Vor Duell in Dortmund Gladbach hat den wichtigsten Sieg schon in der Tasche
25.11.2023, 06:58 Uhr
Die Fans von Borussia Mönchengladbach können sich mit der in Teilen neu zusammengesetzten Mannschaft wieder besser identifizieren.
(Foto: IMAGO/Ulrich Hufnagel)
Bei Borussia Mönchengladbach ist die Stimmung gut wie seit mindestens drei Jahren nicht mehr. Das liegt an der steigenden Formkurve der Mannschaft, einem Trainer ohne kommunikative Patzer und der schon jetzt schönsten und wichtigsten Gladbach-Nachricht der Saison.
Als Stefan Lainer am Dienstagvormittag den Trainingsplatz in Mönchengladbach betritt, sind sie wirklich alle da. Auch diejenigen, die gar nicht mittrainieren können. Jonas Omlin etwa, der verletzte Torwart und Kapitän des Fußball-Bundesligisten. Sportvorstand Roland Virkus und Sportdirektor Nils Schmadtke kommen aus ihren Büros. Auch Vizepräsident Rainer Bonhof will hautnah dabei sein, als der österreichische Rechtsverteidiger zum ersten Mal seit einem halben Jahr wieder den Rasen betritt.
Es ist ein Moment, der nicht nur Mannschaftskollegen, Trainerteam und Rainer Bonhof emotionalisiert, sondern auch die vielen Fans von Borussia tief berührt. Nur vier Monate nach der Diagnose Lymphdrüsenkrebs kämpft sich "Stevie" Lainer zurück. Der 31-jährige Österreicher hat den Krebs besiegt.
Es ist schon nach elf Spieltagen die beste und nicht zu toppende Nachricht in der Saison von Borussia Mönchengladbach. Und die frohe Kunde sorgt dafür, dass sich die Stimmungslage beim Klub vom Niederrhein noch weiter verbessert. Der beeindruckende 4:0-Heimsieg gegen den VfL Wolfsburg vor der Länderspielpause hat dafür gesorgt, dass der VfL vom Niederrhein erstmals in dieser Saison in der oberen Tabellenhälfte rangiert.
Komplizierter Auftakt, kaum Punkte
Die Borussia war holprig in die Saison gestartet, verspielte zum Auftakt beim turbulenten 4:4 in Augsburg gleich zweimal eine Zwei-Tore-Führung, kassierte bei Aufsteiger Darmstadt drei Tore in einer Halbzeit und konnte selbst darüber noch heilfroh sein. Am Ende reichte es für die "Fohlenelf" immerhin noch zu einem 3:3. Doch nach fünf Spieltagen fand sich das Team von Trainer Gerado Seaone trotzdem im Tabellenkeller wieder, weil die ersten drei Heimspiele alle verloren gingen: 0:3 gegen Leverkusen, 1:2 gegen Bayern, 0:1 gegen Leipzig. Die DFL und ihr Spielplan hatten es nicht gut gemeint mit Gladbach.
Doch Verein und Umfeld behielten die Ruhe, wussten die Heimniederlagen gegen die drei Top-Teams richtig einzuschätzen. Unter Druck gelang am sechsten Spieltag beim VfL Bochum der erste Saisonsieg. Das 2:2 gegen Mainz eine Woche später trübte die verbesserte Stimmung am Niederrhein nur kurz.
Dann kam das Derby. Nach der zweiten Länderspielpause der noch jungen Saison kassierte der VfL ausgerechnet beim Rivalen in Köln eine schmerzhafte 1:3-Klatsche. Borussia spielte insbesondere in der ersten Halbzeit grottenschlecht und nach dem 1:1-Ausgleich nach der Pause foulte Manu Koné alle Hoffnungen zunichte.
Ausgerechnet im Derby hatte Borussia plötzlich so gespielt, wie es die Mannschaft in den drei Jahren zuvor viel zu häufig gemacht hatte: Emotionslos, fehleranfällig, kampfschwach. Die Angst ging um, das Derby könnte erneut eine ganze Saison ins Wanken bringen. 2021 war es Trainer Marco Rose, der den "Effzeh" grob unterschätzte, eine B-Elf aufbot und ein würdeloses Geisterspiel mit 1:2 in den Sand setzte. Im Herbst desselben Jahres ließ sich Rose-Nachfolger Adi Hütter beim 1:4 von einer Derby-Niederlage aus der Bahn bringen. Es folgten etliche sieglose Spiele, darunter auch die bis in alle Ewigkeit unerklärliche 0:6-Heimklatsche gegen den SC Freiburg. Die Gäste hatten das halbe Dutzend schon nach 37 Minuten vollgemacht.
Derby-Niederlage? Diesmal kein negativer Wendepunkt
Ging die Borussia-Saison nach Derby-Enttäuschungen zuletzt regelmäßig den Bach runter, ist es diesmal anders gelaufen. Seoane sprach klar an, was von der Leistung seiner Mannschaft in Köln zu halten war, ohne sie komplett in den Senkel zu stellen. Die Reaktion waren zwei Siege gegen Heidenheim in Liga und Pokal.
Die Borussia gab beim 3:3 in Freiburg zwar allzu einfach eine 3:1-Führung aus den Händen, zog aber die richtigen Lehren aus dem Spiel. Eine Woche später gegen Wolfsburg machten es die Gladbacher genau in der Phase besser, als sie erneut kurz davor standen, einen angeschlagenen Gegner ins Spiel zurückzuholen. "Wir können aus dieser Partie viel lernen", hatte der Schweizer Chefcoach unmittelbar nach Freiburg gesagt.
Glücksgriff mit Rocco Reitz
Die Kommunikation von Gerardo Seoane ist so ziemlich das Gegenteil zu den Worten, die Vorgänger Daniel Farke während der vergangenen Spielzeit gewählt hat. Seaone findet bis dato immer das richtige Maß in der Außenwirkung, hat sich noch keinen kommunikativen Schnitzer erlaubt. Schönrederei liegt dem Schweizer fremd, genauso mehrminütige Monologe in Pressekonferenzen. Das kommt gut an beim Großteil der Fans von Borussia Mönchengladbach.
Und auch seine sportlichen Entscheidungen beginnen, Früchte zu tragen. Dem 21-jährigen Rocco Reitz nochmal eine Chance zu geben und ihn ausgerechnet im Heimspiel gegen die Bayern von Anfang an zu bringen, war ein Glücksgriff. Der Mittelfeldmann ist aus der Startelf nicht mehr wegzudenken, gegen Wolfsburg erzielte Reitz sein erstes Tor und legte beim Debüt in der U21-Nationalelf gleich einen Doppelpack nach.
Reitz ist das personifizierte Traumszenario eines jeden Fußballfans: Zur Geburt schenkte ihm sein Patenonkel die Vereinsmitgliedschaft bei Borussia Mönchengladbach, mit sechs Jahren wurde Rocco bei einem Trainingscamp von Borussia entdeckt und durchlief seitdem alle Jugendmannschaften. Drei Jahre nach seinem Debüt im Gladbach-Trikot hat es Reitz in die Startelf und zum Publikumsliebling geschafft. Reitz ist Fan und Spieler zugleich, lebt den Traum derjenigen, die ihn anfeuern.
Schwerer Gang nach Dortmund
Die Mannschaft anfeuern werden am heutigen Samstag gut 7.500 Gladbach-Fans, wenn es für die Borussia zum BVB geht. Traditionell ist die Partie in Dortmund ein schwerer Gang für die Fohlen. Gegen den in der Bundesliga wie immer durch den Herbst wankenden BVB ist Gladbach klarer Außenseiter, rechnet sich aber in der aktuellen Situation etwas aus. Zumindest soll das Dortmund-Auswärtsspiel nicht so laufen wie in den vergangenen Spielzeiten. Seit 2014 hat Gladbach im Westfalenstadion jedes Spiel verloren und ist dabei oft gehörig vermöbelt worden. Am 9. November des Weltmeister-Jahres erzielte Christoph Kramer aus 45 Metern ein Eigentor für die Geschichtsbücher.
Eine Mönchengladbacher Niederlage ist auch an diesem Wochenende das wahrscheinlichere Szenario. Das Gladbach-Gebilde ist mutmaßlich noch zu fragil, um einen wochenlangen Lauf zu schieben. Dafür war der überfällige Umbruch im vergangenen Transfersommer zu groß und kann auch noch längst nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Spieler wie der junge tschechische Stürmer Tomas Cvancara sind zwar gut gestartet, haben aber immer noch große Formschwankungen. Die Außenverteidiger Luca Netz und Joe Scally agierten zuletzt verbessert, sind aber immer noch keine Garanten für eine stabile Defensive. Und in der Verteidigung ist Abwehrchef Ko Itakura (noch) nicht einsatzbereit. Torhüter und Kapitän Jonas Omlin fehlt noch bis in den Januar hinein.
Borussia kann sich weiterhin auf eine komplizierte Saison mit vielen Höhen und vielen Tiefen einstellen. Trainer Seaone und Sportvorstand Virkus mahnen immer wieder den "Prozess" an, in dem sich Borussia befinde. An der Hennes-Weisweiler-Allee ist endlich Ruhe eingekehrt. Vom neuen Weg ließen sich die Verantwortlichen auch nicht abbringen, als es früh in der Saison von außen viel Kritik am Gladbacher Kader gab.
Dass die Elf vom Niederrhein schon kurzfristig wieder den Weg in Richtung Europapokal einschlägt, dürfte allerdings Wunschdenken von Fans bleiben. Denen ist ohnehin wichtiger, dass es wieder Spieler mit Identifikationspotential gibt. Rocco Reitz ist das Paradebeispiel. Und wenn die Mannschaft unerklärliche Leistungen wie in Köln künftig seltener oder zumindest nicht im wichtigsten Spiel der Hinrunde bringt, werden auch Niederlagen verziehen. Zumal der wichtigste Sieg schon errungen wurde: Stefan Lainer hat den Krebs besiegt.
Quelle: ntv.de