 11 Uhr angesetzt, weil er wusste, dass keiner kommen würde."

Die Macher von PSG haben den Fehler mit dem gefeuerten Trainer schon hinter sich gebracht: Nach der Niederlage im Champions-League-Finale von 2020 feuerten sie den bei den Stars geachteten Thomas Tuchel. Der Deutsche führte im Folgejahr den FC Chelsea aus dem Mittelfeld der Premier League zum Champions-League-Titel und grüßte von Europas Thron nach Paris. Nachfolger Mauricio Pochettino scheiterte im Halbfinale und verpasste anschließend noch den Meistertitel.

"Das war der Anfang vom Ende"

Der zweite Fehler, der verhinderte, dass die Galacticos ins Fliegen kamen, ist die Transferstrategie von Pérez. Die nämlich sah nicht vor, nennenswert in die Defensive zu investieren. Warum auch, wenn vorne all diese wunderbaren Spieler wirbeln? Doch war der Ball weg, waren die Stars zu träge, dann musste ein anderer den Laden retten: Claude Makélélé, einer der besten Sechser, als der Sechser noch nicht als Schlüsselelement eines modernen Fußballteams galt. Der Franzose kam zur Saison 2000/01, nach Beckhams Ankunft zwei Jahre später, musste der so unspektakuläre, dafür aber so wichtige Defensivspieler gehen.

"Schon 2001 stellte Pérez mir eine Verlängerung des bis 2003 gültigen Vertrags in Aussicht. Doch als im Sommer 2003 Beckham kam, hat man mir gesagt, dass für mich kein Geld übrig sei", erzählte er 2019 "Stadium Astro". "Dann sprach mich Valdano (Reals Ex-Sportdirektor) ein wenig zu aggressiv an und meinte, für Real Madrid sollte ich auch umsonst spielen. Ich wollte nicht mehr bei einem Klub bleiben, der mich nicht respektiert." Makélélé ging gekränkt zum FC Chelsea. Es war einer der Pfeiler der Galacticos, die Perez wegtrat. In seiner 2006 veröffentlichen Biographie schrieb Ex-Teamkollege Steve McManaman über Makélélé: "Jahrelang war er der beste Spieler im Team, aber manche Leute haben das einfach nicht registriert, haben nicht wahrgenommen, was er leistete. Wir Spieler wussten alle, dass er der wichtigste war. Der Verlust von Makélélé war der Anfang vom Ende für die Galácticos." Exakt dasselbe sagte Real-Legende Fernando Hierro 2005.

Pérezrief seinem Schlüsselspieler, den er nie als solchen erkannte, nur hinterher: "Wir werden Makélélé nicht vermissen. Seine technischen Fähigkeiten sind durchschnittlich, ihm fehlt es an Geschwindigkeit und Technik um im eins gegen eins zu bestehen und 90 % seiner Aktionen verlaufen nach hinten oder zur Seite. Er war kein guter Kopfballspieler, und seine Pässe waren selten länger als drei Meter. Es werden jüngere Spieler kommen und Makélélé vergessen machen." Alleine: Es kam keiner, jedenfalls nicht in jenen galaktischen Jahren.

Kahn ist nur mäßig beeindruckt

PSG macht es anders. Mit Sergio Ramos verpflichteten sie vor der Saison einen der besten Verteidiger der vergangenen zehn Jahre, ein Rauhbein, ein Mann von Härte und Arbeit. Ein Mentalitätsmonster, bereit, das schöne Spiel zu zerstören. Das des Gegners, natürlich. Achraf Hakimi kam von Inter Mailand, der deutsche Nationalspieler Thilo Kehrer war schon da, genauso wie der französische Nationalverteidiger Presnel Kimpembe, Kapitän Marquinhos und Europameister Marco Verratti. Es ist schwer vorstellbar, aber es gibt tatsächlich so etwas wie ein Gleichgewicht zwischen Defensive und Offensive. Zumindest eine Idee davon, anders als in den späteren galaktischen Jahren.

Gianluigi Donnarumma wird sich das angenommene Spektakel von ganz hinten aus anschauen. Als spielender Fan, gewissermaßen. "Er ist der Beste der Welt", hatte Donnarumma "Sky Sport Italia" noch vor der Unterschrift über Messi gesagt: "Ich bin aufgeregt und glücklich, wenn ich daran denke, ihn im Team zu haben." Dabei ist Donnarumma selbst ein Star, der Torwart wurde im Juli Europameister und zum besten Spieler des Turniers gewählt. In dieser Saison spielt er für PSG.

Oliver Kahn ist vorsichtig optimistisch. Sicher, "wenn man sich die Namen ansieht haben sie bei PSG mittlerweile eine spannende Truppe zusammen", sagte der Boss des FC Bayern. Aber: "Wird das funktionieren? Harmonieren die dann letztendlich alle miteinander?" Das werde "sehr spannend" werden, meinte er. "Es wird sich zeigen müssen, ob das dann auch eine Mannschaft, ein Team ist, ob sich alles zusammenfügt." Kahn, der mit dem FC Bayern ebenfalls Jahr für Jahr um den Champions-League-Titel spielt, dürfte darauf hoffen, dass sich galaktische Fußball-Geschichte wiederholt.

Ab wann das neue Wunderteam des Weltfußballs seine eigene Geschichte schreiben kann, ist noch unklar: "Heute ist sein zweiter Tag im Training nach einen Monat Pause nach der Copa America", hatte Pochettino am Freitag während einer Pressekonferenz gesagt und offen gelassen, wann sein neuer Superstar zum ersten Mal für PSG auflaufen werde. Wichtig sei, dass sich Messi gut fühle. Heute Abend gegen Strasbourg werde er aber mit Sicherheit noch nicht spielen.

Quelle: ntv.de

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