Fußball

Julian Nagelsmann in der Kritik Lewandowski lässt FC Bayern vor erster Krise zittern

Nagelsmann muss sein Spiel ohne Lewandowski aufziehen.

Nagelsmann muss sein Spiel ohne Lewandowski aufziehen.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Am Dienstagabend kehrt Robert Lewandowski in die Allianz Arena zurück. Für Julian Nagelsmann und den FC Bayern München hat das zweite Gruppenspiel in der Champions League eine große Bedeutung, denn je nach Ausgang droht dem Rekordmeister die erste Krise der Saison.

Es sind ungewöhnliche Zeiten beim FC Bayern München. Ungewöhnlich deshalb, weil der Rekordmeister in der Bundesliga trotz zunächst drei Siegen nun drei Unentschieden in Serie eingefahren hat. Aus der anfänglichen Euphorie ist eine leichte Krisenstimmung geworden. Aber auch ungewöhnlich, weil Hasan Salihamidžić im Sport1-Doppelpass mild gestimmt war. Im Zweifel stünden Resultate an zweiter Stelle, sagte der Sportvorstand: "Es ist mir lieber, einmal mehr Unentschieden zu spielen, als dass wir schlechte Stimmung und viele unzufriedene Spieler haben."

Beim Rekordmeister gab es Zeiten, da standen Trainer schon nach knappen Siegen in der Kritik. Carlo Ancelotti beispielsweise ging 2017 trotz Meisterschaft angezählt in die neue Saison. Niko Kovac gewann 2019 sogar das Double und sah sich dennoch mit Kritik konfrontiert.

Nun steht Julian Nagelsmann an der Seitenlinie - und sein "Lernprozess", wie es Salihamidžić bezeichnete, werde unterstützt. Nagelsmann ist ein vielversprechendes Trainertalent, das im ersten Jahr die Meisterschaft gewann. Bayern zahlte zudem eine Ablösesumme, die sich verschiedenen Spekulationen nach zwischen 15 und 25 Millionen Euro befinden soll. Nach anfänglicher Euphorie wurde der 35-Jährige insbesondere in der Rückrunde sehr kritisch beäugt. Spätestens nach dem Viertelfinal-Aus in der Champions League gegen den FC Villarreal wurde er zum Zentrum einer Debatte rund um die fehlende Konstanz des FC Bayern.

Diverse Kritikpunkte setzen Nagelsmann unter Druck

Die Kritikpunkte an ihm waren vielfältig. Zu wenig Rotation, fehlende Spannung in Spielen gegen vermeintlich kleinere Gegner, zu viele Systemwechsel, zu viele Anpassungen an die Gegner, eine unpassende Rolle für Starstürmer Robert Lewandowski - es gab fast nichts, was Nagelsmann nicht vorgeworfen wurde.

Gleichzeitig gab es Faktoren, die ihn entlasteten. Die langen Ausfälle von Joshua Kimmich, Alphonso Davies und Leon Goretzka beispielsweise. Bayern verlor im Frühjahr auch durch Coronafälle den Rhythmus und schien diesen nicht mehr richtig zu finden. Der Kader war deshalb ein großes Thema. Konnte Nagelsmann einfach nicht ausreichend nachlegen? Musste er deshalb experimentieren?

Vermutlich ist das ein Teil der Wahrheit. Dementsprechend gespannt waren alle Beobachterinnen und Beobachter darauf, was der FC Bayern in dieser Saison auf den Rasen zaubern würde. Die Münchner haben auf dem Transfermarkt zugepackt wie schon lange nicht mehr. Sadio Mané, Matthijs de Ligt, Mathys Tel, Ryan Gravenberch, Noussair Mazraoui - da kam ordentlich Qualität nach München.

Rückfall in alte Muster?

Schon Mitte September gehen die Diskussionen aber von vorne los. Wieder fokussiert sich einiges auf Nagelsmann. Und der Faktor Kader? Der sollte eigentlich keine Rolle mehr spielen. Eigentlich. Denn gegen Stuttgart, so ein neuartiger Vorwurf, habe der Trainer zu viel rotiert. Daher rührte auch die Aussage Salihamidžićs, dass er auf keinen Fall unzufriedene Spieler wolle. Der Kader ist so breit wie lange nicht mehr.

Goretzka beispielsweise meldete nach seiner Rückkehr selbstbewusst und in aller Öffentlichkeit Ansprüche an. "Jetzt bin ich dann aber auch bereit zu starten", sagte der Nationalspieler nach dem 2:0-Sieg gegen Inter, bei dem er nach gut 61 Minuten eingewechselt wurde. Damit setzte er Nagelsmann zusätzlich unter Druck.

Gegen Stuttgart stand Goretzka in der Startelf. Obwohl Gravenberch im DFB-Pokal einen sehr guten Eindruck hinterließ, gab es keinen Zweifel daran, dass der Ex-Schalker starten würde. Ein natürlicher Prozess in der Hierarchie des FC Bayern oder doch mehr? Am Montag berichteten mehrere Medien von ersten kleinen Unruhen innerhalb der Kabine.

Nagelsmann auf der Suche nach "seinem Stil"

"Er findet gerade seinen Stil", sagte Salihamidžić über Nagelsmann: "So einen Kader hat er noch nicht gehabt." Bemerkenswerte Töne eines Sportvorstands, der gleichzeitig zum Ausdruck brachte, dass die Leistung am Wochenende "zu wenig" gewesen sei. Es scheint, als wäre der FC Bayern gerade irgendwo zwischen Nagelsmanns Lernprozess und den eigenen Ansprüchen gefangen. Die Frage wird sein, wie lange die Spieler das mittragen.

Dabei sah zu Saisonbeginn alles so gut aus. Nagelsmann beteuerte noch während der Sommerpause, dass er aus seinen Fehlern der vergangenen Spielzeit gelernt habe. Er wolle sich weniger Gedanken darüber machen, was beim Gegner los ist und lieber die eigenen Stärken fokussieren. In den ersten Spielen starteten die Bayern nicht nur häufig mit der gleichen Startelf, sondern auch konsequent mit dem neuen 4-2-2-2.

Eine Formation, die die Stärken der Spieler mit den Vorstellungen des Trainers optimal zu verbinden scheint. Denn Nagelsmann ist ein Trainer, der sehr viel Wert auf ein enges Positionsspiel legt. Selbst die Außenspieler rücken häufig ein. Damit will er bezwecken, dass der ballführende Spieler ein großes Kombinationspotenzial in den gefährlichen Zonen hat. Gleichzeitig sind viele Akteure in Ballnähe, um sofort ins Gegenpressing gehen zu können, sollte der Ball verloren werden.

Lewandowski-Wechsel als Chance oder als Risiko?

In der vergangenen Saison beschwerte sich Robert Lewandowski darüber, dass ihm dadurch der Raum genommen werde. Jetzt aber hat Nagelsmann durch den Abgang des Polen die Freiheit, seinen Vorstellungen und Ideen freien Lauf zu lassen. Nach den ersten Wochen wurde das als große Chance betrachtet.

Bayern spielte im Supercup gegen Leipzig (5:3), in der Bundesliga gegen Frankfurt (6:1), Wolfsburg (2:0) und Bochum (7:0) furios auf. Selbst beim 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach begeisterten die Münchner mit tollem Offensivfußball. Doch dann war der Wurm drin. Schon gegen Union Berlin (1:1) stellte Nagelsmann auf ein 4-2-3-1 um, gegen Inter (2:0) und Stuttgart (1:1) blieb er dabei.

Seitdem tun sich die Bayern schwerer. Ist die Ursache damit gefunden? Wahrscheinlich nicht. Die Unterschiede sind marginal, weil sich die Offensivspieler ähnlich verhalten wie im 4-2-2-2. Kommen allerdings durch die Rotation weitere Anpassungen dazu, sind die Veränderungen womöglich schon zu groß.

Goretzka ist dafür ein gutes Beispiel. Der 27-Jährige interpretiert seine Rolle im Mittelfeld gern offensiver. Auch gegen den VfB Stuttgart tauchte er häufiger mal im Angriffsdrittel auf. Marcel Sabitzer spielte in den vergangenen Wochen anders. Der Österreicher agierte mehr als Absicherung für Joshua Kimmich. Dadurch hatte Letztgenannter häufiger die Möglichkeit, seine Qualitäten in der Offensive auszuspielen und auch im Pressing aggressiver nach vorn zu schieben.

Droht Nagelsmann ein Kabinenproblem?

Zum Autor
  • Justin Kraft ist freier Autor und Blogger bei miasanrot.de.
  • Als Jahrgang 1993 durch die "Generation Kahn" mit dem FC Bayern in Kontakt gekommen.
  • Fußball-sozialisiert mit der "Generation Lahmsteiger", der er 2019 sogar ein nach ihr benanntes Buch widmete.

Den Bayern schien diese Doppelsechs gutzutun. Doch Goretzkas Ansprüche könnten dem im Weg stehen - wenn sich der gebürtige Bochumer nicht taktisch anpassen kann oder will. Ursprünglich wurden die englischen Wochen als rettendes Ufer für Nagelsmann betrachtet. Doch jetzt, wo sie da sind, wird deutlich, warum der Trainer nicht schon in den ersten Partien mehr rotiert hat.

Der zweite Anzug sitzt noch nicht. Und bis er sitzt, könnten einige Wochen vergehen. Wochen, in denen Ergebniskrisen die Situation verschlimmern würden. Je mehr Unentschieden oder gar Niederlagen dazukommen, desto mehr nagt das auch beim FC Bayern am Selbstverständnis.

Mehr zum Thema

Die Zeit für Schwarzmalerei sei aber noch lange nicht gekommen, sagte Salihamidžić. Das wäre bei aller Kritik auch zu früh. Eigentlich war es absehbar, dass die Umstellung auf ein System ohne echten Neuner Zeit benötigen würde. Es war auch absehbar, dass einige Neuzugänge schneller ihren Weg ins Team finden würden, während andere erst Anlauf nehmen.

Und so ist die vermeintliche Krise womöglich nur ein vorübergehender Strohhalm, an den sich die nationale Konkurrenz klammern kann. Fakt ist aber auch: Wenn Lewandowski am Dienstag in die Allianz Arena zurückkehrt (21 Uhr/Amazon Prime Video und im ntv.de-Liveticker), kann die leichte Krisenstimmung an der Säbener Straße auch ganz schnell zu einer echten werden. Für Nagelsmann hat das Spiel gegen den FC Barcelona allein schon deshalb eine große Bedeutung.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 12. September 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen