
DFB-Präsident Bernd Neuendorf bei der Verkündung von Julian Nagelsmann als neuen Bundestrainer.
(Foto: picture alliance / Joaquim Ferreira)
Lange Zeit gibt es Kritik am DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf. Innerhalb einer Woche wagt er die Flucht nach vorne. Er benennt einen neuen Sport-Geschäftsführer und einen neuen Bundestrainer. Beide Male fällt ein Detail auf.
Gleich zweimal irritierte Bernd Neuendorf zuletzt. Die schwarze, runde Lesebrille, das Markenzeichen des DFB-Präsidenten, saß nicht dort, wo sie eigentlich hingehört. Normalerweise thront das Gestell über den Dingen, auf der Stirn Neuendorfs. Doch in den vergangenen zwei Wochen präsentierte er etwas Überraschendes. Immer, wenn es wichtig wurde, saß die Brille dann tatsächlich dort, wo sie ihre volle Wirkung entfaltet: auf der Nase vor den Augen.
Es mag ein kleiner Kniff sein, der eines ehemaligen Politikprofis. Neuendorf arbeitete lange als Pressesprecher in der SPD, er weiß mutmaßlich, worauf es bei der Inszenierung ankommt. Im März 2022 setzte er sich überraschend bei der Präsidentenwahl des DFB gegen Peter Peters durch. Schon damals bezeichnete der "Spiegel" die Brille, die auf der Glatze "festgetackert" scheint, als PR-Trick. Schließlich war Neuendorf jemand, der in der breiten deutschen Fußball-Öffentlichkeit ein Unbekannter war - aber der Mann mit der Brille auf der Stirn.
Dabei hatte Neuendorf bislang nicht den einfachsten Job. Die Katar-WM, der sportliche Misserfolg, die finanzielle Lage: Der Mix der multiplen Krisen verleitete zuletzt auch Ex-Weltmeister Wolfgang Overath dazu zu sagen, dass er den DFB-Präsidenten derzeit wirklich nicht um seinen Posten beneide. Neuendorf sei aber "ein ganz feiner Kerl mit Niveau", merkte er trotzdem an. Immerhin das.
Öffentlicher Streit um die Nachwuchsreform
Denn beim DFB brennt es an jeder Ecke - und Neuendorf machte bisher vielleicht nicht immer die beste Figur dabei: etwa beim Streit mit der FIFA um die "One Love"-Binde im vergangenen Winter. Neuendorf unterschätzte den Weltverband, der das politische Statement bei der Katar-WM verboten hatte. Es wurde Neuendorf in der Heimat als persönliche Niederlage ausgelegt. Der DFB-Präsident räumte später ein, bei der Kommunikation Fehler gemacht zu haben.
Auch sonst gibt es viele Problemherde, etwa beim Nachwuchs. "Wir befinden uns in einer der größten Krisen in der Geschichte", sagte der DFB-Akademie-Direktor Tobias Haupt der "Bild": "Uns muss klar sein: Wir haben international komplett den Anschluss verloren." Die Probleme seien "zum Teil" erkannt worden. Aber: "Zentrale Maßnahmen, die bei uns seit Jahren auf dem Tisch liegen, werden nicht umgesetzt. Und vor allem: Essenzielle Entscheidungen, die für die Zukunft des deutschen Fußballs notwendig sind, werden seit Jahren auf die lange Bank geschoben. So kann der deutsche Fußball künftig nicht erfolgreich sein."
Dabei hatte der DFB erst kürzlich eine Reform des Nachwuchsfußballs angekündigt, die jedoch vom eigenen Vize-Präsidenten Hans-Joachim Watzke öffentlich auseinandergenommen wurde. Es sollte der Leistungsdruck aus dem Jugendfußball genommen werden. Watzke bezeichnete die von dem zuständigen DFB-Direktor Hannes Wolf entworfenen Vorschläge als den "falschen Ansatz". Wolf verteidigte die Reformpläne erst per DFB-Mitteilung und anschließend bei einer Pressekonferenz.
Erst Rettig ...
Als wären solche grundlegenden Probleme nicht genug, gibt es noch das derzeit wohl größte Sorgenkind des Verbandes: die Herren-Nationalmannschaft. Auch dort braucht es dringend Reformen. Das merkte auch Liverpool-Trainer Jürgen Klopp im exklusiven Interview mit RTL/ntv an. Das sei offensichtlich. Dennoch dauerte es knapp zehn Monate, um nach der verbockten Katar-WM alle Scherben aufzukehren.
Neuendorf erledigte das zuletzt mit seiner Brillen-Politik. Besonders in der Bundestrainer-Frage war die Kritik an ihm teilweise harsch. Hansi Flick startete zwar mit einem Startrekord, konnte nach der WM das Debakel aber nicht mehr abschütteln und stürzte in eine Ergebniskrise. Von seinem Verband bekam Flick dennoch zahlreiche Chancen. Schlussendlich folgte vor fast zwei Wochen doch die erste Entlassung eines Bundestrainers. Ein Plan B lag offenbar nicht in der Schublade. Die "Süddeutsche Zeitung" fragte etwa, wo denn die Krisenmanager des DFB seien und kritisierte den Verbandschef scharf: "Präsident Bernd Neuendorf wirkt wie die Verkörperung des Vakuums."
Doch dann die Wende, Neuendorf griff durch. Pressekonferenz am vergangenen Montag. Der DFB-Präsident sitzt im PK-Raum des Verbandes. Die Brille nicht auf der Stirn, sondern vor den Augen. Er liest ein Statement vor. Es ist die Vorstellung von Andreas Rettig als neuen Geschäftsführer Sport. Die Personalie birgt durchaus Brisanz: Es ist ein Bruch mit dem FC Bayern. Rettig hatte sich in seiner langen Funktionärskarriere einen Namen damit gemacht, die Kommerzialisierung im Fußball zu kritisieren. Die im vergangenen Winter einberufene Taskforce fühlt sich übergangen und löst sich im Anschluss aus Protest auf. Vize-Präsident Watzke macht deutlich, dass Rettig vor allem die Wahl Neuendorfs war.
... dann Nagelsmann
Der zweite Akt dann nur vier Tage später: Neuendorf präsentiert den neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann. Nur zwölf Tage nach der Freistellung von Flick schaffte es der krisengeplagte DFB bei seiner derzeit fortlaufenden Postenvergabe, den neuen Bundestrainer fix zu machen - und das bei einer schwierigen Marktlage. Es geht um das, was bei dem Verband mit den vielen Problemen über alles steht: die EM 2024.
"Ich habe große Lust. Es ist für mich ein großes Privileg, ein extremer Anreiz und eine große Herausforderung. Wir gehen es mit viel Enthusiasmus an, mit großer Vorfreude und dem nötigen Verantwortungsgefühl", sagt Nagelsmann. Neben ihm sitzt sichtlich stolz Verbandspräsident Bernd Neuendorf. "Wir freuen uns sehr, dass wir ihn gewonnen haben", erklärt er, "weil ich ganz persönlich glaube, dass wir mit ihm eine wirklich starke und eine sehr, sehr überzeugende Lösung an der Spitze der A-Nationalmannschaft gefunden haben." Während er das sagt, trägt er die Brille auf der Nase.
Quelle: ntv.de