
Giulia Gwinn und Lea Schüller gewannen Olympia-Bronze - und was bringt die EM?
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Die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen kaschiert vieles bei den DFB-Frauen. So steht ein Erfolg für das Umbruchsjahr 2024 zu Buche. Doch auf dem neuen Bundestrainer Christian Wück lastet eine große Aufgabe, die er selbst forciert. Mit einem echten Casting - und selbstbewussten Ansagen.
Ein Geschenk machte die UEFA der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen und ihrem Trainer Christian Wück schon vor Weihnachten: Das erste Länderspiel des kommenden Jahres wird auswärts stattfinden. Am 21. Februar in den Niederlanden. Das ist eine gute Nachricht. Denn während es auswärts teilweise Halleluja-Fußball zu sehen gab, setzte es im November und Dezember zu Hause unnötige Niederlagen. So ist doch schon gebucht, dass der Auftakt ins EM-Jahr erfolgreich werden wird - oder?
Das Highlight 2025 steht außer Frage: die EM im Juli in der Schweiz. In der Vorrunde wird das DFB-Team in Gruppe C auf Polen, Dänemark und Schweden treffen - und damit auch auf alte Bekannte. Ewa Pajor, die lange beim VfL Wolfsburg spielte, dort Torschützenkönigin wurde und sich für den FC Barcelona empfahl, drückt EM-Neuling Polen ihren Stempel auf. Für Dänemark und Schweden spielen die Bayern-Stars Pernille Harder und Magdalena Eriksson. Auch wenn Wück von einer "herausfordernden Gruppe" sprach - das Weiterkommen ist ein Muss.
Den Titelverteidigerinnen aus England - die 2022 ihre Heim-EM im Wembley-Stadion gegen Deutschland knapp in der Verlängerung gewannen - ging das DFB-Team bei der Auslosung aus dem Weg. Die Lionesses bekommen es in der Hammergruppe mit Frankreich, den Niederlanden und Wales zu tun. Sie könnten allerdings im ersten K.-o.-Spiel die DFB-Gegnerinnen werden - zuletzt war die Revanche für das EM-Finale bereits beim Debüt von Wück Ende Oktober im Wembley-Stadion geglückt. 4:3 für Deutschland hieß das Endergebnis, ein gelungener Einstand für den neuen Trainer, der zum ersten Mal ein Frauenteam trainiert. Ein Erfolg, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass das DFB-Team in der FIFA-Weltrangliste auf Platz drei geklettert ist und England hinter sich lassen konnte.
Der Glaube an den Titel
Bis für Wück und den DFB das erste gemeinsame Highlight ansteht, vergehen noch ein paar Monate. Zeit, die die Spielerinnen nutzen können, um auch an ihrer mentalen Einstellung zu arbeiten. Denn Wück machte unlängst in der "Augsburger Allgemeinen" klar: "Ich werde keine Spielerin mit zur Europameisterschaft nehmen, die nicht daran glaubt, dass wir den Titel holen können." Er selbst ging im Interview mit ntv/RTL voran. Was er gern lesen würde nach der EM? "Deutschland Europameister."
Klar, nichts ist unmöglich. Deutschland ist Rekord-Europameister, bereits acht Titel konnten die Frauen gewinnen. Der bis dato letzte aber stammt aus dem Jahr 2013 - zwölf Jahre ist das im Juli schon her. Damals mit dabei: die heutige Co-Trainerin Saskia Bartusiak. Doch seitdem ist der Fußball international deutlich besser und professioneller geworden. Den Rang des Branchenprimus hat das DFB-Team lange verloren. Dass es weiterhin mit den Besten konkurrieren kann, zeigte es im nun zu Ende gehenden Jahr.
Horst Hrubesch war als Interims-Bundestrainer angetreten, die Scherben nach dem WM-Debakel und dem Aus von Martina Voss-Tecklenburg aufzukehren, die geschundenen Seelen der Spielerinnen zu flicken, ihnen wieder die Grundtugenden des Fußballs - ja, so verunsichert war das Team - sowie Mut und Selbstvertrauen einzuimpfen. Seine Bilanz: Olympia-Qualifikation im zweiten Anlauf und damit auf den letzten Drücker geschafft - das war Etappenziel eins. Und dann sogar mit der Bronzemedaille aus Paris zurückgekehrt. Ein großer Erfolg, der gewürdigt werden muss, ganz klar. Schließlich hatte nach dem WM-Vorrundenaus in Australien alles ganz, ganz mies gewirkt.
Doch der Erfolg kaschiert die Unsicherheiten, mit denen sich die Frauen durchs Jahr spielten. Hrubesch hatte untermauert, dass er nur der Interimstrainer sein würde, der die Olympischen Spiele klarmacht, aber kein neues System implementiert. Es war ein Verwalten mit neuem Elan, mit dem Erfolg bei Olympia. Aber es machte auch deutlich, wie wenig spielerische Basis aus der Zeit von Voss-Tecklenburg im Team vorhanden ist. Unsicherheiten gegen Underdogs wie Island und Wales wechselten sich ab mit spielerisch nicht überzeugenden Siegen, etwa gegen Polen. Der Verlauf des Olympia-Turniers sprach für das Teamgefüge, aber auch da gab es wenig spielerische Topleistung zu sehen, der Wille brachte den Erfolg. Es wurde deutlich: Wück tritt ein schwieriges Erbe an.
Und das Team machte es ihm nicht einfacher. Abwehrchefin Marina Hegering und die jahrelange Nummer eins, Merle Frohms, die kurz vor Olympia von Hrubesch degradiert worden war, verkündeten ihren Abschied. Etwas verzögert folgte auch noch Deutschlands bekannteste Fußballerin, Alexandra Popp. Die Kapitänin, die Vorzeigefrau, das Idol, der Medienliebling.
Auf und ab beim Casting
Gleich sein Debüt mit dem Sieg gegen England verhieß Großes und brachte einen Vertrauensvorsprung. "Mir hat gefallen, dass die Spielerinnen sehr schnell das adaptiert haben, was wir ihnen vorgegeben haben, wie wir Fußball spielen wollen. Das ist ein bisschen anders, als Horst Hrubesch gespielt hat", sagte Wück bei RTL/ntv über seinen Start. Was er will: viel Elan, viel Tempo, viel Powerfußball mit intensivem Pressing. Und: "Wir wollen Spielerinnen, die freie Entscheidungen treffen können, mutig spielen, aktiv bleiben. Und das erste Spiel in Wembley gegen England hat uns natürlich sehr geholfen im Trainer-Team, dass wir das Vertrauen der Mannschaft so reflektiert zurückbekommen haben, dass wir diesen Weg zusammen weitergehen wollen."
Es folgten eine Heimspiel-Niederlage gegen Australien (1:2), ein 6:0-Kantersieg gegen die Schweiz und eine Heim-Pleite gegen Italien (1:2). Ein Auf und Ab, das vom DFB-Team in der jüngeren Vergangenheit schon bekannt ist, es läuft nicht alles rund. Unter dem neuen Trainer Wück allerdings natürlicher als zuvor. Und dem Zuspruch der Spielerinnen tat es keinen Abbruch. Die neue Kapitänin Gwinn sagte: "Das spürt man einfach im Team, dass man das Gefühl hat, man bekommt dieses Vertrauen, man möchte es zurückzahlen. Und will sich auch was zutrauen." Und auch Felicitas Rauch, die seit ihrem Wechsel von Wolfsburg in die USA eine neue Perspektive auf den deutschen Fußball hinzugewonnen hat, sagte, mit dem neuen Trainer und dem "sehr, sehr mutigen Fußball" sei es "wahnsinnig erfrischend".
Wück probiert Neues aus, hat einige neue Spielerinnen integriert, lässt ganz Junge debütieren und muss auf Verletzte wie Weltklasse-Spielerin Lena Oberdorf oder auch Verteidigerin Bibiane Schulze-Solano weiterhin verzichten. Nach vier verschiedenen Startaufstellungen gab es jeweils sechs Wechsel im Spiel. Teilweise bekamen Spielerinnen eine Chance, die - wenn man nicht regelmäßig die Bundesliga schaut - gar nicht allen Zuschauerinnen bekannt war. Frauen, die durch den Wechsel des Trainerteams zuvor vielleicht vermisste Aufmerksamkeit erhalten, die sich empfehlen können für das Nationalteam. Ein ernsthaftes Casting des Mannes, der sich völlig frisch ein Bild vom Zustand des deutschen Frauenfußballs macht.
Die Defensive als Problemzone
Bei so vielen Wechseln in jedem Spiel kann nicht alles rund laufen, Abläufe sind (noch) nicht verselbstständigt, und so manche Spielerin musste in den vielleicht recht sauren Apfel beißen und auf ungewohnter Position agieren. Etwa Sarai Linder, die sich dicke Patzer gegen Italien leistete, die - wie Janina Minge im Spiel zuvor - in der Innenverteidigung eingesetzt wurde. Denn dort hat Wück das größte Problem. Mangels nachrückender Talente stehen dort weiterhin die 32 Jahre alte Kathi Hendrich, die noch ein Jahr ältere Sara Doorsoun sowie Rauch, die immerhin auch schon 28 Jahre alt ist, im Kader. Die 26-jährige Schulze-Solano schafft es vermutlich vor der EM, ihren Kreuzbandriss auszukurieren.
Fällt eine von den Etablierten aus, wird es schnell so problematisch wie beim WM-Debakel in Australien, als die defensive Not die vielen Probleme überstrahlte. Wück erklärte bei RTL/ntv, dass es "naturgemäß immer mehr Spielerinnen in der Offensive" gebe. "Das ist einfach so, das ist in anderen Nationen auch so." Er wünscht sich, dass Trainer innerhalb des DFB, wie etwa der neu gegründeten U23, möglichst viele Verteidigerinnen herausbilden. Ein Wunsch, der jedoch mit Blick auf die EM im Sommer sicherlich zu spät kommt.
Also muss eine Alternative her. Durch den offensiven Stil, den Wück implementieren möchte, das hohe Pressing, könnten Not-Situationen, in denen die Defensive in Bedrängnis gerät, minimiert werden, wenn schon die Offensivspielerinnen mithelfen. Dominant auftreten, aktiv nach vorn gehen, den Ball führen und halten - es könnte eine Lösung sein, durch frühes Angreifen möglichst wenig in der Defensive zuzulassen.
Dann aber auch etwas aus den herausgespielten Chancen zu machen, das ist eines der wichtigsten Ziele Wücks. Etwas, das in den ersten vier Spielen zu wünschen übrig ließ und auch schon seinen Nachfolger Hrubesch zur Verzweiflung trieb. "Wir wollen, dass die Stürmerinnen vor dem Tor cool bleiben, dass sie mit einer gewissen Präzision an die Geschichte rangehen und einer gewissen Konsequenz vor dem Tor haben", so Wück. "Wir haben so einen Leitspruch, der heißt 'Präzision vor Schärfe'. Das heißt, es ist viel wichtiger, genau dahin zu schießen, wo man hinschießen will."
Das Spielsystem in den vergangenen Jahren war ausgelegt auf wahnsinnig viele Flanken in den Strafraum. Da stand dann eine Popp oder auch eine Lea Schüller - beide herausragende Kopfballspielerinnen. Es brachte so manches Tor, war aber auch leicht ausrechenbar. Wück setzt dagegen offenbar auf Variabilität. Mit Laura Freigang war in den vergangenen Jahren schon immer ein Fanliebling dabei, sie bekam aber wenig Spielzeit und konnte nicht richtig glänzen. Unter Wück kann die Frankfurterin nun als echte Zehnerin zeigen, was in ihr steckt. Gegen die Schweiz wurde sie eingewechselt und schnürte direkt einen Doppelpack, dirigierte ihre Mitspielerinnen, forderte Bälle, zeigte sich agil und selbstbewusst. Der schon 2022 von Fans geforderte "Freigang für Laura" ist vollzogen. Kein Wunder, dass auch sie den neuen Bundestrainer in höchsten Tönen lobt. "Es ist erfrischend, wie mutig wir spielen - mit und ohne Ball. Christian schenkt uns viel Vertrauen, gibt uns viel Verantwortung. Ich habe das Gefühl, dass wir aufblühen, sehr reif zusammenspielen", so die 26-Jährige.
Ausprobieren muss schnell ein Ende haben
Das Vertrauen kommt nicht von ungefähr. Wück ist sicher, dass in seinem Team "Weltklasse" steckt, versichert er gegenüber RTL/ntv. Er habe Spielerinnen, die sich "vor keiner Topnation verstecken" müssten. "Ich habe es in meiner Antrittsrede gesagt: Ich sehe sehr viel Potenzial. Ich sehe sehr viele individuelle Qualität." Wücks Aufgabe wird es sein, diese zu einem Team zu vereinen, der erste Schritt scheint getan, trotz der Leistungsschwankungen.
Bis zur EM sind es noch ein paar Monate Zeit, los geht die nächste Phase am 21. Februar in den Niederlanden. Die Nations League bietet außerdem Spiele gegen Österreich (25. Februar) und Schottland (4. sowie 8. April). Es geht, anders als im nun zu Ende gehenden Jahr, nicht um die Qualifikation für ein Turnier, der Druck dürfte damit nicht ganz so groß sein. Doch es sind Spiele, die richtungsweisend für die EM sind. Für die Auswahl des Kaders, das große Ausprobieren muss schnell in eine Formation münden - und für Wück auch für die Stimmung im Land. "Ich habe es jetzt bei den Junioren gemerkt, bei der Europameisterschaft und vor allen Dingen bei der Weltmeisterschaft in Indonesien: Wie einfach es ist, Fußballdeutschland zu vereinen", so Wück. "Das Gleiche wollen wir mit den Frauen natürlich auch erreichen. Wir wissen, dass wir eine ganz große Chance haben, für positive Schlagzeilen zu sorgen." Sollte seine Traum-Schlagzeile "Deutschland Europameister" eintreten, wird die Euphorie im Land völlig entfacht sein. Bis dahin aber ist viel zu tun. Immerhin, der Weg startet auswärts.
Quelle: ntv.de