Sieg gegen Peru, Niederlage gegen Belgien: Die ersten beiden Nach-WM-Länderspiele verlaufen für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wechselhaft. Sportlich ist der Weg zurück in die Weltspitze weit. Auch, weil die Probleme der DFB-Elf weit über Ergebnisse hinausgehen.
An DJ Teddy-O hat es bestimmt nicht gelegen. Er gab schon vor dem Länderspiel der DFB-Auswahl gegen Belgien alles. Die Bässe wummerten laut, das Wort der Nebenfrau, des Nebenmannes ging im Dröhnen der Musik unter. Die Mission war für alle klar: Mit heftiger Jahrmarkt-Atmosphäre sollte das Kölner Publikum auf ein 90-minütiges Fußball-Spektakel getrimmt werden. Auch der DFB-Stadionsprecher verausgabte sich. So sehr, dass er versehentlich das erste Tor der Belgier überraschend überschwänglich bejubelte - einfach, weil ein Tor gefallen war.
Doch darum geht es ja eigentlich: um die Leidenschaft, um den Fußball, um die Fans! Über die Jahre hat sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft von ihren Zuschauern entfremdet. Mehr und mehr stellte sich die Frage, für wen spielt "Die Mannschaft" eigentlich? Lange Zeit weder für das geneigte Publikum noch für den Erfolg. Bei den vergangenen drei Turnieren schnitt die DFB-Auswahl miserabel ab: Aus nach den Gruppenphasen in Katar (2022) und Russland (2018), im Achtelfinale bei der EM 2021.
Und deshalb krempelte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gewaltig um. Erst endete die lange Trainerära des Joachim Löw, stattdessen übernahm Hansi Flick. Danach ging Oliver Bierhoff, der Macher der "Mannschaft", ersetzt durch einen, der dem DFB schon einmal aushalf: Rudi Völler. Als wäre der sportliche Erfolg nicht schwierig genug, hat der 62-Jährige noch eine weitere Funktion: Er soll die Fans wieder zur DFB-Elf zurückholen. "Erst mal versuchen wir, die Leute zurückzugewinnen und dann versuchen wir es bei der Europameisterschaft", lautete Völlers Analyse des WM-Debakels.
Familienfreundliche Anstoßzeit geht anders
Die Leute zurückholen, nur wie? Wenn das so einfach wäre, hätten sie sich ja nie abgewendet. Die Strategie des DFB fußt auf zwei Säulen: mehr Nähe herstellen und einfach wieder Spiele gewinnen. Heißt: mehr Selfie-Termine und auch mehr erfolgreiche Partien. Doch so leicht wird es wohl nicht. Der "Neustart" deutet an, dass das eine schwierige Mission werden könnte.
Los ging es am Samstagabend in Mainz. 25.000 Menschen in der ausverkauften Arena sahen, wie die Elf von Trainer Hansi Flick erst gut und danach wieder recht behäbig spielte. Mit allerhand Neulingen war der 2:0-Erfolg gegen Peru teilweise vielversprechend, zudem gab es eine neue taktische Marschroute. Mit der Doppelspitze hatte die DFB-Auswahl sichtlich Spaß am Kombinationsspiel. Auf den Rängen waren es aber die südamerikanischen Fans, die in überraschend großer Zahl angereist waren. In der zweiten Hälfte flaute das Spiel der Flick-Auswahl wieder ab und erinnerte an schlimmere Momente der vergangenen Jahre.
Deshalb: Versuch Nummer zwei. Die DFB-Auswahl traf am Dienstagabend gegen Belgien auf einen ebenbürtigen, wenn nicht sogar besseren Gegner. Dem Kölner Publikum wurde kräftig eingeheizt, das DJ-Pult von Teddy-O lief heiß. Weder der Dienstag als Spieltag noch die späte Anstoßzeit von 20.45 Uhr sind wirklich familienfreundlich. Der DFB tat sich mit dem Kartenverkauf etwas schwer, am Ende war das Spiel mit mehr als 42.000 Menschen doch ausverkauft.
Gewinner sind die, die nicht dabei sind
Das Spiel startete aus deutscher Sicht dann allerdings trotz großen Zuschauerinteresses miserabel. Nach zehn Minuten führte Belgien bereits mit 2:0, das zarte Gefühl des Neuanfangs wurde durch den Offensivdrang von Kevin de Bruyne und den roten Teufeln erstickt. Das Publikum begann, die großflächige "Wille"-Choreografie nach und nach in Papierflieger zu verarbeiten und auf den Platz zu werfen.
Und auch sonst lief es besonders in der ersten Hälfte nicht gut. Das Sechserduo Leon Goretzka/Joshua Kimmich tat der Abwehr keinen Gefallen und ließ die Viererkette immer wieder allein. Interims-Kapitän Kimmich hatte ohnehin Probleme, in seine neugewonnene Rolle hereinzuwachsen. Die Doppelspitze dampfte Trainer Flick schon nach etwas mehr als einer halben Stunde wieder ein. Danach ging es vor allem mit dem eingewechselten Emre Can vor der Abwehr leicht bergauf. Am Ende kaschierte das knapp wirkende Ergebnis von 2:3 einiges.
Weil ein Neuanfang mit altem Personal schwierig umzusetzen ist, öffnete Flick die DFB-Auswahl für die ersten Testspiele nach dem WM-Debakel für zahlreiche neue Gesichter. Manche von ihnen konnten schon teilweise überzeugen (Marius Wolf), andere deuteten ihr Können in Kurzeinsätzen an (Kevin Schade). Wieder andere bekamen noch nicht allzu viel Spielzeit, um Eindruck zu hinterlassen (Malick Thiaw). Mit Bayern-Star Jamal Musiala fehlte zudem auch einer, der die Zukunft des DFB-Teams mitgestalten könnte. Sein Leverkusener Pendant, Florian Wirtz, wusste bei der Rückkehr ins Nationaltrikot nach seinem Kreuzbandriss noch nicht voll zu überzeugen.
Als Gewinner dürfen sich angesichts der wechselhaften Leistungen wohl die fühlen, die eigentlich fest zum Kader gehören, von Flick diesmal aber ohne Not nicht nominiert worden waren. Antonio Rüdiger muss nicht um seinen Job als Abwehrchef fürchten, İlkay Gündoğan wurde im Zentrum ebenso vermisst wie die Robustheit von Niklas Süle. Thomas Müller und Marco Reus könnten das Offensivspiel ebenso beleben wie Leroy Sané und Jonas Hofmann darf hoffen, bei den nächsten Länderspielen im Sommer wieder auf der Außenbahn seine Stärken einsetzen zu können.
Neustart mit einem Mann von Gestern
Was bleibt also, wenn das Sportliche noch (viel) Zeit braucht? Sportdirektor Rudi Völler deutete es an. Als eine seiner ersten Amtshandlungen räumte er - in Absprache mit der Mannschaft - die "One Love"-Binde ab und ersetzte sie durch das schwarz-rot-goldene Modell. "Ich verstehe zwar, dass man ab und zu ein Zeichen setzen muss. Aber jetzt geht es wieder um Fußball", verkündete er.
Ohnehin zeichnet sich ab, dass Völler mit seinem Auftreten einen ganz bestimmten Fantyp wieder zurückholen will. So äußerte sich der DFB-Sportdirektor in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" über die Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" und erklärte, dass Gendern nicht so sein Ding sei. Gefragt wurde er danach nicht, es war ihm aber offenbar ein Anliegen. Das Signal: Vorbei ist die Zeit der Katar-Debatten, wer davon genervt war, soll bitte wieder zurückkommen.
Die Mission "Neustart" ist für alle schwieriger als ursprünglich gedacht. Das ist allen bewusst, eine komplizierte Beziehung kittet man nicht in Windeseile. Trainer Flick und seine Schützlinge bedankten sie sich nach der Belgien-Pleite übermäßig beim Publikum. Auch sie wissen, wenn die Ergebnisse nicht stimmen, kommt niemand zurück. Das weiß wohl niemand besser als Völler, der ununterbrochen im Profifußball arbeitet, seit er 1978 als 18-Jähriger bei Kickers Offenbach seinen ersten Profivertrag unterschrieb. Der jetzt das Gesicht dieses Neuanfangs, dieses Aufbruchs in die Zukunft sein soll - und dabei zunächst als Mann von Gestern für Aufsehen sorgt.
Quelle: ntv.de