Fußball

Bayerns Jahrhundert-Wunder Guardiola flucht und fürchtet Harakiri

Skeptisch: Josep Guardiola vor dem Halbfinal-Rückspiel seines FC Bayern gegen den FC Barcelona, der nach dem 3:0 im Hinspiel scheinbar schon mit einem Fuß im Champions-League-Finale steht.

Skeptisch: Josep Guardiola vor dem Halbfinal-Rückspiel seines FC Bayern gegen den FC Barcelona, der nach dem 3:0 im Hinspiel scheinbar schon mit einem Fuß im Champions-League-Finale steht.

(Foto: dpa)

Wer heute auf den FC Bayern setzt, kann viel Geld verdienen. Doch die Münchner beschwören im Halbfinale der Champions League gegen den FC Barcelona das Wunder. Josep Guardiolas Plan lautet: "Herz ja, aber auch mit Kopf."

Worum geht’s?

Wahlweise um ein in der Welt des Fußballs doch arg inflationär bemühtes Wunder, zumindest aber eine Sensation. Das sagen alle, das sagen sie beim FC Bayern. Die Frage, ob ein Wunder mit Ansage überhaupt noch eins ist, bleibt in diesem Fall eine akademische. Fest steht: Sie haben das Hinspiel beim FC Barcelona am vergangenen Mittwoch mit 0:3 verloren. Also geht es heute (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) für die Münchner darum, in 90 Minuten irgendwie drei Tore zu schießen und keins zu kassieren. Dann würde es für eine Verlängerung reichen. Und das Ziel, doch noch das Finale am 6. Juni im Berliner Olympiastadion zu erreichen, wäre zum Greifen nahe. Dementsprechend setzt Trainer Josep Guardiola, der am Tag vor dem Spiel weniger wundergläubig als vielmehr realistisch wirkte, auf eine stabile Defensive. "Wir müssen gut verteidigen, das ist das Erste." Klingt ein wenig wunderlich, stimmt aber.

Schießt nämlich Barças Wundersturm mit Lionel Messi, der in Barcelona seine ersten beiden Tore gegen Manuel Neuer erzielte, Luis Suárez und Neymar, der das dritte Tor erzielte, heute in München auch nur ein Tor, müssen die Bayern schon fünfmal treffen. Und dafür wäre dann eine ausgewachsene Auferstehung vonnöten. Ja, ist denn schon wieder Ostern? Nein, leider zu spät. Guardiola jedenfalls kündigte an, den Rückstand über die "Kontrolle des Spiels" aufholen zu wollen. Die "deutsche Mentalität", in so einem Fall wild nach vorne zu rennen, sei keine taugliche Strategie. Also gelte: "Herz ja, aber auch mit Kopf." Nur: Ohne etwas zu riskieren, erreichen die Bayern das Finale ganz bestimmt nicht.

Wie ist der FC Bayern drauf?

FC Bayern - FC Barcelona, 20.45 Uhr

FC Bayern: Neuer - Rafinha, Benatia, Boateng, Bernat - Alonso - Lahm, Thiago, Götze - Müller, Lewandowski

FC Barcelona: ter Stegen - Dani Alves, Piqué, Mascherano, Alba - Busquets - Rakitic, Iniesta - Messi, Suárez, Neymar

Schiedsrichter: Clattenburg (England)

Die Münchner sind angeschlagen, keine Frage. Auch das Warmspielen in der Bundesliga gegen den FC Augsburg hat nicht so funktioniert, wie sie sich das vorgestellt hatten. Obwohl Guardiola dieses Mal die meisten seiner Stammkräfte ins Rennen warf, setzte es die vierte Pleite in Folge. Was allerdings auch der Tatsache geschuldet war, dass die Bayern nach der Roten Karte gegen Torhüter Pepe Reina 77 Minuten in Unterzahl spielen mussten. Was heißt das für die Partie heute gegen Barcelona? Vermutlich nichts. "Wir müssen was bewegen. So sind wir drauf", behauptet Thomas Müller. Der Angreifer erinnert sich und seine Kollegen an das Viertelfinale gegen den FC Porto, als sie nach einem 1:3 im Hinspiel die zweite Partie in beeindruckender Manier mit 6:1 gewannen. "Wir können nicht davon ausgehen, dass es läuft wie gegen Porto. Aber wir brauchen's." Wohl wahr. Die Wettanbieter beeindruckt das allerdings wenig. Für ein Wunder von der Isar würden sie dem geneigten Kunden glatt elf Euro für einen Euro Einsatz zurückzahlen. Allerdings: Ein Sieg des FC Bayern scheint ihnen durchaus im Bereich des Möglichen: Im eigenen Stadion liegt Guardiolas Mannschaft mit einer Quote von 2,50 sogar knapp vor dem Team des Kollegen Luis Enrique.

Auf welche Münchner kommt's besonders an?

Auf alle! Das klingt wie eine Binse, und es ist auch eine. Aber anders können die Bayern gegen dieses Barça nichts ausrichten. Es sind so viele Fragen, die die Münchner heute Abend beantworten müssen. Guardiola wollte zwar am Tag vor diesem Halbfinale wie üblich nicht verraten, wer in der Startelf steht. Aber über Mario Götze sagte er: "Er ist eine Option. Mario ist ein Spieler, der in der Nähe des Strafraums und im Strafraum große Qualität hat." Immerhin. Unendlich viele Optionen hat er ja auch nicht. Schließlich muss er, so sehr ihn das schmerzt, auf die verletzten Holger Badstuber, David Alaba, Franck Ribéry und Arjen Robben verzichten. Die Frage ist auch - Stichwort defensive Stabilität - wie sich Juan Bernat nach dem nicht ganz so brillanten Hinspiel als rechter Außenverteidiger bewährt. Und ob Innenverteidiger Jérôme Boateng sich noch einmal so von Messi düpieren lässt wie vor dem 2:0 im Hinspiel. Schwingt sich das Mittelfeld um Thiago Alcantara, Philipp Lahm und vielleicht Götze zu der Dominanz auf, die sich der Trainer wünscht? Spielt Bastian Schweinsteiger? Und schießt Robert Lewandowski mal ein Tor, obwohl er eine Maske trägt? Oder kann Müller mit seiner unorthodoxen Spielweise seiner Mannschaft helfen? Der sagte zumindest: "Meine Gefühlswelt ist aufgeräumt. Ich bin nicht euphorisch, aber auch nicht pessimistisch." Das mit der Wundergläubigkeit muss er wohl noch üben. Ist aber auch schwer.

Wie läuft's beim FC Barcelona?

Luis Enrique beruhigt der beruhigende Vorsprung seines FC Barcelona nicht wirklich. Sagt er zumindest.

Luis Enrique beruhigt der beruhigende Vorsprung seines FC Barcelona nicht wirklich. Sagt er zumindest.

(Foto: REUTERS)

Luis Enrique ist bisweilen ein höflicher Mann. Und ein vorsichtiger. Also sprach der Trainer des FC Barcelona: "Wir werden in München leiden müssen." Das klingt ein wenig wunderlich. Schließlich hat seine Mannschaft nicht nur das Hinspiel, sondern die jüngsten sieben Partien gewonnen. In denen haben seine Spieler 25 Tore erzielt und kein einziges zugelassen. Aber wie jeder Trainer hält auch Enrique es für keine gute Idee, dass sein Team sich zu sicher fühlt. "Wir werden nicht den Fehler machen und denken, dass die Begegnung bereits entschieden wäre." Dass er dann allerdings behauptete: "Es sieht noch nicht einmal gut aus", verbuchen wir mal unter der Rubrik katalanisches Understatement.

Ganz abgesehen davon, dass Barça im Gegensatz zu den Bayern zwar noch nicht die nationale Meisterschaft gewonnen, dafür aber noch die Chance aufs Triple hat. In der spanischen Primera Division stehen Enriques Künstler zwei Spieltage vor dem Ende der Saison an der Tabellenspitze. Und am 25. Mai steht im Camp Nou das Pokalfinale gegen Athletic Bilbao an. Na ja, und in der Champions League sieht's so schlecht auch nicht aus. Das interessiert Enrique aber nicht, zumindest gibt er es nicht zu. Er verweist lieber auf das Endspiel der Königsklasse im Jahr 2005 in Istanbul, als der AC Mailand schon wie der sichere Sieger aussah: "Vergessen wir nicht das Finale, als Liverpool nach einem 0:3-Rückstand zurückkam." Und auch Mittelfeldspieler Andres Iniesta schließt sich der Sprachregelung an: "Wir wissen, wie der Fußball ist. Es muss in München alles passen, wenn wir das Finale spielen möchten." Denn, Obacht: "Wenn Du es am wenigsten erwartest, sind andere gute Teams da und besiegen dich." Klingt fast so, als wäre es gar kein Wunder, würde der FC Bayern heute weiterkommen.

War sonst noch was?

Fußball kann ja so einfach sein. Zumindest war er das früher. Das hat Lukas Podolski jetzt dem "Playboy" erzählt und damit einen weiteren Beweis erbracht, dass der Kauf des Magazins sich alleine schon wegen der guten Interviews lohnt. "Flasche Wasser, trockenes Brötchen, auf dem Fahrrad zum Bolzplatz, dort fünf Stunden spielen, dann Hausaufgaben machen, am nächsten Tag zur Schule und dann wieder von vorn. Das hat mich glücklich gemacht." Wäre das nicht ein Motto für den FC Bayern heute Abend? Einfach mal rausgehen und Fußball spielen? Wir fürchten nicht. Denn in München ist alles so furchtbar kompliziert. Da stehen sie vor dem nun aber wirklich wichtigsten Spiel der Saison - und alle Welt redet über den Trainer und das Gerücht, er würde den Verein im Sommer gen Manchester verlassen. Alles Quatsch, sagt Guardiola. Oder vielmehr: "Oh Jungs."

Er sagt das neuerdings öfter, der Deutschunterricht schreitet fort. "Oh Jungs, ich habe das doch schon 200 Millionen Mal an der Säbener Straße gesagt: Ich habe ein Jahr mehr Vertrag hier. Nächste Saison werde ich hier bleiben. Ja, und das ist alles." Und überhaupt: "Ich bin nicht hier, um der beste Trainer der Welt zu sein. Das ist scheiße." Es ist also heute Abend nicht seine letzte Chance. In der kommenden Saison wird Guardiola wieder mit dem FC Bayern in der Champions League antreten. Dann geht alles von vorne los. Vielleicht spielen sie wieder eine souveräne Vorrunde, überstehen wieder das Achtel- und das Viertelfinale und erreichen wieder die Runde der besten vier Mannschaften des Kontinents. Fußball kann so einfach sein - ganz ohne Wunder.

Quelle: ntv.de

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