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Bundesliga-Check: FC Bayern San mia noch mia? Und wenn ja, wie viele?

San mia noch mia?

San mia noch mia?

(Foto: imago sportfotodienst)

Die Meisterschale schon eingepreist, einige "Granätchen" verpflichtet – sportlich ist der FC Bayern gerüstet für die neue Saison. Doch der Rekordmeister ringt um seine Identität. Der neue Sportdirektor macht Uli Hoeneß und Carlo Ancelottis Frau glücklich.

Das muss den Bayern auch erstmal einer nachmachen: Auf eine Pleite beim Audi-Cup mit schärfster Krisenrhetorik zu reagieren, das lässt Liga-Rumpelstilzchen Rudi Völler aussehen wie einen Buddhisten auf MDMA. "Es sind noch zweieinhalb Wochen bis zum Saisonstart. Die können schnell vorbei sein", knirschte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz-Rummenigge nach dem 0:3 gegen Liverpool. "Wir sollten jetzt schnell die Kurve kriegen." Einen Duselsieg im Supercup in Dortmund und ein standesgemäßes 5:0 in Chemnitz später vermeldet der neue Sportdirektor Hasan Salihamidzic plötzlich "alles im Plan", der heimische Boulevard erklärt den Meister bereit für Titel Nr. 6 in Folge. Der manisch-depressive Anfall kurz vor Saisonbeginn zeigt: Der FC Bayern München sucht in diesen Tagen seine Selbstsicherheit und seine Identität. Dem Rekordmeister steht eine äußerst kurvenreiche Saison bevor – und eine entscheidende Weggabelung: Wollen und können sie sich im Kreis der Favoriten auf den Champions-League-Titel halten? Oder müssen sie sich mit der Rolle des Branchenprimus in der Bundesliga begnügen?

Was gibt's Neues?

"Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche", stellte Reimkünstler F.W. Bernstein einst treffend fest. Ein großer deutscher Dichter der Gegenwart ("Lieber Franz / Du bist ein Schatz / Das sag' ich Dir in diesem Satz" beweist die Gültigkeit dieser Weisheit gerade aufs Neue: Karl-Heinz Rummenigge, Bayern-Vorstandsvorsitzender und neuerdings Lordsiegelringbewahrer der Fußballtradition. "Der Spitzenfußball entfernt sich von der Basis", mahnte der 61-Jährige in der "SportBild", angesprochen auf den Neymar-Transfer. Wenn die Szene keine rationalen Regularien finde, "dann versteht die Öffentlichkeit das nicht mehr, die Fans verlieren den Bezug." Vom Vorsitz der europäischen Clubvereinigung ECA hat sich Rummenigge mittlerweile ebenso verabschiedet wie von der Idee der Superliga, die er in den vergangenen Jahren immer mal wieder in den Medien lancierte, um mehr Prämien für die Champions League zu scheffeln. Erleben wie die Läuterung eines Turbokapitalisten? Eher nicht.

Nur wenige Tage vor dem Interview war der Rekordmeister vom laut Präsident Uli Hoeneß "grenzwertigen" PR-Trip nach Asien zurückgekehrt, wenige Tage danach präsentierte der FCB seinen neuen Ärmelsponsor: den Flughafen in Doha, Katar. Sie wissen schon, das Land, in dem Franz Beckenbauer keine Sklaven gesehen hat, aber Tausende Nordkoreaner für Kim Yong-Uns Devisenkonto die Stadien für die Wüsten-WM im Winter 2022 bauen. Solche Deals laufen unter dem Schlagwort "Internationalisierung", der FC Bayern hat einen eigenen Vorstand dafür. Es ist ein Bereich, in dem er als einer der fünf umsatzstärksten Klubs der Welt noch mithalten kann. Auf dem Transfermarkt dagegen können sie sich nur wohlfeile Kritik leisten, einen Neymar oder Dembélé nicht mehr - dafür fehlen den Bayern noch ein paar zusätzliche Millionen aus Katar. Vielleicht von einem Investor, noch halten die Bayern ja 75 Prozent an ihrer AG. Um Neymar zu kaufen, müssten sie schon 24,9 Prozent der restlichen Anteile an den Scheich bringen. Es gäbe einen anderen Weg: Den Tod von 50+1. Einen weiteren Sargnagel hat ein gewisser Fußballromantiker vor ein paar Wochen in der "FAZ" eingeschlagen: "Vielleicht sollte man jedem Klub selbst überlassen, ob ein Investor als Mehrheitseigner eintritt", sagte Karl-Heinz Rummenigge der "FAZ". Die Fans werden den Bezug sicher herstellen, wenn ihr FC Bayern künftig einem Hedgefond gehört.

Auf wen kommt es an?

Auf die Familie. So erfolgreich und spielerisch wertvoll die Ära Guardiola auch gewesen sein mag, so richtig warm wurden die Vereinsbosse mit dem Spanier nie. Unter Carlo Ancelotti menschelte es wieder, aber etwas Entscheidendes fehlte: das Bayern-Gen. Also kamen zwei, die zu den großen Helden des Klubs gehören. Willy Sagnol arbeitet als Co-Trainer direkt mit Ancelotti zusammen, Hasan Salihamidzic fungiert als Sportdirektor. Eigentlich fehlt nur noch, dass Mehmet Scholl als Anti-Doping-Beauftragter anheuert, Sepp Maier wird wieder Torwarttrainer und Mario Basler macht einen kleinen Kiosk an der Säbener Straße auf. Am Ende sprintet Hans-Wilhelm Müller-Wohlfarth wieder mit wehendem Haar … oh, was lesen wir da? "Ich habe den Verein wissen lassen, dass ich bereit bin, in schwierigen Fällen zu helfen", sagte Müller-Wohlfarth der "Bild"-Zeitung. Und Uli Hoeneß, der entscheidende Mann hinter dem Kurs "Zurück in die Zukunft", er hält dem "Doc" natürlich eine Tür offen. Der 65-Jährige kämpft gerade verbissen um sein Vermächtnis im Klub. Als Philipp Lahm einen Posten im Vorstand zur Bedingung für seine Vertragsunterzeichnung als Sportdirektor machte, lehnte der Familien-Patron ab. Er wollte nicht wie ein besserer Praktikant unter Hoeneß arbeiten, was der natürlich nicht verstehen kann: "Jeder junge Manager kann von unserer Erfahrung doch nur profitieren", sagte Hoeneß im April. "Bessere Lehrmeister, die wissen, wie es geht, gibt es kaum. Stattdessen heißt es aber: Jetzt hat es wegen der Machtmenschen Hoeneß und Rummenigge mit Lahm nicht geklappt." Die C-Lösung Hasan Salihamidzic erklärte Hoeneß jüngst giftig zur "Königslösung", weil der Bosnier intern schon in "14 Tagen mehr durchgegriffen" habe als Matthias Sammer in einem Jahr. An die Öffentlichkeit gedrungen ist bisher nur "Brazzos" Arbeitspensum von 8 bis 22 Uhr – und sein Rauchverbot im Kabinentrakt. Trainer Carlo Ancelotti, der gern die eine oder andere Mentholzigarette raucht, nahm es mit Humor: "Das ist gut für meine Gesundheit und meine Frau freut sich auch."

Was fehlt?

Nur Xabi Alonso und Philipp Lahm. Was soll schon sein? Mit Corentin Tolisso haben die Bayern als Ersatz für den Spanier den teuersten Spieler der Bundesligageschichte verpflichtet, den vorher kein Mensch kannte. Zuvor gebührte dieser Titel Javi Martinez, aber der hatte zum Zeitpunkt seines 40-Millionen-Transfers schon eine WM und eine EM mitgemacht. Tolisso ist noch 1,5 Millionen Euro teurer, hat aber erst ein Länderspiel absolviert. In der Vorbereitung schwächelte der Franzose, gegen Chemnitz nicht mehr. Da spielte er neben "Granätchen" Sebastian Rudy, den die Kollegen schon zum heimlichen Königstransfer ausgerufen haben. Die, hüstel, riesigen Fußstapfen von Philipp Lahm wird wohl Joshua Kimmich ausfüllen. In Sachen "langweilige Aussagen, von PR-Agenturen diktiert" kommt er dem legendär drögen Twitter-Account @philipplahm schon sehr nahe: "Öffentlich wird viel gesprochen, aber am Ende entscheidet meine Leistung auf dem Platz. Die versuche ich, Woche für Woche zu zeigen. Ich möchte mich durchsetzen." Das wird für ihn, der mit Rafinha konkurriert, wohl einfacher als für Neuzugang Niklas Süle, immerhin für 20 Millionen Euro aus Hoffenheim gekommen, der Mats Hummels, Javi Martinez und Jerome Boateng herausfordert. Carlo Ancelotti hat schon die gute alte Hitzfeldsche Rotation angekündigt, auf der Bank werden sich also immer einige Hochkaräter wiederfinden - aber keine echten Alternativen zu Robert Lewandowski. Wie auch in der letzten Saison verzichten die Bayern wohl auf einen Backup für ihre einzige "echte" Nummer 9. Wobei uns auf die Frage, wer aus dem Stand heraus, nur mit ein bisschen Training in den Beinen, in den entscheidenden Spielen Weltklasseleistungen abrufen kann, auch nur einer einfällt: der "Lord" Nicklas Bendtner. Und der ist verhindert, er muss gerade Norwegen abreißen.

Wie lautet das Saisonziel?

"Mein Bayern gewinnt die Champions League", das hat Carlo Ancelotti gesagt, daran wird er gemessen. Auch wenn Uli Hoeneß beschwichtigte, er könne das nicht verlangen: Eine Bayern-Saison bemisst sich am Abschneiden in Europa. Der Meistertitel, oder wie es in München heißt "die Saisonpauschale", ist ohnehin fest eingeplant. Für seine Mission hat Ancelotti wie gefordert James Rodriguez von Real Madrid bekommen. "Wir verlassen uns da voll auf Ancelotti. Das ist der Wunschspieler und den hat er gekriegt", sagte Uli Hoeneß danach. Ohnehin wirkt Ancelotti dieser Tage, als hätte der Familien-Pate Uli ihm ein bis zwei Pferdeköpfe ins Bett gelegt. In der vergangenen Saison noch kritisiert, weil er die jungen Spieler links liegen lasse, sagte er nun: "Ich will den jungen Spieler helfen, in ihre Rolle hineinzuwachsen. Karl-Heinz Rummenigge, der im Audi-Cup so ungeduldig knurrte, dankte er in italienischen Medien gar für die Rückendeckung : "Kalle ist mein Bruder." Allerdings scheint die Familie noch uneins, wie es weitergehen soll mit den Bayern. Hoeneß erklärte, die Bayern wollten den Neymarschen Transferirrsinn nicht mitmachen, Rummenigge sprach von einer "anderen Philosophie". Dass sie so weiter den Henkelpott angreifen können, bezweifeln Experten: "Wenn die Bayern weiter zu den drei, vier besten Teams Europas gehören wollen, geht kein Weg daran vorbei, dass sie irgendwann bei den ganz großen Transfers mitspielen müssen", sagte Oliver Kahn jüngst. Noch eine Saison mit Viertelfinalaus in Europa, und diese Ansicht könnte sich auch bei den Bayern wieder durchsetzen.

Die Prognose von n-tv.de

"Ein anderer Meister ist möglich", sagte der Kollege Oliver Fritsch im Deutschlandfunk-Sportgespräch zur neuen Saison. Tatsächlich scheint die Zeit reif für den großen Kladderadatsch: Der Konkurrenzkampf wird eine Menge Verlierer und Schlagzeilen produzieren, wirklich besser als im Vorjahr ist der Kader des FC Bayern allerdings nicht - in der Champions League gehört der Rekordmeister damit höchstens zum erweiterten Favoritenkreis. Trainer Ancelotti steht unter schärfster Beobachtung, auf vorbehaltlose Rückendeckung aus der Chefetage darf er im Falle einer Krise eher nicht rechnen. Alles Faktoren, die zum Sturz der Serien-Bayern führen könnten. Könnten. Denn wie das so ist mit dem Traum von einer besseren Welt: Es braucht aussichtsreiche Alternativen. Doch einige haben sich historisch desavouriert (Schalke 04, Bayer Leverkusen), einige scheinen noch nicht ausgereift (Hoffenheim, RB Leipzig), einige befinden sich selbst noch im Umbruch (BVB). Deswegen: Die Bayern zum sechsten, mit Willy Sagnol als Interimstrainer.

Quelle: ntv.de

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