Fußball

Der unnormalste Normalo der Welt Ausgepowerter Klopp will einfach nur noch Jürgen sein

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Jürgen Klopp verlässt Liverpool. Und erneut wählt er den richtigen Zeitpunkt. Die Menschen werden ihn vermissen. Klopp hat wieder einmal etwas geschaffen, was keinem Trainer vor ihm gelang. Er ist als Mensch und Coach zur Legende geworden.

Eine Sache bei Jürgen Klopp stimmt natürlich nicht. Denn Jürgen Klopp ist alles, nur nicht normal. Doch als jener, als "The Normal One", hatte er sich in der Liverpool einst vorgestellt. Aber nein, so war und ist es nicht. Dafür hat der 56-Jährige zu viel geschaffen. Klopp(o) hat sich, auch wenn ihm das selbst vielleicht unangenehm ist, zu einer Weltmarke gemacht. Er hat den Fußball geprägt. Als Trainer und als Mensch. Und das lässt sich schon sagen, obwohl nicht klar ist, wohin ihn sein Weg noch führen wird. Klopp ist ein Eroberer, auf allen Ebenen. Er hat die Spieler für sich gewonnen, die Fans. Mit einer Art, die einzigartig ist. Er konnte seine Mannschaft auch dann noch überzeugen, wenn nichts mehr Hoffnung machte. Wie am 7. Mai 2019. Der FC Liverpool hatte das Halbfinal-Hinspiel gegen den FC Barcelona mit 0:3 verloren. Das Ding schien durch (mehr dazu sofort).

Doch bei Klopp ist nie etwas durch. Nicht bevor, die Dinge auf dem Feld final ausgetragen worden sind. Im April 2014 raunzte er - noch als Trainer von Borussia Dortmund - dem jungforschen ZDF-Reporter Jochen Breyer und dessen Analyse nach einer 0:3-Niederlage bei Real Madrid - "Sind wir ehrlich, Herr Klopp, das Ding ist durch, oder?" - genervt entgegen: "Wie könnte man mir Geld überweisen für meinen Job, wenn ich heute hier stünde und sagen würde, die Sache ist durch? Das wäre genauso doof, wie wenn ich sagen würde, wir hauen die sicher weg." Die Wahrheit auf dem Platz lag dann in der Mitte. Das Ding war durch, ein 2:0-Sieg im Rückspiel reichte nicht. Auch wenn Real wild wankte und mit dem Schiedsrichter durchaus im Bunde war. Klopp hatte sein Team nah ans Wunder getrieben.

Immer wieder Real Madrid

Und das mit einer Mannschaft, die in Teilen mehr Graugans als Grandezza versprach. Da lief ein Manuel Friedrich auf, ein Oliver Kirch, ein Milos Jojic, ein Kevin Großkreutz und ein Eric Durm. Ganz nah waren sie der Sensation gewesen, als Spielmacher Henrikh Mkhitaryan in der 68. Minute nach einem tollen Pass des Doppeltorschützen Marco Reus an Torwart Ilker Casillas vorbeigesprintet war, den Ball aber nur an den Außenpfosten nagelte. Das Scheitern in großen Spielen, es ist auch etwas, das die beeindruckende Karriere von Klopp begleitet. Zweimal unterlag er den Königlichen, seiner Nemesis, im Kampf um den Henkelpott, im Kampf um die Champions League, die er schließlich 2019 doch einmal gewann. Diese Niederlagen, sie formten ihn, sie machten ihn nahbar. Weil er sie in all seiner Klopphaftigkeit durchlitt. Er ist kein Titelhamster, sondern einer, der hart dafür arbeiten musste. Umso ekstatischer wurden die Wunder gefeiert.

Eines trat dann fünf Jahre später ein, der FC Barcelona wurde tatsächlich hergespielt. Lionel Messi und seine Mitstreiter wurden vom Heavy Metal erdrückt und einer Genie-Ecke von Trent Alexander-Arnold blamiert. Es war eines dieser Spiele, weswegen die Fans Klopp mit aller erdenklichen Liebe begegnen. In diesem Duell steckte alles drin, warum Generationen von Menschen sich für dieses Spiel namens Fußball euphorisieren. Warum sie ihr Leben nach Spieltagen ausrichten, wo sich manch einer den Sinn des Lebens herauszieht. Klopp trieb seine Spieler an, die Fans, sich selbst. Weil er in der eigenen Rauschhaftigkeit seine Sinne verlor - Ex-Spieler Jordan Ibe sprach mal davon, dass Klopp selbst vom "Dämonen" in sich sprach, dass er Motivationsohrfeigen verteilte - verliebten sie sich in Mainz, bei Borussia Dortmund und an der Anfield Road in Jürgen Norbert Klopp.

Im Sog des Jürgen Klopp

Aber nicht überall verfing sich Amor. Seine großen Gesten und wilden Grimassen waren einigen zu viel des Guten. Seine gewinnende Art verstörte die, die wussten, dass sie ihn nie bei ihrem Verein sehen würden. Sie hatten davor Angst. Sie hassten es, ihn zu lieben und überspielten ihre Furcht mit Zynismus. Dabei hatte Klopp in England in seinen Anfangsjahren eine unfassbare Welle der Begeisterung ausgelöst, die sogar Norwich und Huddersfield in die Premier League gespült hatte. Eine Reihe von Epigonen hatten die Chancen genutzt und dort angeheuert. David Wagner, Daniel Farke und sogar Jan Siewert waren allein aufgrund ihrer schwarzgelben Vereinsfarben auf die Insel ausgeflogen worden und hatten sich dort mit ihrer Verbindung zu Klopp aufplusternd so etwas wie Dorflegendenstatus erarbeitet.

In den Beziehungen von Klopp zu seinen Vereinen, die er mit Besuchen an historischen Orten in sich auf sog, kam die Worthülse "Echte Liebe" dem Wesenskern des Begriffs so nah wie wohl nie zuvor im Fußball. Er traf so oft den richtigen Ton am richtigen Ort. Den Ton, der die Menschen rührte. Es sei nicht so wichtig, was über einen Menschen gedacht werde, wenn er kommt, sagte Klopp etwa zu seinem Abschied: "Es ist wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man geht." Die lauschende schwarzgelbe Gemeinde war gerührt, den Tränen nah.

Nichtstun! Aber wie geht das?

Manchmal wunderte man sich aber auch über die Borstigkeit des Trainers, der bei kritischen Fragen auch mal den guten Ton verlor. Einmal ging er einen WDR-Reporter hart an, fragte erbost: "Welches Ressort? Tierfilme?" Klopp ist Klopp, immer authentisch, manchmal kantig. In einer Welt voller Sorge vor dem nächsten Shitstorm oder der nächsten Sanktion sticht er heraus. Auch deshalb gilt er vielen Menschen als liebster Bundestrainer. Diese Sehnsucht wird auf absehbare Zeit nicht gestillt. Klopp will ein Jahr nichts tun! Auch wenn er gar nicht weiß, wie das geht.

Freitag, der 26. Januar 2024, so schrieb Liverpool-Reporter Neil Jones sei der "JK-Moment", der "JFK-Moment" (also "John.-F.-Kennedy-Moment) der Fußballgeschichte. Auch andere englische Medien überschlugen sich. Klopp hatte die Welt mal wieder in Aufruhr versetzt, ohne überhaupt auf einem Platz zu stehen. Ohne einen magischen Moment, sondern mit einem Geständnis. Ihm geht die Kraft aus. Vorbei die Rivalität mit Pep Guardiola, die beide zu immer neuen Höchstleistungen getrieben hatte, und damit die Premier League immer weiter von allen anderen Ligen dieser Welt hatte entrücken lassen.

Jetzt endlich mal allein gehen

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Anders als Guardiola aber hatte Klopp immer die richtigen Vereine trainiert. Herzensvereine, Außenseiter, nicht die superreichen Primi der heimischen Ligen. Er war in Mainz, Dortmund und Liverpool. Das war etwas anderes als Barcelona, Bayern, Manchester City. Zwischen den Namen lagen Welten, zwischen den Spielstilen ebenso. Guardiola ließ die gegnerischen Mannschaften mit aberwitzigen Ballstafetten erdrücken. Wenn sie ermattet waren, stießen Messi und seine genialen Kollegen gnadenlos zu. Wie bei einer Jagd. Dieses Element hatte auch Klopp in seine Idee implementiert. Aber anders. Nicht zermürbend, sondern voll Karacho!

Doch erst ihr Gegeneinander hatte sie zu dem gemacht, was sie jetzt waren und sind: die größten Trainer ihrer Generation. Auf der Bank waren sie das, was Messi und Cristiano Ronaldo so lange auf dem Platz waren. Sie waren unverwechselbar, larger than life und eben keineswegs normal, auch wenn Klopp darauf ja immer schon bestanden hatte. In seinem Kopf mochte es so aussehen, die Normalität aber würde ihm wohl für immer verwehrt bleiben. Dafür hatte er zu viel mit den Menschen gemacht. Schon immer. You'll never walk alone hat ihn durch seine Karriere begleitet, bei all seinen Stationen ist es Hymne. Immer wieder war es ihm voller Inbrunst entgegengeschrien worden. Doch genau das möchte Klopp nicht mehr. Er möchte endlich mal allein gehen.

Quelle: ntv.de

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