
Nüsken gelang gegen Dänemark ein Superspiel.
(Foto: IMAGO/Claus Bergmann)
Die DFB-Frauen haben das Finalturnier um die Olympia-Qualifikation fest im Blick - auch gegen Wales. Zum wiedererweckten Erfolg gehört auch das persönliche Märchen von Sjoeke Nüsken. Aufs WM-Debakel folgt der Wechsel nach England und der Raketenstart auf der Lieblingsposition. Nur ein Problem bleibt.
Ihr Name lässt Fans und Kommentatoren in England reihenweise verzweifeln, sonst aber hat Sjoeke Nüsken die Herzen auf der Insel im Sturm erobert. Nach Bekanntwerden ihres Wechsels zum FC Chelsea in die Women's Super League wurden Deutsche in Podcast um Hilfe bei der Aussprache gebeten - und gefragt, was die 22-Jährige eigentlich draufhat und warum Star-Trainerin Emma Hayes, die nach der Saison zum US-Team wechselt und laut deren Verband die bestbezahlte Trainerin der Welt wird, sie unbedingt haben wollte. Das fragt inzwischen niemand mehr, im Starensemble der Meisterinnen hat sich die gebürtige Hammerin nahtlos eingefügt. Und auch bei den DFB-Frauen brilliert Nüsken zuletzt beim so wichtigen 3:0-Sieg gegen Dänemark, der das Tor zum Finalturnier um Olympia ganz weit öffnet.
Innerhalb weniger Monate wird sie im Nationalteam von einer Wackelkandidatin zu einer dominanten Spielerin. Vor der Weltmeisterschaft in Australien muss sie noch um ihren Platz im Kader fürchten, schon 2022 war sie vor der Europameisterschaft von der ehemaligen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg aussortiert worden. Und auch in diesem Sommer ist sie nicht gesetzt. Doch von der Unsicherheit, die ihr zu schaffen machte, wie sie in der Dokumentation "Born for this" bekennt, ist unter dem Interimsbundestrainer Horst Hrubesch nichts mehr zu spüren.
Gegen Wales (5:1) und in Island (2:0) hatte er Nüsken jeweils zur Pause eingewechselt, sie sollte das fehleranfällige deutsche Offensivspiel beleben. Gegen Dänemark durfte sie nun von Beginn an ran - auf der Sechserposition spielte sie für die lange als unverzichtbar geltende, aber wegen Rückenproblemen ausfallende Lena Oberdorf. Sie verrichtete ihren Job blendend, verteilte klug den Ball, schaltete sich offensiv wie defensiv ein - und war sogar an zwei Toren beteiligt.
Hrubesch hatte entsprechend nichts als Lob für Nüsken übrig. "Zu Sjoeke brauche ich eigentlich nichts sagen", leitete Hrubesch die Antwort ein: "Sie ist topfit. Dass sich einige werden strecken müssen, um da vorbeizukommen, ist richtig." Es ist ein Kompliment, dass den Konkurrenzkampf im Kader anspornen dürfte. Sie ist da, wenn andere schwächeln oder eben verletzt fehlen. Die langjährige Achterin Melanie Leupolz war nach der WM aus dem Nationalteam zurückgetreten, die Mittelfeldgrößen Lina Magull, Linda Dallmann, Lena Lattwein saßen gegen Dänemark nur auf der Bank.
"Richtig gut drauf gerade"
Die 22-Jährige ist ein Allroundtalent. Hatte sie zuvor im Nationalteam höchstens in der Verteidigung rangedurft - so wie auch bei ihrem Ex-Verein Eintracht Frankfurt - fühlt sie sich selbst im zentralen Mittelfeld zu Hause. Bei Chelsea spielt die variabel einsetzbare Nüsken meist im zentralen Mittelfeld, "manchmal sogar auf der Zehn", erzählte sie bei einer Pressekonferenz vor dem Dänemark-Duell. "Für mich persönlich ist es auf jeden Fall meine Lieblingsposition: auf der Zehn oder auf der Acht. Ich bin weiter vorne, habe dann die Möglichkeit, Tore zu schießen."
Mittelfeld-Partnerin Sydney Lohmann lobte sie im Anschluss überschwänglich: "Sjoeke ist gemacht für diese Doppel-Sechs, die Sechserposition. Sie kann Räume abdecken, defensiv wie offensiv, auch mal antreiben, sie kann den Ball gut halten, sie macht es in Chelsea unglaublich gut und dann strahlt sie auch noch Torgefahr aus." Ihre Teamkollegin sei einfach "richtig gut drauf gerade, merkt man auch im Training".
Das zeigt sich auch in der englischen Liga: Vier Treffer, darunter ein Dreierpack gegen Brighton and Hove Albion, hat sie für den aktuellen Tabellenführer der Women's Super League bereits erzielt. Hinzu kommt eine Torvorlage. Bei Chelsea spielt sie mit Topstars wie Australiens Kapitänin Sam Kerr und Englands Jungstar Lauren James zusammen - und kam trotz der großen Konkurrenz bislang in sieben von acht Ligapartien zum Einsatz. "Mit Weltstars auf dem Platz zu stehen, ist schon eine Riesenerfahrung, die ich machen durfte", erklärte Nüsken. "Ich habe schon das Gefühl, dass ich in den ersten Monaten echt viel gelernt habe." Auf wie neben dem Platz habe sie sich "persönlich weiterentwickelt".
Das merkt auch Lohmann: "Sie ist eine überragende Spielerin und ein guter Typ. Nicht extrem lautstark, aber einfach clever und in Topform." 22 Länderspiele hat Nüsken inzwischen absolviert und ist jetzt so richtig auf dem Weg, zu einer festen Größe im DFB-Team zu werden.
Schon 2019 im Kreis des DFB-Teams
Dabei wäre Nüsken fast gar nicht Fußballerin geworden, sondern hätte weiter Tennis gespielt. Als Neun- und Zehnjährige wurde sie zweimal die beste deutsche Spielerin ihres Jahrgangs. Dann aber entschied sie sich für den Fußball. In einem DFB-Interview sagte sie einst: "Ich bin einfach eine Teamspielerin. Es macht mir so viel mehr Spaß, mit der ganzen Mannschaft zu feiern, als nur allein für mich. Und vor allem war meine Schwester ebenfalls Fußballerin, das hat die Entscheidung dann leichter gemacht." Ihr großes Talent erkannte der DFB früh, sie durchlief alle U-Nationalteams, im Alter von gerade einmal 18 Jahren debütierte sie bereits für den 1. FFC Frankfurt (inzwischen Eintracht Frankfurt) in der Bundesliga.
Auch die damals noch neu im Amt befindliche Voss-Tecklenburg wurde auf sie aufmerksam, hat sie im Januar 2019 erstmals fürs Winter-Trainingslager nominiert. Den Sprung aufs Spielfeld aber schaffte sie nicht, es wird ruhiger um sie. Ihr Debüt im Nationalteam gab sie erst am 21. Februar 2021 gegen Belgien.
Anders als befürchtet wurde sie vor der Abreise nach Australien nicht erneut aus dem Kader gestrichen, doch das WM-Debakel verlief auch für sie persönlich dramatisch. Eine Oberschenkelblessur bremste sie aus, als sie in der Abwehr aufgrund zahlreicher Ausfälle gebraucht worden wäre. Als sie dann als Teilzeitkraft in der Innenverteidigung spielen durfte, musste sie sich im zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien mit einem zu wenig resoluten Eingreifen das späte Siegtor der Südamerikanerinnen mit ankreiden lassen.
Auf die Blamage in Australien folgte der Umzug nach London, der Raketenstart im Starensemble und jetzt auch noch die Wiederauferstehung des Nationalteams mit ihrer tatkräftigen Beteiligung - ein Wechselbad der Gefühle. Das Hoch könnte vorerst anhalten: Mit einem Sieg gegen das noch punktlose Wales (19.30 Uhr/sportschau.de sowie im ntv.de-Liveticker) schafft die deutsche Auswahl den Gruppensieg in der Nations League und zieht in das Finalturnier um die Olympia-Tickets ein. Es wäre ein Etappensieg auf dem Weg zum größtmöglichen Traum. Und die französischen Stadionsprecher könnten schon mal anfangen zu üben, wie Sjoeke Nüsken ausgesprochen wird.
Quelle: ntv.de