Sensationsleistung gegen Bochum Dortmunder Wunderkind jagt historischen WM-Rekord
06.11.2022, 19:11 Uhr
25 Jahre nach Lars Ricken wird in Dortmund wieder aus der Distanz gelupft.
(Foto: IMAGO/Laci Perenyi)
Rechtzeitig vor der WM in Katar erinnert sich Youssoufa Moukoko an die Sachen, die schon vor zwei Jahren Erling Haaland ins Schwärmen geraten lassen. Gegen den VfL Bochum schießt sich der 17-Jährige in die Nähe des WM-Kaders. Dort könnte er einen neuen Rekord für die Ewigkeit aufstellen.
Vor knapp zwei Jahre wartete die ganze Welt auf sein Debüt, dann geriert er in Vergessenheit. Wenige Tage vor der Bekanntgabe des Kaders für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ist er im Profifußball ankommen. Die Rede ist natürlich von Youssoufa Moukoko, über den sich dereinst Wunderdinge erzählt wurde, der sämtliche Rekorde in der Jugend brach und dann abtauchte. Bis in die Niederungen der dritten Liga.
Am 21. November 2020 steht Erling Haaland im Berliner Olympiastadion. Es ist Pandemie, die Zeit der Geisterspiele. Haaland hat gerade mit vier Treffern in der zweiten Halbzeit aus einem 0:1 Pausenrückstand ein 5:2 gemacht. Bald wird er sich verletzen und somit das Ende von Trainer Lucien Favre einläuten. Der kann nicht ohne ihn und macht schon im Dezember Platz für Interimstrainer Edin Terzić. Doch all das zählt an diesem Tag nicht.
Neben Haalands Viererpack, der ihn zum jüngsten Spieler, der in der Bundesliga vier Tore in einem Spiel schoss, macht, ist die Welt fasziniert von Moukoko, der einen Tag nach seinem 16. Geburtstag sein Bundesliga-Debüt feiert, in der 85. Minute den heutigen Weltstar von Manchester City ersetzt. Der ist später voll des Lobes über den Nachwuchsmann: "Er ist das größte Talent im Weltfußball. Ich bin jetzt 20. Ich werde alt, so ist das!" Der derart gelobte stürzt sich nach dem Spiel an sein Smartphone, teilt Geschichten auf Instagram, ist angekommen und feiert seinen ersten Auftritt.
Wie einst Ricken gegen Turin
Jetzt, zwei Jahre später, ist endlich wieder Zeit für Rekorde. Elf Treffer in der Bundesliga, vor seinem 18. Geburtstag. Kein Profi war in der langen Geschichte der Liga jünger. Auf Instagram ist er immer noch. Seine mittlerweile 867.000 Follower - Teamkamerad Jude Bellingham hat 2,8 Millionen, Bayern-Star Jamal Musiala 1,4 Millionen und der alte Mann Haaland 20,3 Millionen - teilt er regelmäßig mit, wenn er wieder erfolgreich war. Das passiert nun häufiger. Nach drei Treffern in der Saison 2020/2021 und nur zwei im Vorjahr steht er nun bei sechs Toren, fast alle von ihnen nicht nur bemerkenswert, sondern auch spielentscheidend.
So wie am Samstag beim 3:0 gegen den VfL Bochum, bei dem ihm zwei Traumtore gelingen. Das erste, sein Rekordtor, mit Wucht unter die Latte, das zweite mit Auge aus weiter Entfernung, wie einst Lars Ricken im Finale der Champions League 1997. Zwei unglaubliche Tore. Über sein erstes Tor sagt er später: "Es war ein tolles Tor. Was soll ich dazu sagen: Training, Training, Training - und dann kommt sowas". Und vielleicht noch viel mehr.
Denn plötzlich ist Moukoko ganz nah am WM-Kader, Bundestrainer Hansi Flick steht längst mit ihm in Kontakt. Die Vorstellung, dass er mit Musiala die deutsche Offensive belebt, lässt zumindest ein wenig Vorfreude auf das umstrittene Turnier aufkommen. Ob es überhaupt so kommen wird, ist noch lange nicht klar. Die Stimmen, die ihn im Kader sehen wollen, werden immer lauter. Moukoko hat die Argumente auf seiner Seite. "Das ist mir ehrlich gesagt egal", sagte er nach dem Spiel auf seine WM-Chancen angesprochen, nur um dann in das Gegenteil zu verfallen: "Ich würde gern dabei sein, aber wir schauen am Donnerstag, wer dabei ist."
Noch im Januar bei den Amateuren
Allein das ist ein riesiger Erfolg für Moukoko, der nach seinem ersten Spiel in Berlin die Leiden eines Jungprofis über sich ergehen lassen muss. Ein Jahr nach seinem Debüt in der Profimannschaft wird er am 27. November 2021 in den Kader der zweiten BVB-Mannschaft degradiert, Ende Januar 2022 ist er noch einmal zurück bei den Amas, wie das Drittliga-Team der Dortmunder genannt wird. Zahlreiche Verletzungen, aber auch das fehlende Vertrauen von Trainer Marco Rose lassen Moukoko nicht mehr von irgendwas träumen. Beim BVB werden Überlegungen angestellt, ob er nicht besser einen Umweg machen sollte, im Ausland Erfahrung sammeln und dann mal schauen.
Aber auch, weil sein Vertrag im Sommer 2023 ausläuft, kommt es nicht zu einer Leihe. Aus dem Wunderkind ist ein Mitläufer geworden. Die ersten schreiben ihn ab und in eine Liga mit all den früh erloschenen Sternchen des Weltfußballs. "Nur ein Freddy Adu", kommentieren die gehässigsten Nutzer der Sozialen Medien, in denen Abstürze immer mit gaffendem Applaus registriert werden.
"Letztes Jahr war ich leider oft verletzt und habe mich noch nicht richtig an die Bundesliga gewöhnt. Mein Körper war nicht bereit, weil ich immer wieder verletzt war, dann zurückgekommen bin, dann wieder verletzt war", blickt Moukoko zurück. Seit seinem Sieg-Treffer im Derby strotzt er vor Selbstvertrauen, er hat dem Noteinkauf Anthony Modeste den Rang längst abgelaufen. Viel stärker ist er nun ins Spiel der Dortmunder integriert, zeigt sich auch in der eigenen Hälfte und sorgt immer wieder für Unruhe.
Sein erster Kontakt ist in guten Momenten von seinen Gegnern nicht zu verteidigen. Gegen die Abwehrkanten des FC Sevilla beweist er es in der Champions League. Er trifft gegen Bayern, er trifft im Derby und im kleinen Derby. Mit Edin Terzić und seinem ehemaligen Jugendtrainer, und heutigen BVB-Co, Sebastian Geppert hat er Vertraute an seiner Seite. Zwei, die ihm den Weg aufzeigen. Die auch warnen. Den Teenager auf der Erde halten, nicht mit Betonklötzen, aber mit klarer Kommunikation.
Der Schnellinger-Rekord
Denn natürlich läuft noch nicht alles rund. In der Champions League versagen ihm beim Spiel gegen Manchester City die Nerven, gegen Bochum vergibt aus aussichtsreicher Position eine gute Chance. Noch ist er kein Haaland. Wahrscheinlich wird es nie. Dazu fehlt ihm das Tempo und auch ein wenig der Körper. Doch ein guter Stürmer, einer, der Spiele entscheiden kann, das kann er werden. "Er ist extrem talentiert und möchte sich jeden Tag verbessern. Er hat einen riesigen Schritt gemacht. Er ist immer wieder anspielbar und setzt seinen Körper viel besser ein", sagt sein Trainer und warnt: "So wie wir ihn beschützt haben, als er die Bälle neben das Tor geschossen hat, wird es auch jetzt weitergehen. Er ist und bleibt 17."
Am 20. November wird sich das ändern. Aus "dem größten Talent im Weltfußball" ist einer geworden, der bei der WM in Katar einen neuen Rekord aufstellen könnte. Noch nie ist ein 18-Jähriger für Deutschland bei einem Weltturnier aufgelaufen. Der bisherige Rekordhalter Karl-Heinz Schnellinger ist bei seinem Debüt beim 2:2 gegen die damalige Tschechoslowakei am 11. Juni 1958 19 Jahre, zwei Monate und 11 Tage.
Beinahe so alt wie der alte Mann Erling Haaland am 21. November 2020 im Berliner Olympiastadion. An dem Tag, an dem sich Moukoko auf seinen langen Karriereweg macht. Wohin ihn dieser ab der Saison 2023/2024 führen wird, ist noch unklar. Sein Vertrag in Dortmund läuft aus. Die Hoffnung ist groß, dass er sich nach seinem Geburtstag an den Verein bindet. "Das Verhältnis zum Verein ist sehr gut, ich bin seit sieben Jahren hier. Ich habe das Vertrauen von Edin, kenne das Umfeld und fühle mich hier sehr wohl", sagt er. Keine schlechten Aussichten für den BVB.
Quelle: ntv.de