Fußball

Lieberknecht im ntv.de-Gespräch "Die Charakterstärke des FC Bayern war brutal beeindruckend"

Torsten Lieberknecht träumt vom Bundesliga-Aufstieg mit dem 1. FC Kaiserslautern.

Torsten Lieberknecht träumt vom Bundesliga-Aufstieg mit dem 1. FC Kaiserslautern.

(Foto: IMAGO/Zink)

Im frühen April 2025 sagt Torsten Lieberknecht: Fußball geht nicht einfach weg. Da ist der Fußball-Trainer gerade in einer Phase der Ruhe, aus dem Blickfeld verschwunden. Wenige Wochen später übernimmt er den 1. FC Kaiserslautern und damit den Verein, bei dem er einst als Spieler debütierte.

Der 52-Jährige ist bereits mit zwei Klubs, den Underdogs Eintracht Braunschweig und dem SV Darmstadt 98, in die Fußball-Bundesliga aufgestiegen. In der Pfalz jagt er nun seinen Lebenstraum. Wenn es klappt, dann will er die Anhänger der Roten Teufel diesmal mit einem Instrument überraschen. Auf seinen vorherigen Stationen blieb ihm das vergönnt. Irgendwie hat es sich nie ergeben. Nicht in Braunschweig, wo er noch ein Lernender war, und nicht in Darmstadt, wo die Zeit ihm einen Strich durch die Rechnung machte.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

An diesem Samstag erwartet der 1. FC Kaiserslautern Besuch aus Berlin. Hertha BSC gastiert im Topspiel (20.30 Uhr/RTL und im Liveticker bei ntv.de) am Betzenberg. Davon erzählt Lieberknecht im ntv.de-Interview und auch von seiner Rückkehr an und seiner Verantwortung für den Ort seiner Jugend. Und dann ist da noch diese eine Sache, die auch nicht mehr weggeht und die immer wieder für Störungen sorgt.

ntv.de: Herr Lieberknecht, Sie sind im vergangenen April nach über 30 Jahren zum 1. FC Kaiserslautern zurückgekehrt. Haben Sie die neuen Bilder mit denen vor all den Dekaden abgeglichen? Was ist Ihnen aufgefallen?

Torsten Lieberknecht: Die Stadt hat sich natürlich verändert in den vergangenen 30 Jahren. Ganz grundsätzlich finde ich, dass Kaiserslautern in der Wahrnehmung immer zu schlecht wegkommt. Das betrifft auch die Kaiserslauterer selbst. Du merkst der Stadt den wirtschaftlichen Wandel an, natürlich. Es gibt auch hier Leerstand an Orten, an denen man früher flanieren konnte. Und trotzdem gibt es hier so viele schöne Ecken, ganz zu schweigen vom wunderschönen Pfälzer Wald drumherum. Kaiserslautern könnte viel selbstbewusster sein. Der FCK prägt diese Stadt natürlich auch ganz besonders, vor allem an Heimspielwochenenden zeigt die Stadt ein ganz anderes Gesicht.

Wie haben Sie Ihre Erinnerungen aufgefrischt?

Ich habe mich ins Auto gesetzt, um viele Orte meiner Jugend abzufahren, ich bin ja mit 16 zu Hause ausgezogen und habe hier im Rathaus eine Ausbildung angefangen. Ich habe hier meine erste Ein-Zimmer-Bude gehabt mit Kochnische, die gibt es tatsächlich noch. Da sind viele schöne Erinnerungen wieder geweckt worden.

Als Trainer des FCK ist man einer der zentralen Köpfe der Stadt und mitverantwortlich dafür, wie die Gefühlslage der Menschen in Kaiserslautern ist. Spüren Sie eine besondere Verantwortung auf dieser Station, die auch Ihre Heimat ist?

Ich habe grundsätzlich immer ein hohes Verantwortungsgefühl, wenn ich eine Mannschaft übernehme. Aber hier ist es ganz klar noch einen Tick mehr, das muss ich ehrlich sagen. Wenn man bei der 125-Jahre-Feier des Klubs all die Größen gesehen hat, all die großen Trainer und Spieler, über denen Fritz Walter und die Walter-Elf schwebt. Es ist ein Privileg und wie bereits erwähnt auch eine hohe Verantwortung, Teil der Geschichte dieses Vereins zu sein.

Torsten Lieberknecht ...

... absolvierte für Waldhof Mannheim, Mainz 05 und Eintracht Braunschweig 152 Spiele in der 2. Fußball-Bundesliga, für seinen Heimatklub 1. FC Kaiserslautern lief er 13 Mal im Oberhaus auf. Als Trainer gelangen dem einstigen U21-Nationalspieler gleich zwei sportliche Wunder: Eintracht Braunschweig führte er von der 3. Liga in die Bundesliga, SV Darmstadt 98 brachte er zurück ins Oberhaus. Seit Ende April 2025 ist er Trainer bei den Roten Teufeln.

Was können Sie im Idealfall dieser langen Geschichte hinzufügen?

Ich möchte den Menschen gerne das geben, wonach sie lechzen. Es ist eigentlich unvorstellbar, aber es gibt hier eine ganze Generation, die den FCK noch nie in der Bundesliga erlebt hat. Und trotzdem haben wir nahezu immer knapp 50.000 Zuschauer im Stadion. Das spricht für den Klub, für die Region. Ohne die Aufstiege mit Darmstadt 98 und Eintracht Braunschweig abzuwerten, aber es ist schon ein Lebenstraum, dem FCK mit all seinen Geschichten und vor allem den Leuten hier die Rückkehr in die Bundesliga schenken zu können. Ich war noch nie so forsch, ein solch großes Ziel so klar zu formulieren. Aber ich will alles dafür geben, dass wir es irgendwann erreichen.

Sie sagten zuletzt, Sie würden eigentlich nur noch zweite Liga schauen und sich mit ihr beschäftigen. Aber die beiden großen Champions-League-Spiele des FC Bayern und des BVB zuletzt haben Sie doch sicher gesehen. Können Sie aus diesen Duellen etwas mitnehmen, mit dem Sie mit einer Zweitliga-Mannschaft arbeiten können?

Auf jeden Fall. Ich habe vor allem das Bayern-Spiel bei uns zum Thema gemacht. Mir ging es um die Charaktere, die da auf dem Platz standen. Wie sie für ihre Mannschaft gearbeitet haben. Die Entwicklung scheint zu einer starken Mannorientierung zu gehen. Es ist überragend, wie ein Luis Diaz, natürlich vor seiner Roten Karte, auf einmal auf der Innenverteidigerposition aushilft, oder ein Harry Kane sich nicht zu schade ist, seinem Gegenspieler überall hin zu folgen, weil er ihn unter Druck setzen oder einen Konter wegverteidigen möchte. Das ist beispielhaft dafür, was wir uns hier erarbeiten wollen. Und es ist ein überragendes Beispiel dafür, dass auch Spieler auf diesem allerhöchsten Niveau, die auch schon eine ganze Menge erreicht haben, sich für keine Arbeit für die Mannschaft zu schade sind. Diese Charakterstärke fand ich brutal beeindruckend.

Am heutigen Samstag steht das Duell mit Hertha BSC an, ein Klub, der auch gerne aufsteigen möchte. Nach einem komplizierten Start klopfen sie mit oben an. Mit einem Sieg würde Hertha BSC mit Ihnen gleichziehen. Verkompliziert das die Vorbereitung auf das Spiel?

Hertha hat sich mit drei Siegen in den letzten drei Spielen nach ihrem etwas holprigen Start längst stabilisiert. Sie haben sich in ihrer Art zu spielen angepasst, um an Punkte zu kommen. Dazu ist es natürlich ein Abendspiel, Flutlicht. Darüber hinaus veranstalten unsere Fans einen Traditionstag, am Nachmittag gibt es einen gigantischen Fanmarsch, ein nahezu ausverkaufter Betzenberg. Das alles macht es zu einem hochemotionalen Spiel, sowieso müssen wir zu Hause unseren Fußball immer erstmal emotional abarbeiten. Wir sind also eher bei uns, bei unserer DNA, die sich immer mehr entwickelt. Wir schauen, wo unsere Stärken liegen, wie wir die Hertha damit schlagen können. Ohne die Klasse des Gegners zu unterschätzen.

Was zeichnet Hertha BSC aus? Sie haben mit Fabian Reese einen der Top-Stars der Liga in ihren Reihen.

Ich finde, bei Hertha BSC gibt es ganz viel individuelle Klasse, nicht nur bei Reese. Ich denke auch an Maurice Krattenmacher, Michaël Cuisance, Diego Demme und Paul Seguin. Da ist eine Menge Erstligaerfahrung auf dem Platz. Sie sind aufgrund ihrer Geschwindigkeit auch enorm konterstark. Da kommt es bei uns dann auf die berühmte Restverteidigung an.

Mit Stefan Leitl kommt ein Trainer, der, wie Sie, nicht der größte Ballbesitzfan ist.

Das ist Quatsch.

Inwiefern?

Bei Darmstadt 98 sind wir mit Ballbesitzfußball aufgestiegen. Aber: Man muss ein Gefühl entwickeln. Was wollen deine Spieler? Es ist so: Wir wollen in Ballbesitz kommen. Dann gibt es die Fragen, wie wir das schaffen können und was wir aus diesen bei uns noch sehr kurzen Ballbesitzphasen machen können. Es geht um Konteraktionen, um Umschaltaktionen, die wir noch nicht in der Perfektion ausspielen, wie wir uns das vorstellen. Das ist ein Prozess, der sich gerade in unserer Idee entwickelt, wie wir Fußball spielen wollen.

Wo erkennen Sie Fortschritte?

Wir merken, dass wir nicht nur in offensive Abläufe kommen, die wir mit gelernten Mustern bespielen können. Wir kommen jetzt immer öfter in Situationen, in denen wir uns genau das fragen: Wo findet der Ballgewinn statt, was machen wir mit dem Ball - und wie kriegen wir den Ballbesitz beispielsweise in einer Konteraktion in etwas Zählbares umgesetzt. Wir sind die Mannschaft mit den meisten Balleroberungen der Liga. Das spricht schon dafür, dass wir uns einen sehr aggressiven Spielstil angeeignet haben.

Was macht Kaiserslautern auf dem Betzenberg so gefährlich? 13 Punkte aus fünf Heimspielen sprechen eine deutliche Sprache.

Es ist das Zusammenspiel zwischen Fans und Mannschaft. Es muss für den Gegner sehr beeindruckend sein, hierherzukommen. Es gab eine Zeit, ich habe das selbst als Gästetrainer erlebt, dass die Spiele auf dem Betzenberg als Highlightspiele galten, auf die man sich gefreut hat. Inzwischen habe ich wieder das Gefühl, dass die Vorfreude umgeschlagen ist. Das Stadion entfaltet eine unglaubliche Wucht. Die Mannschaft muss immer in Vorleistung treten, aber es braucht wirklich nicht viel: Die Menschen wollen nur das pumpende Herz sehen, das die Spieler auf dem Platz lassen. Aber wir haben auch die Qualität, das zu kanalisieren und nicht blindwütig ins Verderben zu rennen. Das haben wir uns gemeinsam erarbeitet.

Auf dem Betzenberg ist's immer etwas Besonderes.

Auf dem Betzenberg ist's immer etwas Besonderes.

(Foto: IMAGO/Lucca Fundel)

Sie sind ein großer Musikfan. Welche Band wäre der Betzenberg. Welches Instrument würden Sie spielen, welches die Mannschaft und welches die Tribüne?

Ich bin da gerne im Hintergrund. Ich bin der Schlagzeuger. Aber der ist nicht ganz unwichtig in einer Band. Der gibt den Takt vor. Doch das große Ganze hier würde ich eher als eine sehr progressive Rockband einstufen. Es ist das Zusammenspiel der Fans und der Mannschaft. Wenn ich all das hier mit einer Band vergleiche, dann denke ich am ehesten an Rush. Das ist meine Generation.

Mit Mahir Emreli haben Sie einen Spieler im Kader, der vor der Saison mit großen Erwartungen und dem Rückenwind von zehn Toren in 24 Zweitligaspielen vom 1. FC Nürnberg kam. Aber dann zeigt sich, auf einer ganz anderen Ebene natürlich, eine gewisse Parallele zu Florian Wirtz. Es funktioniert einfach noch nicht so.

Gespräche, Beobachtungen, ein Gefühl für die Situation. Ich sage jedem Spieler vor einem Transfer, dass wir ab dem Tag, an dem wir zusammenarbeiten, erst einmal zusammenfinden müssen. Das ist auch mal ein Prozess.

Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?

Wenn du jemanden findest, der dir gefällt, in den du dich verliebst, dann beginnt der Prozess des Sich-richtig-Kennenlernens. Du merkst, dass du viel tun musst, um zusammenzuwachsen, um dann auch wirklich eine Liebe zu entwickeln. Auf diesem Weg sind Mahir und ich gerade. Es geht auch darum, einmal Enttäuschungen einzustecken. Eins aber gilt: vergeben, vergessen, verzeihen. Das ist ein Hauptthema in der Liebe. Und das ist das Hauptthema in der Liebe zu seinen Spielern.

Auch dem VAR muss man einiges verzeihen. Obwohl es selten Liebe ist.

Gibt es den noch? (lacht)

Ja. Sie hatten doch erst am vergangenen Wochenende ein Erlebnis mit ihm.

Eins ist doch klar: Wir werden den nicht mehr abschaffen. Davon bin ich überzeugt. Es ist Unfug zu sagen, dass wir ihn abschaffen müssen. Das wird nicht mehr passieren. Aber natürlich bleibt da dieses Gefühl.

Welches?

Die Schiedsrichter, so ist mein Eindruck, treffen oftmals die richtigen Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Aber diese richtigen Entscheidungen werden häufig mit dem VAR gekreuzt. Weil man irgendwo irgendwas gesehen hat. Manchmal denke ich, dass man den Schiedsrichtern ihre Entscheidungen überlassen sollte. Wenn ein Fehler wirklich absolut klar und ersichtlich ist, dann ist ein Eingreifen okay. Nur, wenn man sucht und sucht und sucht, nur um etwas zu finden, dann habe ich ein Problem damit. Jetzt kommt allerdings eine Sache erschwerend hinzu: die Länge der Überprüfungen.

Ihr Spiel am vergangenen Wochenende war aufgrund einer VAR-Überprüfung nach dem vermeintlichen 2:0 für Ihre Mannschaft für rund sechs Minuten unterbrochen.

Das hat uns zu einem Zeitpunkt, an dem wir super im Spiel waren, kurzzeitig ein bisschen den Schwung genommen. Wenn wir den VAR nicht mehr abschaffen können, nicht mehr abschaffen wollen, dann müssen wir das Optimum daraus ziehen. Wenn die Überprüfung, wie in Düsseldorf, so lange dauert, dann kann es nicht so offensichtlich gewesen sein. Aber die sechs Minuten nehmen im Stadion komplett den Schwung weg, auch auf den Tribünen. Da müssen wir eine Regelung finden.

Wie könnte diese aussehen?

Wir können sagen: Okay, innerhalb einer gewissen Zeit muss eine Entscheidung getroffen werden. Aber ich bin da natürlich zu weit weg und in dem Moment nur der Schlaumeier. Es ist trotzdem ärgerlich. Weil die Überprüfung mittlerweile so lange dauert. Auf der einen Seite will man Gerechtigkeit schaffen, aber auf der anderen Seite ist es nicht gerecht, den Spielfluss für eine Mannschaft, die komplett drin ist, zu unterbrechen. Auch das nimmt Einfluss auf das Spiel.

Muss man als Trainer in diesen Momenten auch neue Wege für das In-Game-Coaching finden?

Absolut. Was passiert in diesen fünf, sechs Minuten? Nimmst du die Mannschaft zur Seite? Man kann kurz sprechen. Aber niemand weiß, wann die Entscheidung kommt. Lässt du die Mannschaft in Bewegung und wirfst einen zweiten Ball rein, damit sie sich weiter einspielen? Das sind alles Sachen, die zu überdenken sind. Aber man ist auch immer gespannt auf den Moment der Entscheidung. Was kommt jetzt? Dann kommt noch der vierte Offizielle hinzu und erklärt, dass die Technik gerade ausgefallen ist. Dann fällst du vom Glauben ab. Das ist uns zweimal passiert, dass die Maschinen hoch- und runtergefahren worden sind. Das alles muss man überdenken.

Torsten Lieberknecht sieht sich bei den Roten Teufeln auch ein bisschen als Schlagzeuger.

Torsten Lieberknecht sieht sich bei den Roten Teufeln auch ein bisschen als Schlagzeuger.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Eine letzte Frage: Was wünschen Sie sich am Saisonende? Der Aufstieg ist Ihr Traum.

Ich habe es echt gerne, wenn die Leute hier zufrieden vom Betzenberg nach Hause gehen. Wenn sie sich mit dem, was auf dem Platz passiert und mit ihrer Mannschaft, den Roten Teufeln, identifizieren können. Wenn das in das Größtmögliche, was dieser Klub schaffen kann, gipfelt, dann wäre ich der glücklichste Mensch überhaupt. Wir sind in der zweiten Liga. Das Größtmögliche ist der Aufstieg. Mit mir wären viele Pfälzer die glücklichsten Menschen überhaupt. Ich habe hier vor langer Zeit anfangen dürfen, meine Geschichte zu schreiben. Diese Emotionen zurückzugeben, das würde mir etwas bedeuten. Aber wir müssen schauen, was dabei herauskommt. Nur: Wünsche darf man trotzdem haben.

Wenn Sie sich und den Pfälzern diesen Wunsch erfüllen können, dann sind Sie in diesem Moment nicht mehr der Schlagzeuger, der den Takt vorgibt, oder?

Ja. Dann greife ich definitiv diesmal zu meiner Gitarre.

Mit Torsten Lieberknecht sprachen Till Erdenberger und Stephan Uersfeld

Quelle: ntv.de

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