Fußball

Perfektion mit düsterem SchattenGuardiola hat eine unzähmbare Bestie erschaffen

11.06.2023, 07:21 Uhr
imageVon Tobias Nordmann
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Euphorische Citizens. (Foto: REUTERS)

Das Finale der Champions League nimmt für Manchester City und Pep Guardiola zunächst einen ungünstigen Verlauf. In der zweiten Halbzeit wird es besser. Die Citizens gehen in Führung, dann wanken sie, fallen aber nicht. Diese Mannschaft ist nicht zu besiegen.

Alles ist so gekommen, wie es kommen musste. Die erdrückenden Investitionen von Manchester City zahlen sich an diesem Samstagabend aus. Nach 15 Jahren und einem Einsatz von 2,5 Milliarden Euro steht die Mannschaft ganz oben, stemmen die Spieler den legendären Henkelpott in den Himmel von Istanbul. Die wichtigste Trophäe im Vereinsfußball ist einverleibt. Abu Dhabi hat den europäischen Fußball übernommen. Scheich Mansour und seine Besitzergruppe genießen Weltruhm. Über das "wie" wird über diesen Abend hinaus nicht lange diskutiert werden. Mit 1:0 (0:0) taumelte City über die Ziellinie, musste zahlreiche bange Momente überstehen.

Abwehrmann Manuel Akanji sagte später, dass es vielleicht das "schlechteste Spiel der Saison" gewesen sei. Ganz so hart muss das Urteil nicht ausfallen, aber zumindest war dieses Finale ganz anders verlaufen, als es aller Orten (außerhalb von Mailand) prognostiziert worden war. Sogar die historisch größten Debakel der Finalgeschichte wurden ausgepackt, um zu illustrieren, wie chancenlos die Italiener gegen die Übermacht aus England sind. City hatte in den vergangenen Wochen alles aus dem Weg geräumt, was nicht fest vertäut war. Und selbst die dicksten Taue rissen die Männer von Startrainer Josep Guardiola in ihrer wilden Wucht mit. Wie eine unzähmbare Bestie.

Inter kämpft, Guardiola verzweifelt

Nicht aber in Istanbul. Inter und Coach Simone Inzaghi hatten sich einen perfekten Plan zurechtgelegt, um die fußballspielende Perfektion aus Manchester aus ihrem Rhythmus zu reißen. Die Nerazzurri attackierten früh, verschoben clever und rissen City das Herz raus. Kevin De Bruyne, der wohl beste Spielmacher der vergangenen Jahre, hatte kaum Möglichkeiten zur Entfaltung. Und auch İlkay Gündoğan konnte nicht so walten, wie er das zuletzt so gerne und so gut tat. Die Fünferkette der Italiener agierte nahezu fehlerfrei. Einen Schlenzer von Bernardo Silva (6.) ließ Inter zu und einen Steckpass auf Erling Haaland (27.). Beides blieb ohne Schaden. Auf der Tribüne verfolgten zahlreiche Ehrengäste, allen voran der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan an der Seite von UEFA-Präsident Aleksander Čeferin und FIFA-Boss Gianni Infantino, das Final-Spektakel, das zunächst gar keines war.

Inter kämpfte, City mühte sich, Guardiola verzweifelte. Im Kampf um seine dritte Krone in Europa hatte er auf personelle Experimente verzichtet, die ihm in der Vergangenheit regelmäßig auf hanebüchene Weise die Titel gekostet hatten, dafür schien sein Plan aber nicht so aufzugehen, wie erhofft. Von der eigenen Perfektion, zelebriert etwa im Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid, war die Mannschaft meilenweit entfernt. Das Finale war ein Kampf, selten Kunst. Auch in der zweiten Halbzeit nicht, in der De Bruyne längst nicht mehr mitmachen konnte. Er hatte sich vor der Pause verletzt. Erinnerungen an 2021 wurden wach. Damals zerschellten die City-Träume an der Schulter von DFB-Abwehrchef Antonio Rüdiger, der damals noch beim FC Chelsea spielte. De Bruyne brach sich das Gesicht.

Doch dieser Abend endete anders als jener im Estádio do Dragão. Ohne Tränen der Enttäuschung beim Belgier, ohne Tränen bei den Skyblues. City hielt dagegen und fand eine Lücke. Ein feiner Angriff führte den Ball zu Abräumer Rodri, der ins Glück traf (68.). Wenige Minuten zuvor hatte Lautaro Martinez einen Konter fatal vereumelt. Er hatte das Anspiel auf Romelu Lukaku verpasst. Und damit die Chance, diesem Finale eine sensationelle Wende zu geben. Denn auf Inter hatte (außerhalb von Mailand) nun wirklich niemand gesetzt. City spielte vorübergehend seriös. Aber kontrolliert bekam die Mannschaft das Spiel nicht. Federico Dimarco köpfte einen Ball erst an die Latte und dann an den Fuß von Lukaku (70.). Inzaghi konnte es nicht fassen, Guardiola auch nicht. Und es wurde noch schlimmer (aus Sicht von Inter). In der 88. Minute köpfte Lukaku eine Flanke von Nationalspieler Robin Gosens an das Knie von Torwart Ederson, absurd.

Junge Könige, alte Könige

Manchester City - Inter Mailand 1:0 (0:0)

Tor: 1:0 Rodrigo (68.)

Manchester: Ederson - Akanji, Ruben Dias, Ake - Rodrigo, Stones (82. Walker) - Bernardo Silva, De Bruyne (36. Foden), Gündogan, Grealish - Haaland; Trainer: Guardiola.

Mailand: Onana - Darmian (84. D'Ambrosio), Acerbi, Bastoni (76. Gosens) - Dumfries (77. Bellanova), Brozovic, Dimarco - Barella, Calhanoglu (84. Mchitarjan) - Dzeko (57. Lukaku), Lautaro Martinez; Trainer: Inzaghi.

Schiedsrichter: Szymon Marciniak (Polen)

Zuschauer: 71.412 (ausverkauft in Istanbul)

Gelbe Karten: Haaland, Ederson - Barella, Lukaku, Onana, Inzaghi (als Trainer)

Die Mannschaft, die das Spiel so wundervoll einfach aussehen lassen kann, die Fußball anders definiert, sie wusste nicht, wie ihr geschah. Und sie sehnte den Abpfiff herbei. Der kam, nach 96 Minuten und noch einer starken Parade von Ederson. Kapitän Gündoğan hatte sich nach zwei vergeblichen Anläufen endlich belohnt, Guardiola hatte sein eigenes Genie ausgetrickst und sein großes Trauma überwunden. Erstmals seit zwölf Jahren ist er wieder der König der Königsklasse. Er hat gelernt, den Spielern zu vertrauen. Das Spiel nicht seiner Idee zu unterwerfen. Sondern seine Idee an den Kader anzupassen. Er versteht, was die Fußballer können und wollen. Und die Fußballer verstehen, was der Trainer von ihnen will.

Ein perfektes Beispiel: Haaland. Das Tormonster hatte in 53 Pflichtspielen 52 Tore erzielt, er hatte seinen Auftrag erledigt, sich nicht verändert. Guardiola hatte ihn machen lassen, er hatte ihn Haaland sein lassen. Und dieses Sturm-Phänomen hatte so im ersten Jahr das historische Triple für die Citizens klargemacht. Mehr geht nicht. Zuletzt hatte 1999 ausgerechnet Stadtrivale United das bisher einzige Triple im englischen Fußball gefeiert.

Eine überragende Saison endet mit dem verdienten Triumph. Nicht an diesem Abend, aber über die gesamte Saison gesehen. Eine Zeitenwende. Abu Dhabi kontrolliert den europäischen Fußball. Während sich die Major League Soccer und Saudi-Arabien einen Kulturkampf liefern, einen Kampf der Systeme, einen Kampf um die Stars von gestern, haben die Investoren den hiesigen Fußball gekapert. Mit ihrem Milliarden-Entwurf, der die alten Riesen Real Madrid und den FC Bayern in dieser Saison mühelos aus dem Weg geräumt hat. Eine Umkehr der Kraftverhältnisse? Kaum denkbar, nicht auf lange Sicht. Nicht, solange das Geld so tüchtig sprudelt wie das Öl in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Man muss das Konstrukt nicht mögen. Man kann es sogar verteufeln. Aber was bringt es? Manchester City hat nicht nur schier unendlich viel Erfolge, sondern auch jede Menge Expertise. Mit Guardiola hat das Team das wohl größte Genie der vergangenen beiden Dekaden. Einst hatte er den FC Barcelona mit Lionel Messi, mit Xavi und Andrés Iniesta zur Perfektion geführt. Und nun eben City. Mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten. Und einer klugen Transferstrategie. Anders etwa als Paris St. Germain, das die katarischen Milliarden sinnlos in die großen Namen des Weltfußballs verpulvert. Immer noch ohne Erfolg. Und jetzt vor dem x-ten Neuaufbau steht. Bei City laufen die Dinge anders. Spätestens seit der Saison 2016/17 begann sich das Puzzle zusammenzusetzen, das jetzt fertig geworden ist, und schöne Bilder mit dem Henkelpott liefert.

Guardiola überwindet sich selbst

Guardiola kam vom FC Bayern. Und mit ihm kamen Gündoğan und John Stones. Unverzichtbare Eckpfeiler des Teams. Es folgten Ederson, Kyle Walker und Bernardo Silva. Dann kamen Riyad Mahrez (2018), Rodri (2019), Rúben Dias (2020), Jack Grealish (2021) und schließlich die beiden Dortmunder Haaland und Akanji. Die besten Spieler (für ihre Rolle) fanden den Weg zum besten Trainer. Die Defensive fand mehr und mehr Stabilität, lange Zeit das riesige Problem des freigeistigen Ensembles. Der Befreiungsschlag als Mittel fand Einzug. Eigentlich ein Graus für einen Ästheten wie Guardiola. Und mit Tormonster Haaland kam dann auch noch der perfekte Veredler. Einer, der diesen Zauberern eine unaufhaltsame Kraft gab. Wucht und Wille statt ständiger Suche nach einem Tor-Wunder. Noch so eine Wende: Guardiola hatte mit dem Norweger auch seine Aversion gegen eine echte Neun verworfen. In bester Erinnerung ist noch die Freund-Feindschaft mit Arroganz-Gigant Zlatan Ibrahimović, der den Katalanen einst verspottete mit den Worten: "Wir brauchen den Philosophen nicht."

Die Fußballwelt sah das anders. Guardiola wird bewundert für die Einfachheit, mit der er die großen Stars des Spiels über den Platz gleiten lässt. Immer in der Lage, die beste Lösung zu finden. Überragend in ihren Fähigkeiten am Ball, noch überragender im Positionsspiel. Nach dem 5. Februar, nach dem Sieg der Tottenham Hotspur im Brot- und Butter-Wettbewerb, war noch nur eine Mannschaft in der Lage, dieses Super-Kollektiv zu knacken: der FC Brentford am für City völlig unbedeutenden letzten Spieltag der Premier League. Dazwischen fraßen sich die Citizens gierig durch alle Wettbewerbe, kassierten ab und an mal ein Remis, aber nie verloren sie. Dass Inter an diesem Abend ganz, ganz nah dran war, ist ab Sonntag eine Randnotiz. Was bleibt ist eine Mannschaft aus Manchester, die diesen Sport dominiert, wie kaum ein andere vor ihm. Vielleicht wie das Barça um 2010. Geformt von Guardiola. City lässt einen Gegner am Haken zappeln, manchmal mit der Hoffnung sich losreißen zu können. Ein Kampf ohne echte Chance. In der ganzen Saison, an diesem Samstagabend. Alles ist so gekommen, wie es kommen musste.

Aber da liegen eben auch dunkle Wolken auf dem perfekt geplanten Erfolg. Seit einiger Zeit ermittelt eine unabhängige Kommission der Premier League gegen den Klub. Es geht um mutmaßliche Verstöße gegen die Finanz-Regeln der englischen Liga. Die Liga wirft den Klub-Verantwortlichen vor, während neun Spielzeiten zwischen 2009 und 2018 unkorrekte Finanzinformationen bereitgestellt zu haben, "insbesondere in Bezug auf ihre Einnahmen (einschließlich Sponsoring-Einnahmen), Betriebskosten und in Bezug auf die mit dem Club verbundenen Parteien". Als Strafmaß ist von finanziellen Sanktionen bis zu Punktabzug alles denkbar. Doch bis es zu einem Urteil kommt, regelt die Bestie City die Geschichte auf dem Platz. Dort gelingt ihnen immer wieder das perfekte Spiel.

Quelle: ntv.de

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