Bayern vor entscheidenden Wochen Meister - jetzt muss Salihamidžić liefern
22.12.2021, 19:32 Uhr
Salihamidžić muss nun Verhandlungsgeschick beweisen.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Nach 17 Spieltagen ist das Meisterrennen in der Bundesliga schon wieder entschieden. Bayern München wird am Ende der Saison den zehnten Titel in Folge gewinnen. Die Champions-League-Saison geht erst im April los. Doch vor Sportvorstand Hasan Salihamidžić baut sich eine gewaltige Aufgabe auf.
Bayern München ist Deutscher Meister. Zum zehnten Mal in Folge. Daran zweifeln nur noch die größten Pessimisten oder Optimisten, je nachdem auf welcher Seite der Geschichte sie die letzten Jahre gestanden haben. Mit neun Punkten Vorsprung vor nicht gerade konkurrenzfähigen Dortmundern geht es für das Team um den in seiner Karriere bislang noch titellosen Julian Nagelsmann ab Anfang Januar nur noch darum, so schnell wie möglich, die Meisterschaft auch rechnerisch abzusichern. Vielleicht sogar vor Fans. Das wäre doch was. Vielleicht sogar ein Grund für eine ausgelassene Feier am Marienplatz.
Weil also der Titel abgesichert, der Pokal verloren und die Champions League noch in weiter Ferne liegt, geht es in den kommenden Monaten für die Bayern bereits um die Weichenstellung für die weiteren Jahre nationaler Dominanz. Wieder drohen ablösefreie Abgänge, wieder gibt es Unruhe um Robert Lewandowski und wieder muss man ein paar andere Verträge verlängern, bevor sie dann im Jahr drauf auslaufen.
Corona ist auch am Bundesliga-Giganten nicht spurlos vorübergegangen. In der Geistersaison 2020/2021 verzeichneten die Bayern erneut einen Umsatzrückgang auf jetzt "nur" noch 643,9 Millionen Euro, rund 100 Millionen Euro unter dem Rekordumsatz der letzten Vor-Pandemiesaison 2018/2019. Zwar konnten die Münchener noch einen Gewinn von 1,9 Millionen Euro nach Steuern ausweisen, doch auch hier sind die Zahlen rückläufig.
Wenn der reichste Klub der Welt ruft
Die Pandemie wird weitere Löcher in die Planung reißen. Auch die aktuelle Spielzeit ist kaum mehr als ein getarntes Geisterjahr. Eine Saison ohne Zuschauer, wies Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen auf der Jahreshauptversammlung im November hin, bedeute "neben dem emotionalen Loch auch sehr schmerzhafte Umsatzeinbußen". Die sich noch nicht in den weiterhin steigenden Gehältern der Bayern München AG zeigen. Dieser Gehälter sind jetzt erneut Gegenstand kritischer Betrachtung. Sie sind letztendlich Teil der Überlegungen der neuen Bayern-Führung um Geschäftsführer Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić.
Erneut droht der ablösefreie Abgang zweier Stars, von denen die Bayern einen bereits abgeschrieben haben. Weltmeister Corentin Tolisso hat an der Säbener Straße keine Zukunft mehr. Ihn würde man liebend gerne sogar im Winter abgeben, um wenigstens noch einen Bruchteil der 2017 investierten 41,5 Millionen Euro wieder reinzubekommen. Doch anders gelagert ist der Fall bei Nationalspieler Niklas Süle, der nach Jérôme Boateng und David Alaba im Sommer 2021 bereits der dritte schmerzhafte Abgang in der Abwehrzentrale sein könnte.
Der reichste Klub der Welt, Newcastle United, soll an ihm interessiert sein, ein paar andere Premier-League-Vereine auch und Bayern nicht gewillt, Süle annähernd so gut zu entlohnen. Dabei hat er sich in dieser Saison aus einem längeren Tief befreien können, spielt wieder eine größere Rolle auf dem Platz. Den dann, der Abgang ist laut Sky so gut wie sicher, jemand anders ausfüllen muss. Bayern kann planen, der Rest darf spekulieren. Herrlich. Legen wir los.
Die Schlacht der Staaten
Geht Süle, könnte der auf und mit der Rechtsverteidigerposition eher unglücklich wirkende Benjamin Pavard in die Zentrale rücken und eine Baustelle auf Außen aufmachen. Immer mal wieder taucht der Name Sergino Dest in den einschlägigen Blättern auf. Der US-Amerikaner aus der Ajax-Amsterdam-Schule hat beim FC Barcelona noch nicht den Nachweis seiner internationalen Klasse erbracht und dürfte nur einer von vielen Kandidaten sein.
Trotz der Ausfälle von Joshua Kimmich und Leon Goretzka rauschten die Roten in den letzten Wochen durch die Liga. Sie waren nicht zu stoppen, auch wenn in der Zentrale auf einmal Marc Roca auftauchte, der bislang in der Bundesliga noch keine große Rolle gespielt hat. Doch natürlich ist es so, dass sich die Bayern längst nicht mehr mit dem VfB Stuttgart, mit dem VfL Wolfsburg und auch Borussia Dortmund messen. Sie müssen sich auch nicht mit den Gegnern in ihren Champions-League-Gruppen messen. Der Kader der Bayern muss für die K.o.-Spiele der Königsklasse ausgerichtet sein.
Dann muss der Kader funktionieren, dann muss er da sein. Ausfälle dort wiegen schwer. Wie die zahlreichen Niederlagen, meist ohne Lewandowski, in dieser Phase beweisen, wie auch der Gewinn des Finalturniers in Lissabon beweist, indem Hansi Flick seine Wunder wirken lassen konnte und aus einem guten Team das Team der Stunde formte. Es geht bei den Bayern schon lange nicht mehr darum, auf der Bundesliga-Strecke den besten Kader auf den Platz zu schicken, sondern eben vielmehr in der - von den Verantwortlichen an der Säbener Straße gerne in die Nähe einer "Schlacht der Staaten" gerückte - Champions League den Zufall der Verletzungen, der Formkrise zum dümmsten Zeitpunkt zu minimieren und das Glück auf die Seite der Bayern zu ziehen.
Was will Coman?
Das Glück wird in Spielen gegen Liverpool oder Manchester City womöglich mit einem Mittelfeld aus Roca und dem Österreicher Marcel Sabitzer nicht so leicht zu beschwören sein. Eine Baustelle der Bayern, auf der Salihamidžić ackern muss, gerade wenn mit Tolisso ein weiterer Kaderspieler den Verein verlässt. Dann ist da noch der Flügel. Da steckt Kingsley Coman bekanntlich seit langer Zeit im Vertragsverlängerungsclinch mit dem Verein. Der Franzose ist eine Art Glücksbringer aller Vereine, für die er bislang gespielt hat. Das liegt natürlich an den Klubs, also an Paris St. Germain, Juventus und den Bayern, die ihren Ligen nach Belieben dominierten, das will sich der 25-Jährige nach allem, was zu hören ist, aber auch vergolden lassen. Der Vertrag läuft zwar noch bis 2023, doch das bedeutet dementsprechend auch: Vertrag bis zum Sommer verlängern oder Coman für viel Geld abgeben, denn ein ablösefreier Wechsel 2023 wäre kaum zu vermitteln. Aktuell sollen mal wieder Verhandlungen zwischen den Bayern und dem Franzosen laufen.
Es geht darum, den Wert des Spielers zu bestimmen. Den Wert für den Verein, ohne die Kabine nachhaltig zu verärgern. Darf er in die Gehaltsregionen eines Thomas Müllers, eines Manuel Neuers stoßen und was macht das mit Serge Gnabry, der ebenfalls bis 2023 an die Bayern gebunden ist? Es geht wie immer um viel Geld, und aber auch darum, welche Perspektive die Bayern ihren Spielern aufzeigen können. Die Spieler, sagte Bayern-Boss Oliver Kahn auf seiner Vorstellung Mitte des Jahres, haben die Chance, "eine Ära mitzuprägen". Aber will das Coman überhaupt? Oder will er doch lieber noch mehr Geld verdienen?
Das Lewandowski-Dilemma
Ein Sonderfall ist weiterhin Top-Verdiener Lewandowski. Auch sein Vertrag läuft 2023 aus. Er ist nicht nur der bestbezahlte Spieler, sondern auch der beste Stürmer der modernen Liga-Geschichte. Sein Wechsel von Dortmund zu den Bayern hat 2014 die Verhältnisse in der Bundesliga zementiert, sein Beitrag zu der unglaublichen Konstanz des Serienmeisters könnte höher nicht sein.
Aber der Pole wird im Sommer 34 Jahre, ein neuer Vertrag muss her oder eine Entscheidung darüber, wie sich der Verein in den kommenden Jahren auf der Position aufstellen will. Wollen die Bayern den Topverdiener weiter halten, viel Geld in die Hand zu nehmen und ihn in dann mit dem ganz großen Besteck ins Karriereende verabschieden oder aber vielleicht doch einen Blick auf Thronfolger Erling Haaland werfen? Wie verlockend das doch ist.
Über Lewandowski sind hunderte Artikel verfasst worden. Es geht eben auch darum: Will Lewandowski seine Karriere als bester Bundesliga-Torschütze veredeln oder in einem fernen Land noch einmal den Ballon d'Or gewinnen und endlich auch international geliebt werden? Weiter geht es da im Frühjahr. Wie bei Coman. Zeit bleibt genug. Die Liga ist gewonnen, die Champions League ist das Ziel. Mit dem Nachbarn aus Salzburg, die in der Gruppe mit Wolfsburg auf Augenhöhe waren, geht die K.o.-Phase erst Anfang April los. Jetzt muss erst einmal Sportvorstand Salihamidžić liefern. Der muss immer noch um Anerkennung kämpfen. Trotz des Coups mit Kimmich, trotz der Verlängerung mit Goretzka. Die Chance bekommt er nun. Es ist das womöglich komplizierteste Spiel der Saison.
Quelle: ntv.de